Vorbemerkungen 1

  1. Es heißt manchmal, die (mathematische / theoretische) Physik sei reine Mathematik, doch das stimmt nicht, sie erklärt Begriffe wie Masse, Kraft, Bewegung u.ä., die in der Mathematik nicht vorkommen. Darum ist auch nicht jede Gleichung, die nach mathematischen Gesetzen erlaubt wäre in der mathematischen Mechanik sinnvoll. Umgekehrt gilt es oft erst bestehende Gleichungen zu erklären, ihnen eine Bedeutung zu geben (wer wüsste etwa, ohne vorherige Erläuterung, was die berühmte Gleichung e=mc2 für eine Bedeutung impliziert?).

  2. Ebenso kann man auch in der Mathematik sagen, dass sie durchaus von bestimmten mathematischen Begriffen handelt, auch in der Mathematik wird etwa bei einem Beweis nicht beliebig umgeformt sondern aus den Zillionen Möglichkeiten, diejenige herausgesucht, die im Rahmen des Beweiszieles sinnvoll ist.

Diese Überlegungen gehen allerdings aus dem Beweis selbst nicht hervor, weshalb es oft heißt, dass es etwas anderes ist, einen Beweis zu lesen, ihn zu verstehen oder gar selbst auf ihn zu kommen. (Hierzu finden sich übrigens viele weiterführende Überlegungen in Ludwig Wittgensteins “Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik,” stw 506).

  1. Formale Logiker behaupten schließlich, dass sich wissenschaftliche Systeme einteilen ließen in die unbewiesenen & unbeweisbaren Axiome und den aus ihnen durch tautologische Umformungen gewonnene “abgeleiteten” Sätze. Dabei werden auch die dabei angewandten Umformungsregeln der formalen Logik, konsequent selbst wieder als unbewiesenen & unbeweisbaren Axiome betrachtet.

Wenn auch Gedanken dieser Art in Büchern über Formale Logik und Wissenschaftstheorie anzutreffen sind und durchaus auch aus der Philosophie ihren Weg in die Feuilletons und die Begründung von allerlei skeptischen und relativistischen Zeitgeistes finden, so wird doch der “normale” Betrieb der Wissenschaften durch sie nicht sonderlich berührt.

Denn die Arbeit selbst des dümmsten und borniertesten Wissenschaftlers besteht nun einmal (meines Wissens ) nicht darin, sich beliebige Axiome auszudenken und diese dann wiederum beliebig umzuformen.

Was tut man also eigentlich, wenn man als Wissenschaftler eine wissenschaftliche Theorie baut? Wonach sucht man, wenn man eine Erklärung sucht? Was ist ein guter Begriff, ein befriedigendes Axiom? Dies zu klären war einmal eines der Hauptanliegen der klassischen Philosophie von Aristoteles bis Hegel.

Vorbemerkungen 2

Wissenschaft durchläuft idealypischerweise die folgenden Phasen (ich sehe hier u.a. von etwaigen vorwissenschaftlichen Phasen ab), dies kann innerhalb der Theoriebildung eines Wissenschaftlers durchlaufen werden und können auch ähnlich in der Geschichte der einzelnen Wissenschaften selbst nachvollzogen werden.

Dabei sind die Elemente der jeweils früheren Phase immer auch, verändert durch die hinzugekommenen Elemente der späteren Phasen, in den späteren Phasen enthalten:

Am Anfang wird einfach möglichst viel Informationen angesammelt, frau denke hier etwa an die Berichte der Reisenden in der Geographie, Ethnologie, an die Sammlung diverser Pflanzen und Tiere in der Zoologie und Botanik u.ä.

Ist genug Material vorhanden, so wird angefangen, das Material zu ordnen. Dabei ist zu beobachten, dass mit vermehrtem Wissen die Ordnung von sehr äußerlichen Kriterien (Farbe, Geruch, Anzahl einzelner Teile, u.ä.) zu immer passenderen/immanenteren Kriterien vorgedrungen wird (etwa wird heutzutage in der Biologie das Pflanzen- und Tierreich nach der Verwandtschaft der DNS unterteilt).

Dieser Fortschritt in der immer angemesseneren Einteilung wird veranlasst durch den 3.Schritt, eine theoretische Durchdringung des Wissenschaftsgebietes. Mit der zunehmenden theoretischen Durchdringung, können immer angemessenere Einteilungen durchgeführt werden. Bei der theoretischen Durchdringung wird es oft als Ziel angesehen, zu denjenigen Begriffen, Axiomen und Gesetzen vorzustoßen, von denen man das übrige ableiten kann (als Ideal wird hier meistens die Mathematik angesehen, von den Naturwissenschaften dementsprechend die Mechanik).

Es kommt hierbei also darauf an, das vorgefundene Material so zu ordnen, dass sich möglichst viele Erscheinungen mit möglichst wenig Annahmen/Axiomen/Gesetzen (hier also benutzt i.S. von “nicht weiter ableitbarem”) erklären lassen.

Die Anfangssätze der jeweiligen Wissenschaft sind also nicht willkürlich gewählt, sondern sollen die Fülle des Gegenstandes von dem sie handeln (engl. “Topic”) möglichst in sich konzentriert enthalten. Nur so lässt sich dann auch später das Wissenschaftsgebäude durch den vermeintlichen Zaubertrick wieder aus ihnen herausziehen. Axiome und Gesetze sind daher auch das Endprodukt einer wissenschaftlichen Tätigkeit und nicht ihr Anfang.

Wieso spricht Hegel nun von Begriffen statt von Anfangssätzen (Axiomen)?

Sehr einfach, die Anfangssätze handeln nun einmal (mindestens) von Subjekten denen Prädikate zugeschrieben werden. Auch diese Anfangssätze sind also zusammengesetzt.

Der wirkliche Anfang sind daher die Subjekte des Satzes (oder ist das wieder nur unser borniertes europäisches Denken und ein Navajo-Indianer (Saphir/Whorf) würde sagen: die Prädikate ? Egal, spielt für die folgende Überlegung jedenfalls keine Rolle).

Das Subjekt des Satzes hat die Eigenschaften die ihm dann in dem Satz zugeschrieben werden, ja es hat wahrscheinlich noch weitere Eigenschaften. Der Satz soll die ihm wesentlichen Eigenschaften, aus denen sich möglichst die anderen ableiten lassen, aussprechen, hat dabei also den Begriff zum Maß (näheres über das Verhältnis von Begriff zum Satz in Hegels Lehre vom Satz (“Urteil”) und in dem guten Kommentar dazu von Heinrich Güßbacher “Hegels Psychologie derIntelligenz”).

Wenn es sich erweist, dass ein Satz dafür nicht ausreicht (und das ist in der Regel - ich kenne keine Abweichungen - der Fall) dann eben in mehreren Sätzen. Die Sätze sollten dabei ihrem logischen Verhältnis entsprechend zu einem System geordnet werden (dies der Übergang von Hegel von der Lehre vom Urteil zur Lehre vom Schluss).

Auch rein phänomenologisch stellt sich, wenn man die einzelnen Wissenschaften betrachtet, diese als jeweilige Erklärungen ihrer Gegenstände (im folgenden immer im weiteren Sinne gebraucht, also Begriffe) dar, in der wiederum die einzelnen Begriffe die zum Thema gehören in ein System eingeordnet werden.

Die Hauptfrage besteht daher zunächst einmal darin, die passenden Begriffe und ihre Bestimmungen (Also den / die Sätze, die das wesentliche über den Gegenstand aussagen) zu finden, was naturgemäß miteinander zusammenhängt, wie wir noch sehen werden.

Was ist also ein Begriff und wie bestimme ich ihn ?

Aus dem bisher gesagten geht wohl schon hervor, dass hier nicht an

  1. eine (willkürliche) Definition / Abgrenzung gedacht ist,

also nicht so etwas:

“Der Mensch ist ein zweibeiniges Lebewesen ohne Federn” (so ein alter griechischer Möchte-Gern Philosoph, worauf ihm Diogenes ein gerupftes Huhn präsentiert haben soll)

und daher ist auch

  1. die Vorstellung des Allgemeinen, wie man sie aus der formalen Logik und der Mengenlehre kennt, wo einfach ein Allgemeines durch (beliebige!) Abstraktion (abstrare = lat. abziehen, also weglassen) gewonnen wird wenig hilfreich.

Zwar kann man beides durchaus auch in dem Begriff wiederfinden wenn man möchte, jedoch ist es die Beliebigkeit / Willkür die hier stören. Ein Wissenschaftler möchte ja nicht einfach wie ein Künstler (und auch ob der einfach willkürlich arbeitet ist sehr die Frage, wenn er es tut, so doch vermutlich mit Grund) ein beliebigen, ihm wichtigen Aspekt herausarbeiten, sondern diejenige Bestimmung finden, die dem Gegenstand angemessen ist.

Das Maß der Richtigkeit einer wissenschaftlichen Bestimmung / Theorie stellt noch immer die Übereinstimmung mit ihrem Gegenstand dar, die soll also ihm angemessen sein (das unterscheidet normalerweise eine wissenschaftliche Theorie von einem Science Fiction ).

Wenn man sich die bisher dargestellten Vorstellungen vom Begriff anschaut, so haben sie doch alle eines gemeinsam, das zum Begriff eine Grenze dazugehört, die bestimmt was zum Begriff dazugehört und was draußen bleibt, ihn also “bestimmt” (ich benutze das Wort bestimmen im Folgenden im diesen Sinne).

Schon Spinoza sagt “Omnis determinatio est negatio” (Bestimmen ist verneinen), also ausschließen, angeben was die Sache die bestimmt werden soll nicht ist.

Der erste Schritt in der Begriffsbildung ist also, sich mit der Grenze des Begriffes zu beschäftigen. Also mit Grenzfällen.

Was passt gerade noch hinein ? Was passt gerade nicht mehr hinein ? An welchen Stellen bin ich mir unsicher ?

Beispiel Stuhl: 

Gehört der einbeinige Barhocker noch zum Begriff ? Ein dreibeiniger Hocker ? Der Sessel ? Die Stehhilfe der Verkäuferin? Die Bank ? Der Tisch ? Die Sitzhaltung ? (methodischer Hinweis: möglichst große Vielfalt von qualitativ unterschiedlichen, ergiebigen Varianten finden)

Beispiel Schuh:

Gehört ein Stiefel noch zum Begriff? Ein Strumpf? Eine Sandale? Barfuss (=kein Schuh)? Die Hornhaut ?

Die schöne disjunkte (li.S. von “sich gegenseitig ausschließende”) Scheidung in A und NON-A der formalen Logik greift ja erst, wenn ich diese Grenze habe. Und übrigens hilft es mir auch an dieser Stelle nicht zu wissen, dass A = NON NON-A ist, der Schuh also nicht der Nicht-Schuh ist, weil ich mich hier um die bestimmte Negation, die bestimmte Grenze bemühe, die gerade nicht formal sondern inhaltlich bestimmt ist (es nützt mir wenig, wenn ich über den Schuh weiß, dass er kein Nicht-Schuh ist, aber entsprechend auch konkret wenig, dass er etwa kein Vogel, keine Farbe, kein Staat, keine Liebe, kein Computer usw. als beliebige Beispiele eines Nicht-Schuhs, ist).

Im zweiten Schritt (die Reihenfolge von Schritt 1 und Schritt 2 sind meiner Erfahrung nach egal, solange man mit der Zeit beide macht. In der Praxis gibt es da eh fließende Übergänge, sie hängen, wie sich gleich zeigen wird, miteinander zusammen):

Man suche sich möglichst viele qualitativ verschiedene Erscheinungsformen des Begriffes. Hierzu brauche ich die Grenze aus Schritt 1, umgekehrt finde ich hierbei Grenz-Material für Schritt 1, es handelt sich also bei den beiden Schritten in der Praxis um ein Annäherungsverfahren, ähnlich wie etwa auch der Ansatz von Gerhard Kleining (dem Begründer der “Qualitativen Sozialforschung” in Hamburg, unter Berufung auf Hegel übrigens, siehe sein Grundlagenpapier Online: [externerLink]), dieser Schritt ähnelt eh einer der methodischen Empfehlungen von Kleining):

Beispiel Stuhl: 

Bürostuhl, Küchenstuhl, Sitzgelegenheiten aus anderen Zeiten / anderen Völkern, usw.

Beispiel Schuh: 

Balettschuhe, Schnabelschuhe, Bergsteigerschuhe, Anti-Schlangenbiss-schuhe, Sicherheitsschuhe aus der Industrie / vom Bau, Halbschuhe, Bettlerschuhe, Edelschuhe aus feinem Leder, Papierschuhe, Babyschuhe, und natürlich wieder Schuhe aus anderen Zeiten und von anderen Völkern.

Klar ist dabei wohl jedem, dass der Begriff dabei einerseits die Grenze zu dem Anderen eindeutig (?) bestimmen (Schritt 1) sollte, andererseits sollte er zu allen Erscheinungsformen die unter ihn fallen (Schritt 2) passen.

Es kommt hier auf die Feinheiten an, doch dazu später.

Es sei jedenfalls schon jetzt soviel gesagt, als dass es im 2.Schritt darauf ankommt, möglichst viele der unterschiedlichen Erscheinungen aus dem Begriff zu erklären. Umgekehrt sorgen daher die unterschiedlichen Erscheinungen für einen “fülligeren” Begriff.

Der Begriff soll hier sozusagen der Samen sein, aus dem die Erscheinungsformen sprießen sollen. Diejenigen Erscheinungsformen, die wir aus dem Begriff noch erklären können, nennen wir “ Besonderheiten” , diejenigen, die sich nicht mehrableiten lassen “Einzelheiten.” Es ist klar, dass sich möglichst viele “Besonderheiten” aus dem Begriff ableiten lassen sollen.

Dies ist ein wichtiger Unterschied zu der Vorstellung der einfachen “abstrakten” Allgemeinheit, wo aus einer Abstraktion niemals mehr zu etwas Konkreterem zurück geschritten werden kann. (In der Mengenlehre macht daher die Unterscheidung zwischen Allgemeinem und Besonderen keinen Sinn, es gibt nur Menge und Elemente (und beliebig viele Teilmengen dazwischen).

In einem dritten Schritt gilt es dann die Teile, die zum Gegenstand gehören zu untersuchen, und ebenfalls ihre Bedeutung für den Gegenstand, ihre Beziehung zum Begriff zu finden.

Beispiel Schuh: Sohle, Oberteil, Schnürband

Beispiel Stuhl: Lehne, Sitzfläche, Beine

Auch dieser Teil passiert in Wirklichkeit organisch mit den anderen Schritten zusammen, so gehört oft zu der Grenzziehung der Bezug auf die Teile dazu (so ist etwa ein Stuhl u.a. durch seine Lehne von einem Hocker unterschieden).

Hat der Gegenstand eine Geschichte (individuell und / oder als Art ) (und das ist praktisch immer der Fall), so ist diese in einem letzten Schritt ebenfalls auf den Begriff zu beziehen und es soll versucht werden, diese ebenfalls aus dem Begriff abzuleiten.

(Dies zeige ich später ausführlicher an den Beispielen)

Okay, gehen wir nach der allgemeinen Übersicht nun mehr in die Tiefe:

Zum 1.Schritt, die Grenzziehung:

in unserer Untersuchung finden wir die relative Berechtigung der Grenzziehung. Wahrheit/Sicherheit ist immer relativ zu ihren Gründen. Was für Gründe habe ich für die Grenzziehung ?

Nehmen wir das Beispiel Stuhl:

Es handelt sich offensichtlich um eine Sitzgelegenheit. Das ist schon mal die grobe Unterscheidung, die wir immer feiner machen können. Wir haben, in den einfachen Fällen bereits durch unsere Sprache, eine grobe Vorstellung von dem was ein Wort bedeutet, wir können es nur oft nicht explizit aussprechen. Bei der Grenzziehung ziehen wir erst einmal sehr weite Grenzen, bei denen wir uns sicher sind, dass unser Gegenstand in ihm enthalten ist (aber vielleicht anderes auch) und ziehen von da aus die Kreise mit jeder Runde enger, bis wir einen genausitzenden “Maßanzug” vor uns haben.

Der Stuhl dient also dem Sitzen (generell ist es ein einfacher Trick, bei von Menschen geschaffenen Sachen an ihren Zweck zu denken, der hat fast immer etwas mit ihrem Begriff zu tun. Deshalb eignen sich diese Dinge besonders gut als Beispiele, weil die Begriffsbildung, zumindest bei einfachen, wohlvertrauten Gegenständen, hier so leicht ist).

Damit haben wie den Stuhl in der ersten Annäherung  Stuhl nach seinem Zweck als “Sitzgelegenheit” bestimmt und damit schon einmal gegen anderes abgegrenzt.

Natürlich ist diese Bestimmung noch recht weit und muss später enger gezogen werden. Am Anfang empfiehlt es sich immer die Grenzen so weit zu ziehen, dass auch die Zweifelsfälle noch mit drin sind (Aber andererseits eindeutig ausschließbare Fälle, (Staat, Vogel etc. ), nicht). Enger ziehen kann man später immer noch. vor allem ergibt sich das Enger-ziehen im Laufe der weiteren Untersuchung fast von selbst.

Um hier zu zeigen, wie der 2. und 3. Schritt hier mit hineinspielen: wir fragen uns nun bei jedem gefundenen Zwischenergebnis, wie wir es auf die jeweils anderen Fragen anwenden können, also in diesem Falle was hat die Bestimmung eines Stuhles als “Sitzgelegenheit” mit den vielen verschiedenen Stuhlarten zu tun (wie können diese aus dem Begriff erklärt werden) und was haben die Teile des Stuhls mit dem Begriff zu tun ?

Schauen wir mal, was schon alles aus unserer Bestimmung Sitzgelegenheit folgt:

Der Stuhl ist als (menschliche) Sitzgelegenheit mitbestimmt durch den menschlichen Körper (Länge der Beine, Lage der Knie, größe des Pos usw.) (von der Schwerkraft sehe ich hier mal ab, da wir nur irdische Stühle betrachten, im Weltraum wäre es evtl. anders). Daher etwa Kinderstühle, Babystühle, (eingeschränkt, nur was die größe anbelangt:) Puppenstühle.

Auf der anderen Seite kommt es auf die Sitzhaltung/-gewohnheit an, andere Völker als die Europäer sitzen z.B. anders, etwa viel niedriger (und dementsprechend haben sie entweder keine Stühle oder eben viel niedrigere Stühle).

Untersuchen wir nun das Sitzen näher, für das der Stuhl uns also eine Gelegenheit geben will (wir könnten natürlich auch in die Logik überwechseln und die “Gelegenheit” untersuchen, was aber im Rahmen unserer Zielsetzung weniger vielversprechend erscheint ).

So ist das Sitzen anscheinend eine Körperhaltung zwischen Liegen und Stehen. Den angeführten Körperhaltungen ist bei dieser Bestimmung des Sitzens (! wie ihr seht, kommen immer neue Bestimmungen auf) gemeinsam, dass sie alle ortsgebunden sind (im Gegensatz zum Gehen, Laufen usw.).

Sitzen hat dabei eine Zwischenstellung zwischen dem entspannten Liegen (alle Tätigkeiten die mir spontan beim Liegen einfallen haben damit zu tun ) und dem Stehen, welches eher an der Grenze zum (gleich) fortbewegen ist (etwa “in der Schlange stehen” oder im Bus / Bahn: “wollen Sie sich setzen?” - “Nein, ich muss gleich aussteigen” usw.).

Das Gewicht des Körpers ruht dabei auf der Sitzfläche, die Beine werden entlastet. So erklärt sich die Sitzfläche des Stuhles.

Aus dem Bedürfnis doch zusätzlich auch den Oberkörper zu entlasten, erklärt sich wiederum die Stuhllehne zur Abstützung des Oberkörpers, aus dem Bedürfnis die Arme zu entlasten, eventuelle Armlehnen.

[Hier wurden also aus dem Begriff die einzelnen Teile erklärt]

Da die Beine die meiste Arbeit zu verrichten haben (sie tragen das ganze Gewicht), ist bei ihnen das Bedürfnis nach Entlastung am größten, bei dem Oberkörper am zweitgrößten, Stuhllehnen sind daher nicht immer vorhanden, und Armlehnen finden sich noch seltener.

[Sogar das Fehlen unwichtiger Teile ließ sich also erklären]

Warum sitzt der Mensch ? Es ist in seiner Mittelstellung ein Ausruhen (ähnlich dem Liegen), welches aber dem Oberkörper seinen volle Beweglichkeit lässt (und auch die Unterschenkel und Füße, sind zumindest eingeschränkt beweglich) und eine Konzentration zumindest nicht unmöglich macht (letzteres eher in Richtung Stehen).

Ich gehe hier glaube ich schon viel zu sehr ins Detail, ich komme auf das wichtige: aus den unterschiedlichen Zwecken, die im Sitzen verfolgt werden, lassen sich nun ein großer Teil der unterschiedlichen Sitzgelegenheiten erklären:

So gibt es den Ausguck auf dem Schiffsmast, die Stehhilfe der Verkäuferin, der Sitz des Fahrers, den Bürostuhl, den Fernsehsessel und den Thron, um nur ein paar besonders schöne Beispiele zu nennen.

Ich komme zum letzten, zeitlichen Aspekt. Es ergibt sich bereits aus dem zuvor Gesagten, dass es, je mehr sich die Tätigkeiten, die es gibt, ausdifferenzieren, destso mehr verschiedene Sitzgelegenheiten kann es (zumindest potentiell) geben.

Je nach den Bedürfnissen der Gesellschaft und ihrer Mitglieder werden diese unterschiedlichen Zwecke durch unterschiedliche Mittel (in diesem Falle: Stühle) erfüllt.

Wenn ich das bisher zum Stuhl gesagte, mit den 4 Ursachen von Aristoteles vergleiche, so habe ich hauptsächlich die Finale / Zweckursache angesprochen, auf die auch Aristoteles besonderen Wert legt (was kein Wunder ist, da Hegel sich sehr viel auf Aristoteles bezieht).

Aristoteles formale Ursache kam ebenfalls vor, aber begründet / vermittelt durch den Zweck (die Form des Stuhls ist über den Zweck “Sitzgelegenheit” vermittelt über den menschliche Körper, die Haltung beim Sitzen).

Was noch fehlt, sind die materielle Ursache und die Wirkursache.

In der Tat kommen gerade bei vom Menschen hervorgebrachtem diese beiden noch unbedingt hinzu: welcher Zweck verwirklicht wird, hängt von den gesellschaftlichen Bedürfnissen ab, wie der Zweck verwirklicht wird hängt außerdem von den gesellschaftlichen Möglichkeiten ab: welche Materialien (materielle Ursache), Techniken, Arbeitsgeräte, Erfahrungen / Geschicklichkeiten (letztere gehören alle zur Wirkursache) sind vorhanden?

Auch daraus erklären sich die verschiedenen Stuhlformen.

Noch ein paar Bemerkungen:

Die asiatischen Kulturen haben statt des Stuhles (oder ergänzend) vor allem Sitztechniken hervorgebracht. Auch dies ist eine Möglichkeit, die uns Technikgewohnten Europäern vielleicht nicht sofort einfällt, sich aber aus dem Begriff (Sitzgelegenheit) zwanglos ableiten lässt.

Wie sähe wohl die nächste Runde in der Begriffsbestimmung aus?

Der Einwurf zu den Sitztechniken zeigt, dass wir immer noch nicht geklärt haben, warum wir uns nicht einfach auf den Boden setzen, oder auf einen Felsvorsprung. So sind z.B. bis jetzt auch die 4 Beine des Stuhles noch nicht geklärt.

Ich will Euch hier nicht überstrapazieren, aber eine neue Runde könnte z.B. aus der Sitzgelegenheit ein Sitzmöbel machen.

Es wäre dann der Begriff des Möbels, als anscheinend sich ergebender Oberbegriff zu klären, hier käme sicher die Untersuchung der Herausbildung der Möbel gegenüber z.B. den eingebauten Teilen (wir würden hier die Grenze der Möbel suchen und eine ihrer Grenzen, oft sehr hilfreich, da meistens zumindest aus Büchern heraus-findbar, ist ihre Grenze=Entstehen in der Zeit, vergleiche den Anfang von Hegels Logik).

Denkt man an den Ausgangspunkt zurück, so bleibt vielleicht eine Enttäuschung, es stellt sich immer noch die Frage: “ist denn nun ein Sessel / ein Schemel ein Stuhl oder nicht?” Die Antwort lautet lustigerweise so: es ist Definitionssache.

Zur Rechtfertigung noch einmal ein Rückgriff auf Aristoteles:

Aristoteles gab bekanntlich als Regel zur Bildung eines Begriffes, man müsste den Oberbegriff und dazu die “Differentia Specifica” (die spezifische / bestimmte / charakteristische Unterscheidung) finden.

Dieser Satz wurde oft zitiert, aber wie er (nicht willkürlich) gehandhabt werden sollte ist oft vergessen. Was gemeint ist, habe ich versucht zu zeigen:

Die Begriffsbildung geht über die Grenze selbst zu ihren Oberbegriffen (mit denen fangen wir an) und ihren Unterteilungen fort. Wichtig ist, dass man dabei ein Gefühl für die Relevanz / Wichtigkeit / Gerechtfertigkeit / Begründung der Unterteilungen kommt.

Wenn man das weiß, ist es am Ende fast egal, ob man sich dazu entscheidet, das allgemeine Sitzmöbel (also einschließlich Schemel und Sofa) Stuhl zu nennen, oder nur das klassische, unter Materialökonomie hergestellt Sofa) Stuhl zu nennen, oder nur das klassische, unter Materialökonomie hergestellte Sitzmöbel für eine Person aus Holz.

Wichtig erscheint mir hier nur, dass die Bestimmung nicht in Widerspruch zum allgemeinen Sprachgebrauch geht (man wird daher Sessel und Sofa eher nicht als Stuhl benennen), sofern man keine wichtigen Gründe dafür hat (so wird der Walfisch entgegen dem Sprachgebrauch von den Biologen nicht zu den Fischen gerechnet).

Kleine Nachbemerkungen am frühen Morgen:

Ich habe bereits angegeben, dass ein guter Weg, die Grenze zu finden darin besteht sich in der Geschichte die Entstehung des Gegenstandes (falls er eine Geschichte hat, natürlich) anzusehen.

Eine andere, natürlich verwandte, Methode zum 1.Schritt besteht darin, in Etymologischen Wörterbüchern (Duden Bd.7 “Herkunftswörterbuch,” Grimms Wörterbuch der deutschen Sprache, Adelung) nach der Geschichte des Begriffs nachzuschlagen.

Der Begriff sollte mit Einschränkungen auch seine Geschichte erklären. Jedenfalls finden sich hier gerade bei alltäglichen Wörtern und abstrakten Wörtern gutes Material zur ersten Grenzziehung / Begriffsbildung (gerade bei diesen Wörtern ist das Material in etymologischen Wörterbüchern meist besser als das in modernen Lexika, welche leider völlig ohne Wissen vom Begriff gemacht sind).

Zum 2.Schritt wird man, gerade bei nicht trivialen Gegenständen, oft auch die unterschiedlichen Theorien zu einem Gegenstand sammeln und dann (siehe das Elefanten-Bild im Pluralismus-Artikel) versuchen diese alle zu erklären.

Jedenfalls geben diese ebenfalls gutes Material (Die Sammlung der vorhandenen Theorien sollte aber die Sammlung der verschiedenen Erscheinungsformen nicht ersetzen.

Eine solche Sammlung sollte vielleicht das erste mal vor der Theoriesammlung geschehen und dann nach einer möglichst qualitativ vielfältigen Theorielektüre wiederholt werden).

Zum Schluss möchte ich noch nebenbei bemerken, dass ich mich bemüht habe, dasjenige was ich an Marx in diesem Zusammenhang rational/sinnvoll finde, mit aufzunehmen, es ist in dieser Form durchaus mit Hegel kompatibel.

Übrigens handelte es sich nicht um eine “systematische Übersicht” von Hegels Begriff des Begriffs, sondern ich wollte eher eine Vorstellung/Anschauung vom Begriff liefern, das geht meistens am Besten mit Beispiel und Anwendung für die Praxis.

Der natürliche Fortgang wäre jetzt, das in dem Artikel beschriebene, auf den Begriff des Begriffes selbst anzuwenden. Also möglichst verschiedene Begriffe bilden z.B. und deren Besonderheiten zu untersuchen. Einiges von dem was ich in dem Artikel beschrieben habe gilt für Begriffe aus anderen Gebieten nicht oder abgeändert (Hegel unterscheidet z.B. im großen Logik, Natur, und Geistes- (incl. Gesellschafts-)wissenschaften) .

Die gefundene Vielfalt würde dann nicht nur einen weiteren und differenzierteren Begriff des Begriffes bieten, sondern die dargestellte Begriffsbildung würde dabei selbst begründet werden.

Die vorgestellte Begriffsbildung lässt sich also auf sich selbst anwenden (was komischerweise bei Konzepten zu diesem Thema gar nicht selbstverständlich ist) und erweist sich als außerordentlich flexibel und undogmatisch.

Hegels Werk erhebt den Anspruch eine solche systematische Darstellung zu sein (für den Begriff liefert das etwa der Logik-Teil seines Werkes).

Das wird ihm oft als “dogmatisch” vorgeworfen.

In Wirklichkeit ist es IMHO genau umgedreht:

Weil alles an seinem Platz eingeordnet und begründet ist, ergibt sich die Freiheit jeweils die Gründe zu betrachten und sie zu beurteilen.Man kann das ganze Hegel-Werk gegen den Strich lesen und an jeder Bestimmung, jedem Übergang die Qualität (im umgangssprachlichen Sinne) der Begründung sehen. Hegel zeigt jeweils: mehr weiß ich nicht dazu zu sagen.

Es handelt sich also gerade nicht um ein affirmatives Werk (auch wenn man es so lesen kann, bringt diese Lesensart dem Erkenntnisinteresse nichts und ich behaupte eine rein affirmative Lesart widerspricht auch einigen Grundintentionen von Hegel selbst), sondern es erfordert gerade das jeweils Nachdenken der Gedanken. Tut frau dies (statt sein System einfach als äußerliche Versicherungen zu nehmen), dann weiß frau damit auch, wo die Probleme liegen, die Stärken und Schwächen etc.

Für unsere heutige Zeit, die eine solche Kultur anscheinend nicht mehr so gewohnt ist, wäre sicher eine explizite Darstellung der Probleme wünschenswert, was auch generell in dem Trend von Hegel liegt, alles implizite explizit zu machen.

Siehe auch: