Eine Leserin fragt zu einem meiner Texte:

Wonach bemisst sich “gut” und “schlecht” der Gründe?

a)

Zunächst einmal sollte ich vorwegschicken, dass ich mich bemühe, keinen Jargon, auch keinen hegelianischen, zu reden. Meine Texte sollen von ganz normale, aber interessierten Menschen (ohne Vorverständnis vorauszusetzen) gelesen werden können, von daher orientiere ich mich in meiner Sprache an dem “normalen” Sprachgebrauch.

Wenn ich Worte spezifisch verwende, dann bemühe ich mich darum, die in diesem Gebrauch enthaltenen Argumente erst zu entwickeln.

Sowohl gut / schlecht, als auch die Kategorie des “Grund”es, habe ich also hier nicht in erster Linie in einem hegelschen Sprachgebrauch verwendet.

b)

Es geht also, zunächst einmal, um die einfache Unterscheidung, dass den Grund (oder strenger: Zweck) einer Sache zu wissen, noch nicht identisch ist mit ihrer Befürwortung.

Oder noch mal das selbe, in anderen Worten: Aus dem formellen, dass es einen Grund für etwas gibt, spricht noch nicht, dass ich dann für die Sache sein muss:

c)

Zunächst mal ist der Grund eh eine logisch gesehen sehr schwache Kategorie. Hegel spricht in der Logik (und auch analog in der Rechtsphilosophie, wenn er über Schuld spricht) darüber, dass es zu einer Sache immer viele Gründe gibt (siehe z.B. in der Enzyklopädie, Paragraph 122).

Dass ein Grund für etwas gefunden wird, ist also schon deshalb nicht genug, weil sich auch weitere Gründe finden lassen: bei einer politischen Tat mögen psychologische und ethische Motive, Interessen unterschiedlichster Art, das geschichtliche Umfeld und vieles andere mitwirken, wie uns ja die entsprechenden Wissenschaften zu versichern bemühen. Alle diese Perspektiven / Sichtwinkel / Sichtweisen behaupten, dass sie relevant für den Sachverhalt sind, ihn zumindest mitbestimmen.

Die wissenschaftliche Aufgabe ist es nun, herauszufinden, wie diese unterschiedlichen Gründe die Sache bestimmen, dabei wesentliche von unwesentlichen zu trennen, den Zusammenhang der Gründe zu finden, wo es ihn gibt usw.

Logisch gesehen wird frau dabei nach stärkeren Kategorien suchen, Bedingung, Zweck usw., die im Begriff  / System der Sache “organisch” (d.h. jedes an seinem Platz, in Bezug auf das Ganze) geordnet werden sollen.

(In normaler Sprache und meinen “normalen” Beiträgen mache ich aber diese Unterscheidung wie gesagt eher nicht, um die Verständlichkeit zu erhöhen)

d)

Aber auch, wenn ich Gründe für logisch stärkere Erklärungen einsetze (was ja auch ohne weiteres sachlich möglich ist, da ja z.B. ein Zweck auch ein Grund ist), so folgt aus der logischen Form für sich noch kein positives oder negatives Urteil.

Alles ist begründet. Zu allem vom Menschen hervorgebrachten lässt sich ein (oder mehrere) Zweck(e) angeben. Einen Begriff können wir uns auch von Schlechtem oder von Fantasiegebilden machen.

e)

Einschränkung: es mag Dinge geben, die sich einem Begriff verschließen, die der theoretischen Betrachtung nicht Wert sind und auf sehr niedriger logischer Stufe anzusiedeln sind: ich denke an Zufälliges / Disparates. In diesem Sinne wäre eine solche Begründung “Es war Zufall,” ein (logisch) “schlechter” Grund.

Aber daher wird ein solcher Grund auch höchstens defensiv eingesetzt, als Entschuldigung für etwas schlechtes, nicht als “positiver” Grund für etwas (wir sagen etwa: das war ein Versehen, oder Zufall, wenn wir uns entschuldigen wollen oder wenn wir keinen andern, besseren Grund wissen).

f)]{#f)}Hegel bezeichnet in seiner Logik etwas als “[gut,” wenn es seinem Begriff, seiner Idee entspricht, sonst als “ schlecht.” Er gibt dafür einige Beispiele. Mir selbst fallen als Beispiele ein: unsere Rede von einem “guten Freund,” “einem schlechten Rat,” “ein guter Christ,” usw. (Ich denke vor allem an die Besprechung des Urteils des Begriffs, etwa in der Enzyklopädie Paragraph 178-179. Vergleiche aber auch zu weiterführendem Gebrauch bei Hegel die Paragraphen: 54, 60, 225, 233, 235).

g)

Eine Kritik, die sich auf diese Terminologie stützt, erscheint zunächst einmal affirmativ. Das ist wohl einer der Hintergründe, warum Hegel als affirmativ gelesen wird.

h) Jedoch, gerade weil wie unter d)) angesprochen, sich alles in die Form des Begriffes bringen lässt, kann man im Sinne von f)) auch von einem “guten” oder “schlechten” Nazi, Mörder, Vergewaltiger usw. reden.

Es ist vom Sprachgefühl her völlig klar, dass wir aber in einem “echteren” Sinne einen “guten” Nazi usw., nicht denjenigen nennen, der nun besonders gut Nazi ist, sondern eher einen, der es gerade nicht ist.

Hier kommt die Unterscheidung von Verstand undVernunft ins Spiel. Die Begriffe, Zwecke usw. können selbst wieder daran gemessen werden, ob sie sinnvoll usw. sind.

Das ist, soweit ich es verstehe (ich bin hier noch nicht ganz fertig), einer der Hintergründe für Hegels Unterscheidung zwischen Begriff und Idee (siehe auch die oben angegebenen weiterführenden Paragraphen).

i)

Wenn ich ein inhaltliches Kriterium für einen Beurteilungsmaßstab angeben sollte, so nenne ich dies derzeit schlagwortartig “Harmonie und Freiheit.”

Im Begriff ist das Kriterium bereits von der Form her erreicht: der Begriff gibt allen Teilen der Theorie ihren Platz, sie passen zusammen, bilden ein in sich gegliedertes / unterschiedenes organisches Ganzes usw.: Harmonie. Und der Begriff bestimmt sich selbst, ist selbst Grund für seine Erscheinung, seine Elemente, die andererseits im Begriff nicht “vergewaltigt” werden: Freiheit.

Dies betrifft aber nur die logische Form, in dieser logischen Form könne, wie gesagt Inhalte begriffen werden, die dieser Form sehr entgegenstehen.

Darum beschäftigt sich Hegel in der Begriffslogik nach dem “subjektiven Begriff” mit demjenigen was Begriffen wird, “dem Objekt” und stellt, so wie es schon beim Begriff darauf ankommt, dass sich Begriff und Objekt entsprechen, in der Idee eine höhere Entsprechung vor, in der der Inhalt des Begriffs auch den Maßstäben des Begriffs entspricht.

j)

Hösle bemüht sich mit seiner “intersubjektiven” Kritik / Verbesserungsvorschlägen (in seinem Buch “Hegels System”) darum, diese normative Ebene noch auszubauen.

Bereits aus den oben angedeuteten inhaltlichen Grundgedanken ließe sich eine normative Theorie für eine Ethik und Gesellschaftslehre aufbauen.

Jedoch fällt bei dem Aufbau der hegelschen Ideenlehre auf, dass ganze Bereiche der Realphilosophie fehlen: nach der Natur in der Behandlung des Objektes behandelt die Idee Leben (Begriff, subjektiver Geist), Erkennen und Wollen (Psychologie als letzter Teil der Lehre vom Subjektiven Geistes in Hegels Enzyklopädie, Band 3) und mit der absoluten Idee die Philosophie.

Nur mit viel gutem Willen kann man im Wollen auch den objektiven Geist sehen, in der absoluten Idee den ganzen absoluten Geist (Kunst, Religion, Philosophie). “Nur mit viel gutem Willen” deshalb, da diese sich zwar durchaus sinnvoll darunter gruppieren ließen, aber sehr viel inhaltliche Bestimmung wegbliebe. Der Inhalt ist, gemessen an der Realphilosophie, unterbestimmt, was nahe legt, hier noch weitere logische Kategorien zu suchen.

Hösle geht nun davon aus, dass nach dem Ich die neue, nachhegelianische Kategorie des anderen, gleichberechtigten Ichs kommt, des Mitmenschen / Dus, zur Idee der Mit-Ideen sozusagen.

Das bietet auch einen besserer Übergang in der Realphilosophie vom subjektiven Geist zum Objektiven Geist, nicht über das Eigentum sondern über die Mitsubjekte ergeben kann, also die Chance bringt, die marxistische Kritik an dem Objektiven Geist aufzuheben.

Auf der anderen Seite führt das als praktische Konsequenzen auch weg von den Befürchtungen, Hegelianer würden immer, als Verkörperung des absoluten Weltgeistes / Subjektes, eine terroristische Herrschaft aufbauen wollen, es wird eine größerer Schwerpunkt auf die Kooperation, das Miteinander, eingehen (auch in der Forschungs- und Diskussionskultur) gelegt, was alles viel besser mit der Realphilosophie übereinstimmt (zu all diesem aber siehe die bessere und ausführlichere Argumentation bei Hösle a.a.O..

Viel von dem was ich hier schreibe, ist noch nicht ganz fertig, meine derzeitige Interpretation usw., mehr noch als sonst sollte ich darauf wert legen, dass es sich hier um meine Interpretationen bzw. Konstruktionen von Hegel (und im letzten Teil von Hösle) handelt, lasse dich also nicht einschüchtern (aber wem sage ich das ).

Weitere Verweise: