Dritter Teil Die Sittlichkeit


 

§ 142
Die Sittlichkeit ist die Idee der Freiheit, als das lebendige Gute,
das in dem Selbstbewußtsein sein Wissen, Wollen
und durch dessen Handeln seine Wirklichkeit,
so wie dieses an dem sittlichen Sein
seine an und für sich seiende Grundlage und bewegenden Zweck hat,
- der zur vorhandenen Welt
und zur Natur des Selbstbewußtseins gewordene Begriff der Freiheit.


§ 143
Indem diese Einheit des Begriffs des Willens
und seines Daseins, welches der besondere Wille ist,
Wissen ist,
ist das Bewußtsein des Unterschiedes dieser Momente der Idee vorhanden,
aber so, daß nunmehr jedes für sich selbst die Totalität der Idee ist
und sie zur Grundlage und Inhalt hat.


§ 144
a) Das objektive Sittliche, das an die Stelle des abstrakten Guten tritt,
ist die durch die Subjektivität als unendliche Form konkrete Substanz.

Sie setzt daher Unterschiede in sich,
welche hiermit durch den Begriff bestimmt sind
und wodurch das Sittliche einen festen Inhalt hat,
der für sich notwendig und ein über das subjektive Meinen und Belieben
((293)) erhabenes Bestehen ist,
die an und für sich seienden Gesetze und Einrichtungen.


Zusatz.
Im Ganzen der Sittlichkeit
ist sowohl das objektive als das subjektive Moment vorhanden:
beide sind aber nur Formen derselben.

Das Gute ist hier Substanz,
das heißt Erfüllung des Objektiven mit der Subjektivität.

Betrachtet man die Sittlichkeit von dem objektiven Standpunkt,
so kann man sagen, der sittliche Mensch sei sich unbewußt.

In diesem Sinne verkündet Antigone,
niemand wisse, woher die Gesetze kommen: sie seien ewig.

Das heißt, sie sind die an und für sich seiende,
aus der Natur der Sache fließende Bestimmung.

Aber nicht minder hat dieses Substantielle auch ein Bewußtsein,
obgleich diesem immer nur die Stellung eines Moments zukommt.


§ 145
Daß das Sittliche das System dieser Bestimmungen der Idee ist,
macht die Vernünftigkeit desselben aus.

Es ist auf diese Weise die Freiheit
oder der an und für sich seiende Wille als das Objektive,
Kreis der Notwendigkeit, dessen Momente die sittlichen Mächte sind,
welche das Leben der Individuen regieren
und in diesen als ihren Akzidenzen
ihre Vorstellung, erscheinende Gestalt und Wirklichkeit haben.


Zusatz.
Weil die sittlichen Bestimmungen den Begriff der Freiheit ausmachen,
sind sie die Substantialität oder das allgemeine Wesen der Individuen,
welche sich dazu nur als ein Akzidentelles verhalten.

Ob das Individuum sei, gilt der objektiven Sittlichkeit gleich,
welche allein das Bleibende und die Macht ist,
durch welche das Leben der Individuen regiert wird.

Die Sittlichkeit ist daher den Völkern als die ewige Gerechtigkeit,
als an und für sich seiende Götter vorgestellt worden,
gegen die das eitle Treiben der Individuen nur ein anwogendes Spiel bleibt.


§146
ß) Die Substanz ist in diesem ihrem wirklichen Selbstbewußtsein sich wissend
und damit Objekt des Wissens.

Für ((294)) das Subjekt haben die sittliche Substanz, ihre Gesetze und Gewalten
einerseits als Gegenstand das Verhältnis, daß sie sind,
im höchsten Sinne der Selbständigkeit,
- eine absolute, unendlich festere Autorität und Macht als das Sein der Natur.


Anm.
Die Sonne, Mond, Berge, Flüsse,
überhaupt die umgebenden Naturobjekte sind,
sie haben für das Bewußtsein die Autorität, nicht nur überhaupt zu sein,
sondern auch eine besondere Natur zu haben,
welche es gelten läßt, nach ihr in seinem Verhalten zu ihnen,
seiner Beschäftigung mit ihnen und ihrem Gebrauche sich richtet.

Die Autorität der sittlichen Gesetze ist unendlich höher,
weil die Naturdinge nur auf die ganz äußerliche und vereinzelte Weise
die Vernünftigkeit darstellen
und sie unter die Gestalt der Zufälligkeit verbergen.


§ 147
Andererseits sind sie dem Subjekte nicht ein Fremdes,
sondern es gibt das Zeugnis des Geistes von ihnen
als von seinem eigenen Wesen, in welchem es sein Selbstgefühl hat
und darin als seinem von sich ununterschiedenen Elemente lebt,
- ein Verhältnis, das unmittelbar
noch identischer als selbst Glaube und Zutrauen ist.


Anm.
Glaube und Zutrauen gehören der beginnenden Reflexion an
und setzen eine Vorstellung und Unterschied voraus;
wie es z. B. verschieden wäre,
an die heidnische Religion glauben und ein Heide sein.

Jenes Verhältnis oder vielmehr [die] verhältnislose Identität,
in der das Sittliche die wirkliche Lebendigkeit des Selbstbewußtseins ist,
kann allerdings in ein Verhältnis des Glaubens und der Überzeugung ((295))
und in ein durch weitere Reflexion vermitteltes übergehen,
in eine Einsicht durch Gründe,
die auch von irgend besonderen Zwecken, Interessen und Rücksichten,
von Furcht oder Hoffnung oder von geschichtlichen Voraussetzungen
anfangen können.

Die adäquate Erkenntnis derselben aber gehört dem denkenden Begriffe an.


§ 148
Als diese substantiellen Bestimmungen
sind sie für das Individuum ((296)) ,
    welches sich von ihnen als das Subjektive und in sich Unbestimmte
    oder als [das] besonders Bestimmte unterscheidet,
    hiermit im Verhältnisse zu ihnen als zu seinem Substantiellen steht,
- Pflichten, für seinen Willen bindend.


Anm.
Die ethische Pflichtenlehre °, d. i. wie sie objektiv ist,
nicht in dem leeren Prinzip der moralischen Subjektivität befaßt sein soll,
als welches vielmehr nichts bestimmt (§ 134),
- ist daher die in diesem dritten Teile folgende
systematische Entwicklung des Kreises der sittlichen Notwendigkeit.

Der Unterschied dieser Darstellung von der Form einer Pflichtenlehre
liegt allein darin,
daß in dem Folgenden die sittlichen Bestimmungen
sich als die notwendigen Verhältnisse ergeben,
hierbei stehengeblieben und nicht zu jeder derselben
noch der Nachsatz gefügt wird:
also ist diese Bestimmung für den Menschen eine Pflicht °.

- Eine Pflichtenlehre, insofern sie nicht philosophische Wissenschaft ist,
nimmt aus den Verhältnissen als vorhandenen ihren Stoff
und zeigt den Zusammenhang desselben mit den eigenen Vorstellungen,
allgemein sich vorfindenden Grundsätzen und Gedanken,
Zwecken, Trieben, Empfindungen usf.
und kann als Gründe die weiteren Folgen einer jeden Pflicht
in Beziehung auf die anderen sittlichen Verhältnisse
sowie auf das Wohl und die Meinung hinzufügen.

Eine immanente und konsequente Pflichtenlehre
kann aber nichts anderes sein als die Entwicklung der Verhältnisse,
die durch die Idee der Freiheit notwendig,
und daher wirklich in ihrem ganzen Umfange, im Staat sind.


§ 149
Als Beschränkung kann die bindende Pflicht
nur gegen die unbestimmte Subjektivität oder abstrakte Freiheit
und gegen die Triebe des natürlichen
oder des sein unbestimmtes Gute
aus seiner Willkür bestimmenden moralischen Willens erscheinen.

Das Individuum hat aber in der Pflicht vielmehr ((297)) seine Befreiung,
teils von der Abhängigkeit, in der es in dem bloßen Naturtriebe steht,
sowie von der Gedrücktheit in der es als subjektive Besonderheit
in den moralischen Reflexionen des Sollens und Mögens ist,
teils von der unbestimmten Subjektivität,
die nicht zum Dasein und der objektiven Bestimmtheit des Handelns kommt
und in sich und als eine Unwirklichkeit bleibt.

In der Pflicht befreit das Individuum sich zur substantiellen Freiheit.


Zusatz.
Die Pflicht beschränkt nur die Willkür der Subjektivität
und stößt nur gegen das abstrakte Gute an, welches die Subjektivität festhält.

Wenn die Menschen sagen, wir wollen frei sein,
so heißt das zunächst nur, wir wollen abstrakt frei sein,
und jede Bestimmung und Gliederung im Staate
gilt für eine Beschränkung dieser Freiheit.

Die Pflicht ist insofern nicht Beschränkung der Freiheit,
sondern nur der Abstraktion derselben, das heißt der Unfreiheit:
sie ist das Gelangen zum Wesen, das Gewinnen der affirmativen Freiheit.


§ 150
Das Sittliche, insofern es sich an dem individuellen
durch die Natur bestimmten Charakter als solchem reflektiert,
ist die Tugend, die,
insofern sie nichts zeigt als die einfache Angemessenheit des Individuums
an die Pflichten der Verhältnisse, denen es angehört,
Rechtschaffenheit ist.


Anm.
Was der Mensch tun müsse, welches die Pflichten sind,
die er zu erfüllen hat, um tugendhaft zu sein,
ist in einem sittlichen Gemeinwesen leicht zu sagen,
- es ist nichts anderes von ihm zu tun,
als was ihm in seinen Verhältnissen
vorgezeichnet, ausgesprochen und bekannt ist.

Die Rechtschaffenheit ist das Allgemeine,
was an ihn teils rechtlich, teils sittlich gefordert werden kann.

Sie erscheint aber für den moralischen Standpunkt
leicht als etwas Untergeordneteres,
über das man an sich und andere noch mehr fordern müsse;
denn die Sucht, etwas Besonderes zu sein, genügt sich nicht mit dem,
was das Anundfürsichseiende und Allgemeine ist;
sie findet erst in einer Ausnahme das Bewußtsein der Eigentümlichkeit.

- Die verschiedenen Seiten der Rechtschaffenheit
können ebensogut ((298)) auch Tugenden genannt werden,
weil sie ebensosehr Eigentum
- obwohl in der Vergleichung mit anderen nicht besonderes -
des Individuums sind.

Das Reden aber von der Tugend grenzt leicht an leere Deklamation,
weil damit nur von einem Abstrakten und Unbestimmten gesprochen wird,
so wie auch solche Rede mit ihren Gründen und Darstellungen
sich an das Individuum als an eine Willkür und subjektives Belieben wendet.

Unter einem vorhandenen sittlichen Zustande,
dessen Verhältnisse vollständig entwickelt und verwirklicht sind,
hat die eigentliche Tugend nur
in außerordentlichen Umständen und Kollisionen jener Verhältnisse
ihre Stelle und Wirklichkeit;
- in wahrhaften Kollisionen, denn die moralische Reflexion
kann sich allenthalben Kollisionen erschaffen
und sich das Bewußtsein von etwas Besonderem
und von gebrachten Opfern geben.

Im ungebildeten Zustande der Gesellschaft und des Gemeinwesens
kommt deswegen mehr die Form der Tugend als solcher vor,
weil hier das Sittliche und dessen Verwirklichung
mehr ein individuelles Belieben
und eine eigentümliche geniale Natur des Individuums ist,
wie denn die Alten besonders von Herkules die Tugend prädiziert haben.

Auch in den alten Staaten,
weil in ihnen die Sittlichkeit nicht zu diesem freien System
einer selbständigen Entwicklung und Objektivität gediehen war,
musste es die eigentümliche Genialität der Individuen sein,
welche diesen Mangel ersetzte.

- Die Lehre von den Tugenden, insofern sie nicht bloß Pflichtenlehre ist,
somit das Besondere,
auf Naturbestimmtheit Gegründete des Charakters umfaßt,
wird hiermit eine geistige Naturgeschichte sein.


Indem die Tugenden das Sittliche in der Anwendung auf das Besondere
und nach dieser subjektiven Seite ein Unbestimmtes sind,
so tritt für ihre Bestimmung das Quantitative des Mehr und Weniger ein;
ihre Betrachtung führt daher
die gegenüberstehenden Mängel oder Laster herbei,
wie bei Aristoteles,
der die besondere Tugend daher ((299)) seinem richtigen Sinne nach
als die Mitte zwischen einem Zuviel und einem Zuwenig bestimmte.

- Derselbe Inhalt,
welcher die Form von Pflichten und dann von Tugenden annimmt,
ist es auch, der die Form von Trieben hat (§ 19 Anm.).

Auch sie haben denselben Inhalt zu ihrer Grundlage;
aber weil er in ihnen noch dem unmittelbaren Willen
und der natürlichen Empfindung angehört
und zur Bestimmung der Sittlichkeit nicht heraufgebildet ist,
so haben sie mit dem Inhalte der Pflichten und Tugenden
nur den abstrakten Gegenstand gemein,
der, als bestimmungslos in sich selbst,
die Grenze des Guten oder Bösen für sie nicht enthält,
- oder sie sind nach der Abstraktion des Positiven gut,
und umgekehrt nach der Abstraktion des Negativen böse (§ 18).



Zusatz.
Wenn ein Mensch dieses oder jenes Sittliche tut,
so ist er nicht gerade tugendhaft,
aber wohl dann, wenn diese Weise des Benehmens
eine Stetigkeit seines Charakters ist.

Die Tugend ist mehr die sittliche Virtuosität,
und wenn man heutzutage nicht so viel von Tugend spricht als sonst,
so hat dies seinen Grund darin, daß die Sittlichkeit
nicht mehr sosehr die Form eines besonderen ((300)) Individuums ist.

Die Franzosen sind hauptsächlich dasjenige Volk,
das am meisten von Tugend spricht,
weil bei ihnen das Individuum mehr Sache seiner Eigentümlichkeit
und einer natürlichen Weise des Handelns ist.

Die Deutschen dagegen sind mehr denkend,
und bei ihnen gewinnt derselbe Inhalt die Form der Allgemeinheit.


§ 151
Aber in der einfachen Identität mit der Wirklichkeit der Individuen
erscheint das Sittliche, als die allgemeine Handlungsweise derselben,
als Sitte,
- die Gewohnheit desselben als eine zweite Natur,
die an die Stelle des ersten bloß natürlichen Willens gesetzt
und die durchdringende Seele,
Bedeutung und Wirklichkeit ihres Daseins ist,
der als eine Welt lebendige und vorhandene Geist,
dessen Substanz so erst als Geist ist.


Zusatz.
Wie die Natur ihre Gesetze hat,
wie das Tier, die Bäume, die Sonne ihr Gesetz vollbringen,
so ist die Sitte das dem Geist der Freiheit Angehörende.

Was das Recht und die Moral noch nicht sind, das ist die Sitte, nämlich Geist.

Denn im Rechte ist die Besonderheit noch nicht die des Begriffs,
sondern nur des natürlichen Willens.

Ebenso ist auf dem Standpunkt der Moralität
das Selbstbewußtsein noch nicht geistiges Bewußtsein.

Es ist dabei nur um den Wert des Subjekts in sich selbst zu tun,
das heißt, das Subjekt, was sich nach dem Guten gegen das Böse bestimmt,
hat noch die Form der Willkür.

Hier hingegen auf dem sittlichen Standpunkt ist der Wille als Wille des Geistes
und hat einen substantiellen sich entsprechenden Inhalt.

Die Pädagogik ist die Kunst, die Menschen sittlich zu machen:
sie betrachtet den Menschen als natürlich und zeigt den Weg, ihn wiederzugebären,
seine erste Natur zu einer zweiten geistigen umzuwandeln,
so daß dieses Geistige in ihm zur Gewohnheit wird.

In ihr verschwindet der Gegensatz des natürlichen und subjektiven Willens,
der Kampf des Subjekts ist gebrochen,
und insofern gehört zum Sittlichen die Gewohnheit,
wie sie auch zum philosophischen Denken gehört,
da dieses erfordert, daß der Geist gegen willkürliche Einfälle gebildet sei
und diese gebrochen und überwunden seien,
damit das vernünftige Denken freien Weg hat.

Der Mensch stirbt auch aus Gewohnheit, das heißt,
wenn er sich ganz im Leben eingewohnt hat,
geistig und physisch stumpf geworden
und der Gegensatz von subjektivem Bewußtsein und geistiger Tätigkeit
verschwunden ist,
denn tätig ist der Mensch nur, insofern er etwas nicht erreicht hat
und sich in Beziehung darauf produzieren und geltend machen will.

Wenn dies vollbracht ist, verschwindet die Tätigkeit und Lebendigkeit,
und die Interesselosigkeit, die alsdann eintritt,
ist geistiger oder physischer Tod. >


§ 152
Die sittliche Substantialität ist auf diese Weise zu ihrem ((302)) Rechte
und dieses zu seinem Gelten gekommen,
daß in ihr nämlich die Eigenwilligkeit und das eigene Gewissen des Einzelnen,
    das für sich wäre und einen Gegensatz gegen sie machte,
verschwunden [ist],
indem der sittliche Charakter das unbewegte,
    aber in seinen Bestimmungen zur wirklichen Vernünftigkeit aufgeschlossene
Allgemeine als seinen bewegenden Zweck weiß
und seine Würde sowie alles Bestehen der besonderen Zwecke
in ihm gegründet erkennt und wirklich darin hat.

Die Subjektivität ist selbst die absolute Form
und die existierende Wirklichkeit der Substanz,
und der Unterschied des Subjekts von ihr
als seinem Gegenstande, Zwecke und Macht ist nur
der zugleich ebenso unmittelbar verschwundene Unterschied der Form.


Anm.
Die Subjektivität, welche den Boden der Existenz
für den Freiheitsbegriff ausmacht (§106)
und auf dem moralischen Standpunkte
noch im Unterschiede von diesem ihrem Begriff ist,
ist im Sittlichen die ihm adäquate Existenz desselben.


§ 153
Das Recht der Individuen für ihre subjektive Bestimmung zur Freiheit
hat darin, daß sie der sittlichen Wirklichkeit angehören, seine Erfüllung,
indem die Gewißheit ihrer Freiheit
in solcher Objektivität ihre Wahrheit hat
und sie im Sittlichen ihr eigenes Wesen,
ihre innere Allgemeinheit wirklich besitzen (§ 147).


Anm.
Auf die Frage eines Vaters
nach der besten Weise, seinen Sohn sittlich zu erziehen,
gab ein Pythagoreer (auch anderen ° wird sie in den Mund gelegt) die Antwort:
wenn du ihn zum Bürger eines Staats von guten Gesetzen machst. ((303))


Zusatz.
Die pädagogischen Versuche,
den Menschen dem allgemeinen Leben der Gegenwart zu entziehen
und auf dem Lande heraufzubilden (Rousseau im Emile),
sind vergeblich gewesen, weil es nicht gelingen kann,
den Menschen den Gesetzen der Welt zu entfremden.

Wenn auch die Bildung der Jugend in Einsamkeit geschehen muss,
so darf man ja nicht glauben,
daß der Duft der Geisterwelt nicht endlich durch diese Einsamkeit wehe
und daß die Gewalt des Weltgeistes zu schwach sei,
um sich dieser entlegenen Teile zu bemächtigen.

Darin, daß es Bürger eines guten Staates ist,
kommt erst das Individuum zu seinem Recht.


§ 154
Das Recht der Individuen an ihre Besonderheit
ist ebenso in der sittlichen Substantialität enthalten,
denn die Besonderheit ist die äußerlich erscheinende Weise,
in welcher das Sittliche existiert.


§ 155
In dieser Identität des allgemeinen und besonderen Willens
fällt somit Pflicht und Recht in Eins,
und der Mensch hat durch das Sittliche insofern Rechte, als er Pflichten,
und Pflichten, insofern er Rechte hat.

Im abstrakten Rechte habe Ich das Recht
und ein anderer die Pflicht gegen dasselbe,
- im Moralischen soll* nur das Recht meines eigenen Wissens und Wollens
sowie meines Wohls mit den Pflichten geeint und objektiv sein.


Zusatz.
Der Sklave kann keine Pflichten haben, und nur der freie Mensch hat solche.

Wären auf einer Seite alle Rechte, auf der anderen alle Pflichten,
so würde das Ganze sich auflösen,
denn nur die Identität ist die Grundlage, die wir hier festzuhalten haben.


§ 156
Die sittliche Substanz, als das für sich seiende Selbstbewußtsein
mit seinem Begriffe geeint enthaltend,
ist der wirkliche Geist einer Familie und eines Volks.


Zusatz.
Das Sittliche ist nicht abstrakt wie das Gute,
sondern in intensivem Sinne wirklich.

Der Geist hat Wirklichkeit, und die Akzidenzen derselben sind die Individuen.

Beim Sittlichen sind daher immer nur die zwei Gesichtspunkte möglich,
daß man entweder von der Substantialität ausgeht
oder atomistisch verfährt und von der Einzelheit als Grundlage hinaufsteigt:
dieser letztere Gesichtspunkt ist geistlos,
weil er nur zu einer Zusammensetzung führt,
der Geist aber nichts Einzelnes ist,
sondern Einheit des Einzelnen und Allgemeinen. ((305))


§ 157
Der Begriff dieser Idee ist nur als Geist, als sich Wissendes und Wirkliches,
indem er die Objektivierung seiner selbst,
die Bewegung durch die Form seiner Momente ist.

Er ist daher:
A. der unmittelbare oder natürliche sittliche Geist; - die Familie.

Diese Substantialität geht in den Verlust ihrer Einheit,
in die Entzweiung und in den Standpunkt des Relativen über und ist so
B. bürgerliche Gesellschaft,
eine Verbindung der Glieder als selbständiger Einzelner
in einer somit formellen Allgemeinheit,
durch ihre Bedürfnisse und durch die Rechtsverfassung
als Mittel der Sicherheit der Personen und des Eigentums
und durch eine äußerliche Ordnung
für ihre besonderen und gemeinsamen Interessen,
welcher äußerliche Staat sich

C. in den Zweck und die Wirklichkeit des substantiellen Allgemeinen
und des demselben gewidmeten öffentlichen Lebens
- in die Staatsverfassung zurück- und zusammennimmt.




Erster Abschnitt Die Familie




§ 158
Die Familie hat als die unmittelbare Substantialität des Geistes
seine sich empfindende Einheit, die Liebe, zu ihrer Bestimmung,
so daß die Gesinnung ist, das Selbstbewußtsein seiner Individualität
in dieser Einheit als an und für sich seiender Wesentlichkeit zu haben,
um in ihr nicht als eine Person für sich, sondern als Mitglied zu sein.
 

Zusatz.
Liebe heißt überhaupt das Bewußtsein meiner Einheit mit einem anderen,
so daß ich für mich nicht isoliert bin,
sondern mein Selbstbewußtsein nur als Aufgebung meines Fürsichseins gewinne
und durch das Mich-Wissen,
als der Einheit meiner mit dem anderen und des anderen mit mir.

Die Liebe ist aber Empfindung,
das heißt die Sittlichkeit in Form des Natürlichen;
im Staate ist sie nicht mehr:
da ist man sich der Einheit als des Gesetzes bewußt, ((307))
da muss der Inhalt vernünftig sein, und ich muss ihn wissen.

Das erste Moment in der Liebe ist,
daß ich keine selbständige Person für mich sein will
und daß, wenn ich dies wäre, ich mich mangelhaft und unvollständig fühle.

Das zweite Moment ist, daß ich mich in einer anderen Person gewinne,
daß ich in ihr gelte, was sie wiederum in mir erreicht.

Die Liebe ist daher der ungeheuerste Widerspruch,
den der Verstand nicht lösen kann,
indem es nichts Härteres gibt als diese Punktualität des Selbstbewußtseins,
die negiert wird und die ich doch als affirmativ haben soll.

Die Liebe ist das Hervorbringen und die Auflösung des Widerspruchs zugleich:
als die Auflösung ist sie die sittliche Einigkeit.
 

§ 159
Das Recht, welches dem Einzelnen auf dem Grund der Familieneinheit zukommt
und was zunächst sein Leben in dieser Einheit selbst ist,
tritt nur insofern in die Form Rechtens
als des abstrakten Moments der bestimmten Einzelheit hervor,
als die Familie in die Auflösung übergeht
und die, welche als Glieder sein sollen,
in ihrer Gesinnung und Wirklichkeit als selbständige Personen werden
und, was sie in der Familie für ein bestimmtes Moment ausmachten,
nun in der Absonderung, also nur nach äußerlichen Seiten
(Vermögen, Alimentation, Kosten der Erziehung u. dgl.) erhalten. ((308))


Zusatz. § 159  
Das Recht der Familie besteht eigentlich darin,
daß ihre Substantialität Dasein haben soll;
es ist also ein Recht gegen die Äußerlichkeit
und gegen das Heraustreten aus dieser Einheit.

Dagegen ist aber wieder die Liebe eine Empfindung, ein Subjektives,
gegen das die Einigkeit sich nicht geltend machen kann.

Wenn also die Einigkeit gefordert wird,
so kann sie es nur in Beziehung auf solche Dinge,
die ihrer Natur nach äußerlich sind
und nicht durch die Empfindung bedingt werden.


§ 160
Die Familie vollendet sich in den drei Seiten:
a) in der Gestalt ihres unmittelbaren Begriffes als Ehe,
b) in dem äußerlichen Dasein, dem Eigentum und Gut der Familie
und der Sorge dafür;
c) in der Erziehung der Kinder und der Auflösung der Familie.


 

A. DIE EHE




§ 161
Die Ehe enthält, als das unmittelbare sittliche Verhältnis
erstens das Moment der natürlichen Lebendigkeit
und zwar als substantielles Verhältnis die Lebendigkeit in ihrer Totalität,
nämlich als Wirklichkeit der Gattung und deren Prozeß.
(S. Enzyklop. der philos. Wissensch. § 167 ff. und 288 ff.) °

Aber im Selbstbewußtsein wird
zweitens die nur innerliche oder an sich seiende
und eben damit in ihrer Existenz
nur ((309)) äußerliche Einheit der natürlichen Geschlechter
in eine geistige, in selbstbewußte Liebe, umgewandelt.
 

Zusatz. § 161
Die Ehe ist wesentlich ein sittliches Verhältnis.

Früher ist, besonders in den meisten Naturrechten,
dieselbe nur nach der physischen Seite hin angesehen worden,
nach demjenigen, was sie von Natur ist.

Man hat sie so nur als ein Geschlechtsverhältnis betrachtet,
und jeder Weg zu den übrigen Bestimmungen der Ehe blieb verschlossen.

Ebenso roh ist es aber, die Ehe bloß als einen bürgerlichen Kontrakt zu begreifen,
eine Vorstellung, die auch noch bei Kant vorkommt,
wo denn die gegenseitige Willkür über die Individuen sich verträgt
und die Ehe zur Form eines gegenseitigen vertragsmäßigen Gebrauchs
herabgewürdigt wird.

Die dritte ebenso zu verwerfende Vorstellung ist die,
welche die Ehe nur in die Liebe setzt,
denn die Liebe, welche Empfindung ist,
läßt die Zufälligkeit in jeder Rücksicht zu,
eine Gestalt, welche das Sittliche nicht haben darf.

Die Ehe ist daher näher so zu bestimmen,
daß sie die rechtlich sittliche Liebe ist,
wodurch das Vergängliche, Launenhafte und bloß Subjektive derselben
aus ihr verschwindet.


§ 162
Als subjektiver Ausgangspunkt der Ehe
kann mehr die besondere Neigung der beiden Personen,
die in dies Verhältnis treten,
oder die Vorsorge und Veranstaltung der Eltern usf. erscheinen;
der objektive Ausgangspunkt aber ist die freie Einwilligung der Personen,
und zwar dazu, eine * Person auszumachen,
ihre natürliche und einzelne Persönlichkeit in jener Einheit aufzugeben,
welche nach dieser Rücksicht eine ((310)) Selbstbeschränkung
aber eben, indem sie in ihr ihr substantielles Selbstbewußtsein gewinnen,
ihre Befreiung ist.
 

Anm. § 162
Die objektive Bestimmung, somit die sittliche Pflicht,
ist, in den Stand der Ehe zu treten.

Wie der äußerliche Ausgangspunkt beschaffen ist, ist seiner Natur nach zufällig
und hängt insbesondere von der Bildung der Reflexion ab.

Die Extreme hierin sind
das eine, daß die Veranstaltung der wohlgesinnten Eltern den Anfang macht
und in den zur Vereinigung der Liebe füreinander bestimmt werdenden Personen
hieraus, daß sie sich, als hierzu bestimmt, bekannt werden, die Neigung entsteht,
- das andere, daß die Neigung in den Personen,
als in diesen unendlich partikularisierten, zuerst erscheint.

- Jenes Extrem oder überhaupt der Weg,
worin der Entschluß zur Verehelichung den Anfang macht
und die Neigung zur Folge hat,
so daß bei der wirklichen Verheiratung nun beides vereinigt ist,
kann selbst als der sittlichere Weg angesehen werden.

- In dem andern Extrem ist es die unendlich besondere Eigentümlichkeit,
welche ihre Prätentionen geltend macht
und mit dem subjektiven Prinzip der modernen Welt (s. oben § 124 Anm.)
zusammenhängt.

- In den ° modernen Dramen und anderen Kunstdarstellungen aber,
wo die Geschlechterliebe das Grundinteresse ausmacht,
wird das Element von durchdringender Frostigkeit, das darin angetroffen wird,
in die Hitze der dargestellten Leidenschaft
durch die damit verknüpfte gänzliche Zufälligkeit, dadurch nämlich gebracht,
daß das ganze Interesse als nur auf diesen beruhend vorgestellt wird,
was wohl für diese von unendlicher Wichtigkeit sein kann,
aber es an sich nicht ist. ((311))


Zusatz. § 162
Bei Völkern, wo das weibliche Geschlecht in geringer Achtung steht,
verfügen die Eltern über die Ehe nach ihrer Willkür,
ohne die Individuen zu fragen, und diese lassen es sich gefallen,
da die Besonderheit der Empfindung noch keine Prätention macht.

Dem Mädchen ist es nur um einen Mann,
diesem um eine Frau überhaupt zu tun.

In anderen Zuständen können Rücksichten des Vermögens,
der Konnexion, politische Zwecke das Bestimmende sein.

Hier können große Härten vorfallen,
indem die Ehe zum Mittel für andere Zwecke gemacht wird.

In den modernen Zeiten wird dagegen der subjektive Ausgangspunkt,
das Verliebtsein, als der allein wichtige angesehen.

Man stellt sich hier vor, jeder müsse warten, bis seine Stunde geschlagen hat,
und man könne nur einem bestimmten Individuum seine Liebe schenken.


§ 163
Das Sittliche der Ehe
besteht in dem Bewußtsein dieser Einheit als substantiellen Zweckes,
hiermit in der Liebe,
dem Zutrauen und der Gemeinsamkeit der ganzen individuellen Existenz,
- in welcher Gesinnung und Wirklichkeit der natürliche Trieb
zur Modalität eines Naturmoments,
das eben in seiner Befriedigung zu erlöschen bestimmt ist, herabgesetzt wird,
das geistige Band in seinem Rechte als das Substantielle,
hiermit als das über die Zufälligkeit der Leidenschaften
und des zeitlichen besonderen Beliebens Erhabene,
an sich Unauflösliche sich heraushebt.
 

Anm. § 163
Daß die Ehe nicht das Verhältnis
eines Vertrags über ihre wesentliche Grundlage ist, ist oben bemerkt worden (§75),
denn sie ist gerade dies, vom Vertragsstandpunkte
der in ihrer Einzelheit selbständigen Persönlichkeit
auszugehen, um ihn aufzuheben.

Die Identifizierung der Persönlichkeiten,
wodurch die Familie eine*  Person ist
und die Glieder derselben Akzidenzen [sind]
(die Substanz ((313)) ist aber wesentlich das Verhältnis zu ° ihr selbst
von Akzidenzen; s. Enzyklop. der philos. Wissensch., § 985),
ist der sittliche Geist,
der für sich - abgestreift von der mannigfaltigen Äußerlichkeit,
die er in seinem Dasein als in diesen Individuen und den in der Zeit
und auf mancherlei Weisen bestimmten Interessen der Erscheinung hat -
als eine Gestalt für die Vorstellung herausgehoben, als die Penaten usf.
verehrt worden ist und überhaupt das ausmacht,
worin der religiöse Charakter der Ehe und Familie, die Pietät, liegt.

Es ist eine weitere Abstraktion,
wenn das Göttliche, Substantielle von seinem Dasein getrennt
und so auch die Empfindung und das Bewußtsein der geistigen Einheit
als fälschlich sogenannte platonische Liebe fixiert worden ist;
diese Trennung hängt mit der mönchischen Ansicht zusammen,
durch welche das Moment der natürlichen Lebendigkeit
als das schlechthin Negative bestimmt und ihm eben durch diese Trennung
eine unendliche Wichtigkeit für sich gegeben wird.


Zusatz. § 163
Die Ehe unterscheidet sich dadurch vom Konkubinat, daß es bei diesem letzteren
hauptsächlich auf die Befriedigung des Naturtriebes ankommt,
während dieser bei der Ehe zurückgedrängt ist.

Deswegen wird bei der Ehe ohne Erröten von natürlichen Ereignissen gesprochen,
die bei unehelichen Verhältnissen ein Schamgefühl hervorbrächten.

Darum ist aber auch die Ehe an sich für unauflöslich zu achten;
denn der Zweck der Ehe ist der sittliche, der so hoch steht,
daß alles andere dagegen gewaltlos und ihm unterworfen erscheint.

Die Ehe soll nicht durch Leidenschaft ((314)) gestört werden,
denn diese ist ihr untergeordnet.

Aber sie ist nur an sich unauflöslich, denn wie Christus sagt:

Nur um ihres Herzens Härtigkeit ist die Scheidung zugestanden. °

Weil die Ehe das Moment der Empfindung enthält, ist sie nicht absolut,
sondern schwankend und hat die Möglichkeit der Auflösung in sich.

Aber die Gesetzgebungen müssen diese Möglichkeit aufs höchste erschweren
und das Recht der Sittlichkeit gegen das Belieben aufrechterhalten.


§ 164
Wie die Stipulation des Vertrags
schon für sich den wahrhaften Übergang des Eigentums enthält (§ 79),
so macht die feierliche Erklärung
der Einwilligung zum sittlichen Bande der Ehe
und die entsprechende Anerkennung und Bestätigung desselben
durch die Familie und Gemeinde
(daß in dieser Rücksicht die Kirche eintritt, ist eine weitere,
hier nicht auszuführende Bestimmung)
die förmliche Schließung und Wirklichkeit der Ehe aus,
so daß diese Verbindung nur durch das Vorangehen dieser Zeremonie
als der Vollbringung des Substantiellen durch das Zeichen, die Sprache,
als das geistigste Dasein des Geistigen (§ 78), als sittlich konstituiert ist.

Damit ist das sinnliche, der natürlichen Lebendigkeit angehörige Moment
in sein sittliches Verhältnis als eine Folge und Akzidentalität gesetzt,
welche dem äußerlichen Dasein der sittlichen Verbindung angehört,
die auch in der gegenseitigen Liebe und Beihilfe allein erschöpft sein kann.
 

Anm. § 164
Wenn danach gefragt wird,
was als der Hauptzweck der Ehe angesehen werden müsse,
um daraus die gesetzlichen Bestimmungen schöpfen oder beurteilen zu können,
so wird unter diesem Hauptzwecke verstanden,
welche von den einzelnen Seiten ihrer Wirklichkeit
als die vor den anderen wesentliche angenommen werden müsse.

Aber keine für sich macht den ganzen Umfang
ihres an und für sich seienden Inhalts, des Sittlichen, aus,
und die eine oder die andere Seite ihrer Existenz kann,
unbeschadet des Wesens der Ehe, fehlen.

- Wenn das schließen der ((315)) Ehe als solches,
die Feierlichkeit, wodurch das Wesen dieser Verbindung
als ein über das Zufällige der Empfindung und besonderer Neigung
erhabenes Sittliches ausgesprochen und konstatiert wird,
für eine äußerliche Formalität
und ein sogenanntes bloß bürgerliches Gebot genommen wird,
so bleibt diesem Akte nichts übrig, als etwa den Zweck der Erbaulichkeit
und der Beglaubigung des bürgerlichen Verhältnisses zu haben
oder gar die bloß positive Willkür
eines bürgerlichen oder kirchlichen Gebotes zu sein,
das der Natur der Ehe nicht nur gleichgültig sei,
sondern das auch, insofern von dem Gemüt
von wegen des Gebots ein Wert auf dies förmliche schließen gelegt
und als voranzugehende Bedingung
der gegenseitigen vollkommenen Hingebung angesehen werde,
die Gesinnung der Liebe veruneinige °
und als ein Fremdes der Innigkeit dieser Einigung zuwiderlaufe.

Solche Meinung, indem sie den höchsten Begriff von der Freiheit,
Innigkeit und Vollendung der Liebe zu geben die Prätention hat,
leugnet vielmehr das Sittliche der Liebe,
die höhere Hemmung und Zurücksetzung des bloßen Naturtriebs,
welche schon auf eine natürliche Weise in der Scham enthalten ist
und durch das bestimmtere geistige Bewußtsein
zur Keuschheit und Zucht erhoben ist.

Näher ist durch jene Ansicht die sittliche Bestimmung verworfen,
die darin besteht, daß das Bewußtsein sich aus seiner Natürlichkeit
und Subjektivität zum Gedanken des Substantiellen sammelt
und, statt sich das Zufällige
und die Willkür der sinnlichen Neigung immer noch vorzubehalten,
die Verbindung dieser Willkür entnimmt
und dem Substantiellen, den Penaten sich verpflichtend, übergibt
und das sinnliche Moment
zu einem von dem Wahrhaften und Sittlichen des Verhältnisses
und der Anerkennung der Verbindung als einer sittlichen nur bedingten herabsetzt.

- Es ist die Frechheit und der sie unterstützende Verstand,
welcher die ((316)) spekulative Natur des substantiellen Verhältnisses
nicht zu fassen vermag,
der aber das sittliche unverdorbene Gemüt
wie die Gesetzgebungen christlicher Völker entsprechend sind.
 
Zusatz. § 164
Daß die Zeremonie der Schließung der Ehe überflüssig
und eine Formalität sei, die weggelassen werden könnte,
weil die Liebe das Substantielle ist
und sogar durch diese Feierlichkeit an Wert verliert,
ist von Friedrich v. Schlegel in der Lucinde
und von einem Nachtreter desselben in den Briefen eines Ungenannten (Lübeck und Leipzig 1800)°
aufgestellt worden.

Die sinnliche Hingebung wird dort vorgestellt
als gefordert für den Beweis der Freiheit und Innigkeit der Liebe,
eine Argumentation, die Verführern nicht fremd ist.

Es ist über das Verhältnis von Mann und Frau zu bemerken,
daß das Mädchen in der sinnlichen Hingebung ihre Ehre aufgibt,
was bei dem Manne,
der noch ein anderes Feld seiner sittlichen Tätigkeit als die Familie hat,
nicht so der Fall ist.
 
Die Bestimmung des Mädchens
besteht wesentlich nur im Verhältnis ((317)) der Ehe;
die Forderung ist also, daß die Liebe die Gestalt der Ehe erhalte
und daß die verschiedenen Momente, die in der Liebe sind,
ihr wahrhaft vernünftiges Verhältnis zueinander bekommen.


§ 165
Die natürliche Bestimmtheit der beiden Geschlechter
erhält durch ihre Vernünftigkeit intellektuelle und sittliche Bedeutung.

Diese Bedeutung ist durch den Unterschied bestimmt,
in welchen sich die sittliche Substantialität als Begriff an sich selbst dirimiert,
um aus ihm ihre Lebendigkeit als konkrete Einheit zu gewinnen.


§ 166
Das eine ist daher das Geistige,
als das sich Entzweiende in die für sich seiende persönliche Selbständigkeit
und in das Wissen und Wollen der freien Allgemeinheit,
[in] das Selbstbewußtsein des begreifenden Gedankensund [in das] Wollen des objektiven Endzwecks,
- das andere das in der Einigkeit sich erhaltende Geistige
als Wissen und Wollen des Substantiellen
in Form der konkreten Einzelheit und der Empfindung;
- jenes im Verhältnis nach außen das Mächtige und Betätigende,
dieses das Passive und Subjektive.

Der ((318)) Mann hat daher sein wirkliches substantielles Leben
im Staate, der Wissenschaft und dergleichen,
und sonst im Kampfe und der Arbeit mit der Außenwelt und mit sich selbst,
so daß er nur aus seiner Entzweiung die selbständige Einigkeit mit sich erkämpft,
deren ruhige Anschauung und die empfindende subjektive Sittlichkeit
er in der Familie hat,
in welcher die Frau ihre substantielle Bestimmung
und in dieser Pietät ihre sittliche Gesinnung hat.
 

Anm. § 166
Die Pietät wird daher in einer der erhabensten Darstellungen derselben,
der Sophokleischen Antigone, vorzugsweise als das Gesetz des Weibes ausgesprochen
und als das Gesetz der empfindenden subjektiven Substantialität,
der Innerlichkeit, die noch nicht ihre vollkommene Verwirklichung erlangt,
als das Gesetz der alten Götter, des Unterirdischen,
als ewiges Gesetz, von dem niemand weiß, von wannen es erschien,
und im Gegensatz gegen das offenbare, das Gesetz des Staates dargestellt
- ein Gegensatz, der der höchste sittliche und darum der höchste tragische
und in der Weiblichkeit und Männlichkeit daselbst individualisiert ist;
vgl. Phänomenologie des Geistes, S. 383 ff., 417 ff.°.
 

Zusatz. § 166
Frauen können wohl gebildet sein,
aber für die höheren Wissenschaften, die Philosophie
und für gewisse Produktionen der Kunst, die ein Allgemeines fordern,
sind sie nicht gemacht.

Frauen können Einfälle, Geschmack, Zierlichkeit haben,
aber das Ideale haben sie nicht.

Der Unterschied zwischen Mann und Frau ist der des Tieres und der Pflanze:
das Tier entspricht mehr dem Charakter ((319)) des Mannes,
die Pflanze mehr dem der Frau, denn sie ist mehr ruhiges Entfalten,
das die unbestimmtere Einigkeit der Empfindung zu seinem Prinzip erhält.

Stehen Frauen an der Spitze der Regierung, so ist der Staat in Gefahr,
denn sie handeln nicht nach den Anforderungen der Allgemeinheit,
sondern nach zufälliger Neigung und Meinung.

Die Bildung der Frauen geschieht, man weiß nicht wie,
gleichsam durch die Atmosphäre der Vorstellung,
mehr durch das Leben als durch das Erwerben von Kenntnissen,
während der Mann seine Stellung nur durch die Errungenschaft des Gedankens
und durch viele technische Bemühungen erlangt.


§ 167
Die Ehe ist wesentlich Monogamie,
weil die Persönlichkeit, die unmittelbare ausschließende Einzelheit es ist,
welche sich in dies Verhältnis legt und hingibt,
dessen Wahrheit und Innigkeit (die subjektive Form der Substantialität )
somit nur aus der gegenseitigen
ungeteilten Hingebung dieser Persönlichkeit hervorgeht;
diese kommt zu ihrem Rechte, im anderen ihrer selbst bewußt zu sein,
nur insofern das andere als Person,
d. i. als atome Einzelheit in dieser Identität ist.


Anm. § 167
Die Ehe, und wesentlich die Monogamie, ist eines der absoluten Prinzipien,
worauf die Sittlichkeit eines Gemeinwesens beruht;
die Stiftung der Ehe wird daher als eines der Momente
der göttlichen oder heroischen Gründung der Staaten aufgeführt. ((320))


§ 168
Weil es ferner diese sich selbst unendlich eigene Persönlichkeit
der beiden Geschlechter ist, aus deren freier Hingebung die Ehe hervorgeht,
so muss sie nicht innerhalb des schon natürlich-identischen,
sich bekannten und in aller Einzelheit vertraulichen Kreises,
in welchem die Individuen
nicht eine sich selbst eigentümliche Persönlichkeit gegeneinander haben,
geschlossen werden,
sondern aus getrennten Familien
und ursprünglich verschiedener Persönlichkeit sich finden.

Die ((321)) Ehe unter Blutsverwandten ist daher dem Begriffe,
welchem die Ehe als eine sittliche Handlung der Freiheit,
nicht als eine Verbindung unmittelbarer Natürlichkeit und deren Triebe ist,
somit auch wahrhafter natürlicher Empfindung zuwider.
 

Anm. § 168
Wenn man die Ehe selbst als nicht im Naturrecht,
sondern bloß als im natürlichen Geschlechtstrieb gegründet
und als einen willkürlichen Vertrag betrachtet,
ebenso, wenn man für die Monogamie äußere Gründe
sogar aus dem physischen Verhältnisse der Anzahl der Männer und Weiber,
ebenso für das Verbot der Ehe unter Blutsverwandten
nur dunkle Gefühle angegeben hat:
so lag dabei die gewöhnliche Vorstellung von einem Naturzustande
und einer Natürlichkeit des Rechts
und der Mangel am Begriffe der Vernünftigkeit und Freiheit zum Grunde.
 

Zusatz. § 168
Zunächst ist die Ehe zwischen Blutsverwandten
schon dem Gefühle der Scham entgegengesetzt,
aber dieses Zurückschauern ist im Begriff der Sache gerechtfertigt.

Was nämlich schon vereinigt ist, kann nicht erst durch die Ehe vereinigt werden.

Von der Seite des bloß natürlichen Verhältnisses ist es bekannt,
daß die Begattungen unter einer Familie von Tieren
schwächlichere Früchte erzeugen,
denn was sich vereinigen soll, muss ein vorher Getrenntes sein;
die Kraft der Zeugung wie des Geistes ist desto größer,
je größer auch die Gegensätze sind, aus denen sie sich wiederherstellt. ((322))

Die Vertraulichkeit, Bekanntschaft, Gewohnheit des gemeinsamen Tuns
soll noch nicht vor der Ehe sein: sie soll erst in derselben gefunden werden,
und dies Finden hat um so höheren Wert,
je reicher es ist und je mehr Teile es hat.


§ 169
Die Familie hat als Person ihre äußerliche Realität in einem Eigentum,
in dem sie das Dasein ihrer substantiellen Persönlichkeit
nur als in einem Vermögen hat.




B. DAS VERMÖGEN DER FAMILIE




§ 170
Die Familie hat nicht nur Eigentum,
sondern für sie als allgemeine und fortdauernde Person
tritt das Bedürfnis und die Bestimmung eines bleibenden und sicheren Besitzes,
eines Vermögens ein.

Das im abstrakten Eigentum willkürliche Moment
des besonderen Bedürfnisses des bloß Einzelnen
und die Eigensucht der Begierde
verändert sich hier in die Sorge und den Erwerb für ein Gemeinsames,
in ein Sittliches.


Anm. § 170
Einführung des festen Eigentums erscheint mit Einführung der Ehe
in den Sagen von den Stiftungen der Staaten,
oder wenigstens eines geselligen gesitteten Lebens, in Verbindung.

Worin übrigens jenes Vermögen bestehe
und welches die wahrhafte Weise seiner Befestigung sei,
ergibt sich in der Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft. ((323))


§ 171
Die Familie als rechtliche Person gegen andere
hat der Mann als ihr Haupt zu vertreten.

Ferner kommt ihm vorzüglich der Erwerb nach außen, die Sorge für die Bedürfnisse
sowie die Disposition und Verwaltung des Familienvermögens zu.

Dieses ist gemeinsames Eigentum,
so daß kein Glied der Familie ein besonderes Eigentum,
jedes aber sein Recht an das Gemeinsame hat.

Dieses Recht und jene dem Haupte der Familie zustehende Disposition
können aber in Kollision kommen,
indem das in der Familie noch Unmittelbare der sittlichen Gesinnung (§ 158)
der Besonderung und Zufälligkeit offen ist.
 

§ 172
Durch eine Ehe konstituiert sich eine neue Familie,
welche ein für sich Selbständiges gegen die Stämme oder Häuser ist,
von denen sie ausgegangen ist;
die Verbindung mit solchen hat die natürliche Blutsverwandtschaft zur Grundlage,
die neue Familie aber die sittliche Liebe.

Das Eigentum eines Individuums steht daher auch
in wesentlichem Zusammenhang mit seinem Eheverhältnis
und nur in entfernterem mit seinem Stamme oder Hause.
 

Anm. § 172
Die Ehepakten, wenn in ihnen
für die Gütergemeinschaft der Eheleute eine Beschränkung liegt,
die Anordnung eines bestehenden Rechtsbeistandes der Frau u. dgl.
haben insofern den Sinn, gegen den Fall der Trennung der Ehe
durch natürlichen Tod, Scheidung u. dgl. gerichtet
und Sicherungsversuche zu sein,
wodurch den unterschiedenen ((324)) Gliedern auf solchen Fall
ihr Anteil an dem Gemeinsamen erhalten wird.


Zusatz. § 172
In vielen Gesetzgebungen ist der weitere Umfang der Familie festgehalten
und dieser wird als das wesentliche Band angesehen,
während das andere einer jeden speziellen Familie dagegen geringer erscheint.

So ist im älteren römischen Recht die Frau der laxen Ehe in näherem Verhältnis
zu ihren Verwandten als zu ihren Kindern und zu ihrem Manne,
und in den Zeiten des Feudalrechts
machte die Erhaltung des splendor familiae es notwendig,
daß nur die männlichen Glieder dazu gerechnet wurden
und daß das Ganze der Familie für die Hauptsache galt,
während die neugebildete dagegen verschwand.

Trotzdem ist jede neue Familie das Wesentlichere
gegen den weiteren Zusammenhang der Blutsverwandtschaft,
und Ehegatten und Kinder bilden den eigentlichen Kern,
im Gegensatz dessen, was man im gewissen Sinne auch Familie nennt.

Das Vermögensverhältnis der Individuen
muss daher einen wesentlicheren Zusammenhang mit der Ehe
als mit der weiteren Blutsverwandtschaft haben.




C. DIE ERZIEHUNG DER KINDER UND DIE AUFLÖSUNG DER FAMILIE



§ 173
In den Kindern wird die Einheit der Ehe,
welche als substantiell nur Innigkeit und Gesinnung,
als existierend aber in den beiden Subjekten gesondert ist,
als Einheit selbst eine für sich seiende Existenz
und Gegenstand, den sie als ihre Liebe, als ihr substantielles Dasein, lieben.

- Der natürlichen Seite nach
wird die Voraussetzung unmittelbar vorhandener ((325)) Personen
- als Eltern - hier zum Resultate,
ein Fortgang, der sich in den unendlichen Progreß
der sich erzeugenden und voraussetzenden Geschlechter verläuft,
- die Weise, wie in der endlichen Natürlichkeit
der einfache Geist der Penaten seine Existenz als Gattung darstellt.


Zusatz. § 173
Zwischen Mann und Frau ist das Verhältnis der Liebe noch nicht objektiv;
denn wenn die Empfindung auch die substantielle Einheit ist,
so hat diese noch keine Gegenständlichkeit.
 
Eine solche erlangen die Eltern erst in ihren Kindern,
in welchen sie das Ganze der Vereinigung vor sich haben.

Die Mutter liebt im Kinde den Gatten, dieser darin die Gattin;
beide haben in ihm ihre Liebe vor sich.

Während im Vermögen die Einheit nur in einer äußerlichen Sache ist,
ist sie in den Kindern in einem Geistigen,
in dem die Eltern geliebt werden und das sie lieben.


§ 174
Die Kinder haben das Recht,
aus dem gemeinsamen Familienvermögen ernährt und erzogen zu werden.

Das Recht der Eltern auf die Dienste der Kinder als Dienste
gründet und beschränkt sich auf das Gemeinsame der Familiensorge überhaupt.

Ebenso bestimmt sich das Recht der Eltern über die Willkür der Kinder
durch den Zweck, sie in Zucht zu halten und zu erziehen.

Der Zweck von Bestrafungen ist nicht die Gerechtigkeit als solche,
sondern subjektiver, moralischer Natur,
Abschreckung der noch in Natur befangenen Freiheit
und Erhebung des Allgemeinen in ihr Bewußtsein und ihren Willen. ((326))


Zusatz. § 174
Was der Mensch sein soll, hat er nicht aus Instinkt,
sondern er hat es sich erst zu erwerben.

Darauf begründet sich das Recht des Kindes, erzogen zu werden.

Ebenso ist es mit den Völkern bei väterlichen Regierungen:
hier werden die Menschen aus Magazinen ernährt
und nicht als Selbständige und Majorenne angesehen.

Die Dienste, die von den Kindern gefordert werden dürfen,
können daher nur den Zweck der Erziehung haben
und sich auf dieselbe beziehen:
sie müssen nicht für sich etwas sein wollen,
denn das unsittlichste Verhältnis überhaupt ist das Sklavenverhältnis der Kinder.

Ein Hauptmoment der Erziehung ist die Zucht,
welche den Sinn hat, den Eigenwillen des Kindes zu brechen,
damit das bloß Sinnliche und Natürliche ausgereutet werde.
 
Hier muss man nicht meinen, bloß mit Güte auszukommen;
denn gerade der unmittelbare Wille
handelt nach unmittelbaren Einfällen und Gelüsten,
nicht nach Gründen und Vorstellungen.

Legt man den Kindern Gründe vor,
so überläßt man es denselben, ob sie diese wollen gelten lassen,
und stellt daher alles in ihr Belieben.

Daran, daß die Eltern das Allgemeine und Wesentliche ausmachen,
schließt sich das Bedürfnis des Gehorsams der Kinder an.

Wenn das Gefühl der Unterordnung bei den Kindern,
das die Sehnsucht, groß zu werden, hervorbringt, nicht genährt wird,
so entsteht vorlautes Wesen und Naseweisheit.


§ 175
Die Kinder sind an sich Freie,
und das Leben ist das unmittelbare Dasein nur dieser Freiheit,
sie gehören daher weder anderen noch den Eltern als Sachen an.

Ihre Erziehung hat die in Rücksicht auf das Familienverhältnis positive Bestimmung,
daß die Sittlichkeit in ihnen zur unmittelbaren,
noch gegensatzlosen Empfindung gebracht [werde]
und das Gemüt darin, als dem Grunde des sittlichen Lebens,
in Liebe, Zutrauen und Gehorsam sein erstes Leben gelebt habe,
- dann aber die in Rücksicht auf dasselbe Verhältnis negative Bestimmung,
die Kinder aus der natürlichen Unmittelbarkeit,
in der sie sich ursprünglich befinden,
zur Selbständigkeit und freien Persönlichkeit und damit zur Fähigkeit, ((327))
aus der natürlichen Einheit der Familie zu treten, zu erheben.


Anm. § 175
Das Sklavenverhältnis der römischen Kinder
ist eine der diese Gesetzgebung befleckendsten Institutionen,
und diese Kränkung der Sittlichkeit in ihrem innersten und zartesten Leben
ist eins der wichtigsten Momente,
den weltgeschichtlichen Charakter der Römer
und ihre Richtung auf den Rechtsformalismus zu verstehen.

- Die Notwendigkeit, erzogen zu werden,
ist in den Kindern als das eigene Gefühl,
in sich, wie sie sind, unbefriedigt zu sein,
- als der Trieb, der Welt der Erwachsenen, die sie als ein Höheres ahnen,
anzugehören, der Wunsch, groß zu werden.

Die spielende Pädagogik
nimmt das Kindische schon selbst als etwas, das an sich gelte,
gibt es den Kindern so
und setzt ihnen das Ernsthafte und sich selbst
in kindische, von den Kindern selbst gering geachtete Form herab.

Indem sie so dieselben in der Unfertigkeit, in der sie sich fühlen,
vielmehr als fertig vorzustellen und darin befriedigt zu machen bestrebt ist,
stört und verunreinigt sie deren wahres eigenes besseres Bedürfnis
und bewirkt teils die Interesselosigkeit und Stumpfheit
für die substantiellen Verhältnisse der geistigen Welt,
teils die Verachtung der Menschen, da sich ihnen als Kindern
dieselben selbst kindisch und verächtlich vorgestellt haben,
und dann die sich an der eigenen Vortrefflichkeit weidende
Eitelkeit und Eigendünkel. ((328))


Zusatz. § 175
Als Kind muss der Mensch im Kreise der Liebe
und des Zutrauens bei den Eltern gewesen sein,
und das Vernünftige muss als seine eigenste Subjektivität in ihm erscheinen.

Vorzüglich ist in der ersten Zeit die Erziehung der Mutter wichtig,
denn die Sittlichkeit muss als Empfindung in das Kind gepflanzt worden sein.

Es ist zu bemerken, daß im ganzen die Kinder die Eltern weniger lieben
als die Eltern die Kinder, denn sie gehen der Selbständigkeit entgegen
und erstarken, haben also die Eltern hinter sich,
während die Eltern
in ihnen die objektive Gegenständlichkeit ihrer Verbindung besitzen.


§ 176
Weil die Ehe nur erst die unmittelbare sittliche Idee ist,
hiermit ihre objektive Wirklichkeit
in der Innigkeit der subjektiven Gesinnung und Empfindung hat,
so liegt darin die erste Zufälligkeit ihrer Existenz.

Sowenig ein Zwang stattfinden kann, in die Ehe zu treten,
sowenig gibt es sonst ein nur rechtliches positives Band, das die Subjekte
bei entstandenen widrigen und feindseligen Gesinnungen und Handlungen
zusammenzuhalten vermöchte.

Es ist aber eine dritte sittliche Autorität gefordert,
welche das Recht der Ehe, der sittlichen Substantialität,
gegen die bloße Meinung von solcher Gesinnung
und gegen die Zufälligkeit bloß temporärer Stimmung usf. festhält,
diese von der totalen Entfremdung unterscheidet
und die letztere konstatiert,
um erst in diesem Falle die Ehe scheiden zu können. ((329))


Zusatz. § 176
Weil die Ehe nur auf der subjektiven zufälligen Empfindung beruht,
so kann sie geschieden werden.

Der Staat dagegen ist der Trennung nicht unterworfen,
denn er beruht auf dem Gesetz.

Die Ehe soll allerdings unauflöslich sein,
aber es bleibt hier auch nur beim Sollen.

Indem sie aber etwas Sittliches ist, kann sie nicht durch Willkür,
sondern nur durch eine sittliche Autorität geschieden werden,
sei diese nun die Kirche oder das Gericht.

Ist eine totale Entfremdung wie z. B. durch Ehebruch geschehen,
dann muss auch die religiöse Autorität die Ehescheidung erlauben.


§ 177
Die sittliche Auflösung der Familie liegt darin,
daß die Kinder zur freien Persönlichkeit erzogen,
in der Volljährigkeit anerkannt werden, als rechtliche Personen
und fähig zu sein, teils eigenes freies Eigentum zu haben,
teils eigene Familien zu stiften
- die Söhne als Häupter und die Töchter als Frauen -,
eine Familie, in welcher sie nunmehr ihre substantielle Bestimmung haben,
gegen die ihre erste Familie als nur erster Grund und Ausgangspunkt zurücktritt
und noch mehr das Abstraktum des Stammes keine Rechte hat.


§ 178
Die natürliche Auflösung der Familie durch den Tod der Eltern,
insbesondere des Mannes,
hat die Erbschaft in Ansehung des Vermögens zur Folge;
ihrem Wesen nach
ein Eintreten in den eigentümlichen Besitz des an sich gemeinsamen Vermögens
- ein Eintreten, das mit den entfernteren Graden der Verwandtschaft
und im Zustande der die Personen und Familien verselbständigenden
Zerstreuung der bürgerlichen Gesellschaft
um so unbestimmter wird,
als die Gesinnung der Einheit sich um so mehr verliert
und als jede Ehe das Aufgeben der vorigen Familienverhältnisse
und die Stiftung einer neuen selbständigen Familie wird.


Anm. § 178
Der Einfall, als Grund der Erbschaft den Umstand anzusehen,
daß durch den Tod das Vermögen herrenloses Gut werde
und als solches dem, der sich zuerst in Besitz setzt, zufalle,
diese Besitzergreifung aber wohl meistens von den ((330)) Verwandten,
als der gewöhnlich nächsten Umgebung, werde vorgenommen werden
- welcher gewöhnliche Zufall dann durch die positiven Gesetze
der Ordnung wegen zur Regel erhoben werde -, dieser Einfall
läßt die Natur des Familienverhältnisses unberücksichtigt. ((331))


§ 179
Es entsteht durch dies Auseinanderfallen
die Freiheit für die Willkür der Individuen,
teils überhaupt ihr Vermögen mehr nach Belieben, Meinungen
und Zwecken der Einzelheit zu verwenden,
teils gleichsam einen Kreis von Freunden, Bekannten usf.
statt einer Familie anzusehen
und diese Erklärung mit den rechtlichen Folgen der Erbschaft
in einem Testamente zu machen.


Anm. § 179
In die Bildung eines solchen Kreises,
worin die sittliche Berechtigung des Willens
zu einer solchen Disposition über das Vermögen läge,
tritt,
besonders insofern sie schon die Beziehung auf das Testieren mit sich führt,
so viele Zufälligkeit, Willkür,
Absichtlichkeit für selbstsüchtige Zwecke usf. ein,
daß das sittliche Moment etwas sehr Vages ist
und die Anerkennung der Befugnis der Willkür, zu testieren,
viel leichter für Verletzung sittlicher Verhältnisse
und für niederträchtige Bemühungen
und ebensolche Abhängigkeiten Veranlassung wird,
wie sie auch törichter Willkür und der Heimtücke,
an die sogenannten Wohltaten und Geschenke,
die auf den Fall des Todes,
in welchem ((332)) mein Eigentum ohnehin aufhört, mein zu sein,
Bedingungen der Eitelkeit und einer herrischen Quälerei zu knüpfen,
Gelegenheit und Berechtigung gibt.


§ 180
Das Prinzip, daß die Glieder der Familie
zu selbständigen rechtlichen Personen werden (§177),
läßt innerhalb des Kreises der Familie etwas von dieser Willkür und Unterscheidung
unter den natürlichen Erben eintreten,
die aber nur höchst beschränkt stattfinden kann,
um das Grundverhältnis nicht zu verletzen.


Anm. § 180
Die bloße direkte Willkür des Verstorbenen
kann nicht zum Prinzip für das Recht, zu testieren, gemacht werden,
insbesondere nicht, insofern sie dem substantiellen Rechte der Familie gegenübersteht,
deren Liebe, Verehrung gegen ihr ehemaliges Mitglied
es doch vornehmlich nur sein könnte,
welche dessen Willkür nach seinem Tode beachtete.

Eine solche Willkür enthält für sich nichts,
das höher ((333)) als das Familienrecht selbst zu respektieren wäre;
im Gegenteil.

Das sonstige Gelten einer Letzten-Willens-Disposition
läge allein in der willkürlichen Anerkennung der anderen.

Ein solches Gelten kann ihr vornehmlich nur eingeräumt werden,
insofern das Familienverhältnis, in welchem sie absorbiert ist,
entfernter und unwirksamer wird.

Unwirksamkeit desselben aber, wo es wirklich vorhanden ist,
gehört zum Unsittlichen,
und die ausgedehnte Gültigkeit jener Willkür gegen ein solches
enthält die Schwächung seiner Sittlichkeit in sich.

- Diese Willkür aber innerhalb der Familie
zum Hauptprinzip der Erbfolge zu machen, gehörte zu der vorhin bemerkten
Härte und Unsittlichkeit der römischen Gesetze,
nach denen der Sohn auch vom Vater verkauft werden konnte
und, wenn er von anderen freigelassen wurde, in die Gewalt des Vaters zurückkehrte
und erst auf die dritte Freilassung aus der Sklaverei wirklich frei wurde,
- nach denen der Sohn überhaupt nicht de iure volljährig
und eine rechtliche Person wurde
und nur den Kriegsraub, peculiumi castrense, als Eigentum besitzen konnte
und, wenn er durch jenen dreimaligen Verkauf
und Loslassung aus der väterlichen Gewalt trat,
nicht mit denen, die noch in der Familienknechtschaft geblieben waren,
ohne Testamentseinsetzung erbte,
- ebenso daß die Frau (insofern sie nicht in die Ehe als in ein Sklavenverhältnis,
in manum conveniret, in mancipio esset, sondern als Matrone trat)
nicht sosehr der Familie, die sie durch die Heirat an ihrem Teile gestiftet
und die nunmehr wirklich die ihrige ist,
als vielmehr der, aus der sie abstammte, angehörig blieb
und daher vom Erben des Vermögens der wirklich Ihrigen
ebenso ausgeschlossen,
als die Gattin und Mütter von diesen nicht beerbt wurde.

- Daß das Unsittliche solcher und anderer Rechte
bei weiterhin erwachendem Gefühle der Vernünftigkeit im Wege der Rechtspflege,
z. B. mit Beihilfe des Ausdrucks von bonorum possessio
(daß hiervon wieder possessio bonorum unterschieden ist,
gehört ((334)) zu solchen Kenntnissen, die den gelehrten Juristen ausmachen)
statt hereditas, durch die Fiktion, eine filia in einen filius umzutaufen,
eludiert wurde, ist oben schon (§3 Anm.)
als die traurige Notwendigkeit für den Richter bemerkt worden,
das Vernünftige pfiffigerweise gegen schlechte Gesetze,
wenigstens in einigen Folgen, einzuschwärzen.

Die fürchterliche Instabilität der wichtigsten Institutionen
und ein tumultuarisches Gesetzgeben
gegen die Ausbrüche der daraus entspringenden Übel hängt damit zusammen.

- Welche unsittliche Folgen dies Recht der Willkür
im Testamentmachen bei den Römern hatte, ist sattsam aus der Geschichte
und Lukians und anderer Schilderungen bekannt.

- Es liegt in der Natur der Ehe selbst, als der unmittelbaren Sittlichkeit,
die Vermischung von substantiellem Verhältnis,
natürlicher Zufälligkeit und innerer Willkür;
- wenn nun der Willkür durch das Knechtschaftsverhältnis der Kinder
und die anderen bemerkten und sonst damit zusammenhängenden Bestimmungen,
vollends auch durch die Leichtigkeit der Ehescheidungen bei den Römern,
gegen das Recht des Substantiellen der Vorzug eingeräumt wird,
so daß selbst Cicero
- und wie viel Schönes hat er nicht über das Honestum und Decorum
in seinen Officiis und allenthalben anderwärts geschrieben! -
die Spekulation machte, seine Gattin fortzuschicken,
um durch das Heiratsgut einer neuen seine Schulden zu bezahlen,
- so ist dem Verderben der Sitten ein gesetzlicher Weg gebahnt
oder vielmehr die Gesetze sind die Notwendigkeit desselben.


Die Institution des Erbrechts, zur Erhaltung und zum Glanz der Familie
durch Substitutionen und Familienfideikommisse
entweder die Töchter zugunsten der Söhne oder zugunsten des ältesten Sohnes
die übrigen Kinder von der Erbschaft auszuschließen
oder überhaupt eine Ungleichheit eintreten zu lassen,
verletzt teils das Prinzip der Freiheit des Eigentums (§62),
teils beruht sie auf einer Willkür,
die an und für sich kein Recht hat, anerkannt ((335)) zu werden,
- näher auf dem Gedanken, diesen Stamm oder Haus,
nicht sowohl diese Familie aufrechterhalten zu wollen.

Aber nicht dieses Haus oder Stamm,
sondern die Familie als solche ist die Idee, die solches Recht hat,
und durch die Freiheit des Vermögens und die Gleichheit des Erbrechts
wird ebensowohl die sittliche Gestaltung erhalten,
als die Familien [dadurch] viel mehr als durch das Gegenteil erhalten werden.

- In solchen Institutionen ist, wie in den römischen,
das Recht der Ehe (§172) überhaupt verkannt, daß sie
die vollständige Stiftung einer eigentümlichen wirklichen Familie ist
und gegen sie das, was Familie überhaupt heißt, stirps, gens,
nur ein sich mit den Generationen immer weiter entfernendes
und sich verunwirklichendes Abstraktum wird (§177).

Die Liebe, das sittliche Moment der Ehe,
ist als Liebe Empfindung für wirkliche, gegenwärtige Individuen,
nicht für ein Abstraktum.

- Daß sich die Verstandesabstraktion
als das weltgeschichtliche Prinzip des Römerreichs zeigt, s. unten §356.

- Daß aber die höhere politische Sphäre ein Recht der Erstgeburt
und ein eisernes Stammvermögen,
doch nicht als eine Willkür,
sondern als aus der Idee des Staates notwendig herbeiführt,
davon unten § 306. ((336))


Zusatz. § 180
Bei den Römern konnte in früheren Zeiten der Vater seine Kinder enterben,
wie er sie auch töten konnte;
späterhin war beides nicht mehr gestattet.

Diese Inkonsequenz des Unsittlichen und der Versittlichung desselben
hat man in ein System zu bringen gesucht, und das Festhalten daran
macht das Schwierige und Fehlerhafte in unserem Erbrechte aus.

Testamente können allerdings gestattet werden,
aber der Gesichtspunkt hierbei muss sein,
daß dieses Recht der Willkür mit dem Auseinanderfallen
und der Entfernung der Familienglieder entsteht oder größer wird
und daß die sogenannte Familie der Freundschaft,
welche das Testament hervorbringt,
nur in Ermangelung der näheren Familie
der Ehe und der Kinder eintreten kann.

Mit dem Testamente überhaupt ist etwas Widriges und Unangenehmes verbunden,
denn ich erkläre in demselben, wer die seien, denen ich geneigt bin.

Die Zuneigung ist aber willkürlich;
sie kann auf diese oder jene Weise erschlichen werden,
an diesen oder jenen läppischen Grund geknüpft sein,
und es kann gefordert werden,
daß ein Eingesetzter sich deshalb den größten Niedrigkeiten unterwerfe.

In England, ((337)) wo überhaupt viel Marotten einheimisch sind,
werden unendlich viel läppische Einfälle an Testamente geknüpft.


Übergang der Familie in die bürgerliche Gesellschaft




§ 181
Die Familie tritt auf natürliche Weise
und wesentlich durch das Prinzip der Persönlichkeit
in eine Vielheit von Familien auseinander,
welche sich überhaupt als selbständige konkrete Personen
und daher äußerlich zueinander verhalten.

Oder die in der Einheit der Familie als der sittlichen Idee,
als die noch in ihrem Begriffe ist, gebundenen Momente
müssen von ihm zur selbständigen Realität entlassen werden;
- die Stufe der Differenz.

Zunächst abstrakt ausgedrückt, gibt dies die Bestimmung der Besonderheit,
welche sich zwar auf die Allgemeinheit bezieht,
so daß diese die - aber nur noch innerliche - Grundlage
und deswegen auf formelle, in das Besondere nur scheinende Weise ist.

Dies Reflexionsverhältnis stellt daher zunächst
den Verlust der Sittlichkeit dar
oder, da sie als das Wesen notwendig scheinend ist (Enzyklop. der philos. Wissensch. §64 ff., §81 ff.)°,
macht es die Erscheinungswelt des Sittlichen, die bürgerliche Gesellschaft aus.


Anm. § 181
Die Erweiterung der Familie als Übergehen derselben in ein anderes Prinzip
ist in der Existenz teils die ruhige Erweiterung derselben zu einem Volke,
einer Nation, die somit einen gemeinschaftlichen natürlichen Ursprung hat,
teils die Versammlung zerstreuter Familiengemeinden,
entweder durch herrische Gewalt oder durch freiwillige,
von den verknüpfenden Bedürfnissen und der Wechselwirkung ihrer Befriedigung
eingeleitete Vereinigung.


Zusatz. § 181
Die Allgemeinheit hat hier zum Ausgangspunkt die Selbständigkeit der Besonderheit,
und die Sittlichkeit scheint somit auf diesem Standpunkte verloren,
denn für das Bewußtsein ist ((338)) eigentlich
die Identität der Familie das Erste, Göttliche und Pflichtgebietende.

Jetzt aber tritt das Verhältnis ein,
daß das Besondere das erste für mich Bestimmende sein soll,
und somit ist die sittliche Bestimmung aufgehoben.

Aber ich bin eigentlich darüber nur im Irrtum,
denn indem ich das Besondere festzuhalten glaube,
bleibt doch das Allgemeine und die Notwendigkeit des Zusammenhangs
das Erste und Wesentliche:
ich bin also überhaupt auf der Stufe des Scheins,
und indem meine Besonderheit mir das Bestimmende bleibt,
    das heißt der Zweck,
diene ich damit der Allgemeinheit,
welche eigentlich die letzte Macht über mich behält.




Zweiter Abschnitt Die bürgerliche Gesellschaft



§ 182
Die konkrete Person, welche sich als besondere Zweck ist,
als ein Ganzes von Bedürfnissen
und eine Vermischung von Naturnotwendigkeit und Willkür,
ist das eine Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft,
- aber die besondere Person
als wesentlich in Beziehung auf andere solche Besonderheit,
so daß jede durch die andere
und zugleich schlechthin nur als durch die Form der Allgemeinheit,
das andere Prinzip, vermittelt sich geltend macht und befriedigt.


Zusatz. § 182
Die bürgerliche Gesellschaft ist die Differenz,
welche zwischen die Familie und den Staat tritt,
wenn auch die Ausbildung derselben später als die des Staates erfolgt;
denn als die Differenz setzt sie den Staat voraus,
den sie als Selbständiges vor sich haben muss, um zu bestehen.

Die Schöpfung der bürgerlichen Gesellschaft
gehört übrigens der modernen Welt an,
welche allen Bestimmungen der Idee erst ihr Recht widerfahren läßt.

Wenn der Staat vorgestellt wird als eine Einheit verschiedener Personen,
als eine Einheit, die nur Gemeinsamkeit ist,
so ist damit nur die Bestimmung der bürgerlichen Gesellschaft gemeint.

Viele der neueren Staatsrechtslehrer
haben es zu keiner anderen Ansicht vom Staate bringen können.

In der bürgerlichen Gesellschaft ist jeder sich Zweck,
alles andere ist ihm nichts.

Aber ohne Beziehung auf andere
kann er den Umfang seiner Zwecke nicht erreichen;
diese ((339)) anderen sind daher Mittel zum Zweck des Besonderen.

Aber der besondere Zweck gibt sich durch die Beziehung auf andere
die Form der Allgemeinheit
und befriedigt sich, indem er zugleich das Wohl des anderen mit befriedigt.

Indem die Besonderheit an die Bedingung der Allgemeinheit gebunden ist,
ist das Ganze der Boden der Vermittlung,
wo alle Einzelheiten, alle Anlagen,
alle Zufälligkeiten der Geburt und des Glücks sich frei machen,
wo die Wellen aller Leidenschaften ausströmen,
die nur durch die hineinscheinende Vernunft regiert werden.

Die Besonderheit, beschränkt durch die Allgemeinheit,
ist allein das Maß, wodurch jede Besonderheit ihr Wohl befördert.


§ 183
Der selbstsüchtige Zweck in seiner Verwirklichung,
so durch die Allgemeinheit bedingt,
begründet ein System allseitiger Abhängigkeit,
daß die Subsistenz und das Wohl des Einzelnen
und sein rechtliches Dasein in die Subsistenz,
das Wohl und Recht aller verflochten, darauf gegründet
und nur in diesem Zusammenhange wirklich und gesichert ist.

- Man kann dies System zunächst als den äußeren Staat,
- Not und Verstandesstaat ansehen.


§ 184
Die Idee in dieser ihrer Entzweiung
erteilt den Momenten eigentümliches Dasein,
- der Besonderheit das Recht,
sich nach allen Seiten zu entwickeln und zu ergehen,
und der Allgemeinheit das Recht,
sich als Grund und notwendige Form der Besonderheit
sowie als die Macht über sie und ihren letzten Zweck zu erweisen.

- Es ist das System der in ihre Extreme verlorenen Sittlichkeit,
was das abstrakte Moment der Realität der Idee ausmacht,
welche hier nur als die relative Totalität und innere Notwendigkeit
an dieser äußeren Erscheinung ist.


Zusatz. § 184
Das Sittliche ist hier in seine Extreme verloren,
und die unmittelbare Einheit der Familie ist in eine Vielheit zerfallen.

Die Realität ist hier Äußerlichkeit, Auflösung des Begriffs,
Selbständigkeit der freigewordenen daseienden Momente.

Indem in der bürgerlichen Gesellschaft
Besonderheit und Allgemeinheit auseinandergefallen ((340)) sind,
sind sie dennoch beide wechselseitig gebunden und bedingt.

Indem das eine gerade das dem andern Entgegengesetzte zu tun scheint
und nur sein zu können vermeint, indem es sich das andere vom Leibe hält,
hat jedes das andere doch zu seiner Bedingung.

So sehen die meisten z. B. die Bezahlung von Abgaben
für ein Verletzen ihrer Besonderheit an,
für ein ihnen Feindseliges, das ihren Zweck verkümmert;
aber so wahr dies scheint,
so kann doch die Besonderheit des Zwecks
nicht befriedigt werden ohne das Allgemeine,
und ein Land, worin keine Abgaben bezahlt werden,
dürfte sich auch nicht durch die Erkräftigung der Besonderheit auszeichnen.

Ebenso könnte es scheinen, die Allgemeinheit verhielte sich besser,
wenn sie die Kräfte der Besonderheit an sich zieht,
wie dies zum Beispiel im Platonischen Staate ausgeführt ist;
aber auch dieses ist wiederum nur ein Schein,
indem beide nur durch- und füreinander sind und ineinander umschlagen.

Meinen Zweck befördernd, befördere ich das Allgemeine,
und dieses befördert wiederum meinen Zweck.


§ 185
Die Besonderheit für sich,
einerseits als sich nach allen Seiten auslassende Befriedigung ihrer Bedürfnisse,
zufälliger Willkür und subjektiven Beliebens,
zerstört in ihren Genüssen sich selbst und ihren substantiellen Begriff;
andererseits als unendlich erregt
und in durchgängiger Abhängigkeit von äußerer Zufälligkeit und Willkür
sowie von der Macht der Allgemeinheit beschränkt,
ist die Befriedigung des notwendigen wie des zufälligen Bedürfnisses zufällig.

Die bürgerliche Gesellschaft bietet in diesen Gegensätzen und ihrer Verwicklung
das Schauspiel ebenso der Ausschweifung, des Elends und
des beiden gemeinschaftlichen physischen und sittlichen Verderbens dar.


Anm. 185
Die selbständige Entwicklung der Besonderheit (vgl. § 124 Anm.)
ist das Moment, welches sich in den alten Staaten
als das hereinbrechende Sittenverderben
und der letzte Grund des Untergangs derselben zeigt.

Diese Staaten,
teils im patriarchalischen und religiösen Prinzip,
teils im Prinzip einer geistigeren, aber einfacheren Sittlichkeit,
überhaupt auf ursprüngliche natürliche Anschauung gebaut,
konnten die Entzweiung derselben
und die unendliche ((341)) Reflexion des Selbstbewußtseins in sich
nicht aushalten und erlagen dieser Reflexion, wie sie sich hervorzutun anfing,
der Gesinnung und dann der Wirklichkeit nach,
weil ihrem noch einfachen Prinzip die wahrhaft unendliche Kraft mangelte,
die allein in derjenigen Einheit liegt,
welche den Gegensatz der Vernunft zu seiner ganzen Stärke
auseinandergehen läßt und ihn überwältigt hat,
in ihm somit sich erhält und ihn in sich zusammenhält.

- Platon in seinem Staate stellt die substantielle Sittlichkeit
in ihrer idealen Schönheit und Wahrheit dar;
er vermag aber mit dem Prinzip der selbständigen Besonderheit,
das in seiner Zeit in die griechische Sittlichkeit hereingebrochen war,
nicht anders fertig zu werden,
als daß er ihm seinen nur substantiellen Staat entgegenstellte
und dasselbe bis in seine Anfänge hinein,
die es im Privateigentum (§ 46 Anm.) und in der Familie hat,
und dann in seiner weiteren Ausbildung als die eigene Willkür
und Wahl des Standes usf. ganz ausschloß.

Dieser Mangel ist es,
der auch die große substantielle Wahrheit seines Staates verkennen
und denselben gewöhnlich für eine Träumerei des abstrakten Gedankens,
für das, was man oft gar ein Ideal zu nennen pflegt, ansehen macht.

Das Prinzip der selbständigen in sich unendlichen Persönlichkeit des Einzelnen,
der subjektiven Freiheit, das innerlich in der christlichen Religion
und äußerlich, daher mit der abstrakten Allgemeinheit verknüpft,
in der römischen Welt aufgegangen ist,
kommt in jener nur substantiellen Form des wirklichen Geistes
nicht zu seinem Rechte.

Dies Prinzip ist geschichtlich später als die griechische Welt,
und ebenso ist die philosophische Reflexion,
die bis zu dieser Tiefe hinabsteigt,
später als die substantielle Idee der griechischen Philosophie.


Zusatz. §185
Die Besonderheit für sich ist das Ausschweifende und Maßlose,
und die Formen dieser Ausschweifung selbst sind maßlos.

Der Mensch erweitert durch seine Vorstellungen und Reflexionen seine Begierden,
die kein beschlossener Kreis wie der Instinkt des ((342)) Tieres sind,
und führt sie in das schlecht Unendliche.

Ebenso ist aber auf der anderen Seite die Entbehrung und Not ein Maßloses,
und die Verworrenheit dieses Zustandes kann zu seiner Harmonie
nur durch den ihn gewältigenden Staat kommen.

Wenn der Platonische Staat die Besonderheit ausschließen wollte,
so ist damit nicht zu helfen,
denn solche Hilfe würde dem unendlichen Rechte der Idee widersprechen,
die Besonderheit frei zu lassen.

In der christlichen Religion ist vornehmlich das Recht der Subjektivität aufgegangen,
wie die Unendlichkeit des Fürsichseins,
und hierbei muss die Ganzheit zugleich die Stärke erhalten,
die Besonderheit in Harmonie mit der sittlichen Einheit zu setzen.


§ 186
Aber das Prinzip der Besonderheit geht eben damit,
daß es sich für sich zur Totalität entwickelt, in die Allgemeinheit über
und hat allein in dieser seine Wahrheit und das Recht seiner positiven Wirklichkeit.

Diese Einheit, die wegen der Selbständigkeit beider Prinzipien
auf diesem Standpunkte der Entzweiung (§ 184)
nicht die sittliche Identität ist, ist eben damit nicht als Freiheit,
sondern als Notwendigkeit,
daß das Besondere sich zur Form der Allgemeinheit erhebe,
in dieser Form sein Bestehen suche und habe.


§ 187
Die Individuen sind als Bürger dieses Staates Privatpersonen,
welche ihr eigenes Interesse zu ihrem Zwecke haben.

Da dieser durch das Allgemeine vermittelt ist,
das ihnen somit als Mittel erscheint,
so kann er von ihnen nur erreicht werden,
insofern sie selbst ihr Wissen, Wollen und Tun auf allgemeine Weise bestimmen
und sich zu einem Gliede der Kette dieses Zusammenhangs machen.

Das Interesse der Idee hierin, das nicht im Bewußtsein
dieser Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft als solcher liegt,
ist der Prozeß,
die Einzelheit und Natürlichkeit derselben
durch die Naturnotwendigkeit ebenso als durch die Willkür der Bedürfnisse
zur formellen Freiheit und formellen Allgemeinheit
des Wissens und Wollens zu erheben,
die Subjektivität in ihrer Besonderheit zu bilden. ((343))


Anm. §187
Es hängt mit den Vorstellungen von der Unschuld des Naturzustandes,
von Sitteneinfalt ungebildeter Völker einerseits
und andererseits mit dem Sinne, der die Bedürfnisse, deren Befriedigung,
die Genüsse und Bequemlichkeiten des partikularen Lebens usf.
als absolute Zwecke betrachtet, zusammen,
wenn die Bildung dort als etwas nur Äußerliches, dem Verderben Angehöriges,
hier als bloßes Mittel für jene Zwecke betrachtet wird;
die eine wie die andere Ansicht zeigt
die Unbekanntschaft mit der Natur des Geistes und dem Zwecke der Vernunft.

Der Geist hat seine Wirklichkeit nur dadurch, daß er sich in sich selbst entzweit,
in den Naturbedürfnissen und in dem Zusammenhange dieser äußeren Notwendigkeit
sich diese Schranke und Endlichkeit gibt
und eben damit, daß er sich in sie hineinbildet, sie überwindet
und darin sein objektives Dasein gewinnt.

Der Vernunftzweck ist deswegen weder jene natürliche Sitteneinfalt
noch in der Entwicklung der Besonderheit die Genüsse als solche,
die durch die Bildung erlangt werden,
sondern daß die Natureinfalt,
d. i. teils die passive Selbstlosigkeit, teils die Roheit des Wissens und Willens,
d. i. die Unmittelbarkeit und Einzelheit, in die der Geist versenkt ist,
weggearbeitet werde und zunächst diese seine Äußerlichkeit
die Vernünftigkeit, der sie fähig ist, erhalte,
nämlich die Form der Allgemeinheit, die Verständigkeit.

Auf diese Weise nur
ist der Geist in dieser Äußerlichkeit als solcher einheimisch und bei sich.

Seine Freiheit hat so in derselben ein Dasein,
und er wird in diesem seiner Bestimmung zur Freiheit an sich fremden Elemente
für sich, hat es nur mit solchem zu tun, dem sein Siegel aufgedrückt
und [das] von ihm produziert ist.

- Eben damit kommt denn die Form der Allgemeinheit
für sich im Gedanken zur Existenz
- die Form, welche allein das würdige Element für die Existenz der Idee ist.

Die Bildung ist daher in ihrer absoluten Bestimmung
die Befreiung und die Arbeit der höheren Befreiung,
nämlich der absolute Durchgangspunkt ((344))
zu der nicht mehr unmittelbaren, natürlichen,
sondern geistigen, ebenso zur Gestalt der Allgemeinheit erhobenen
unendlich subjektiven Substantialität der Sittlichkeit.

Diese Befreiung ist im Subjekt die harte Arbeit
gegen die bloße Subjektivität des Benehmens,
gegen die Unmittelbarkeit der Begierde
sowie gegen die subjektive Eitelkeit der Empfindung
und die Willkür des Beliebens.

Daß sie diese harte Arbeit ist,
macht einen Teil der Ungunst aus, der auf sie fällt.

Durch diese Arbeit der Bildung ist es aber,
daß der subjektive Wille selbst in sich die Objektivität gewinnt, in der er
seinerseits allein würdig und fähig ist, die Wirklichkeit der Idee zu sein.

- Ebenso macht zugleich diese Form der Allgemeinheit,
zu der sich die Besonderheit verarbeitet und heraufgebildet hat,
die Verständigkeit,
daß die Besonderheit zum wahrhaften Fürsichsein der Einzelheit wird
und, indem sie der Allgemeinheit den erfüllenden Inhalt
und ihre unendliche Selbstbestimmung gibt,
selbst in der Sittlichkeit als unendlich fürsichseiende, freie Subjektivität ist.

Dies ist der Standpunkt, der die Bildung als immanentes Moment des Absoluten
und ihren unendlichen Wert erweist.


Zusatz. §187
Unter gebildeten Menschen kann man zunächst solche verstehen,
die alles machen können, was andere tun °,
und die ihre Partikularität nicht herauskehren,
während bei ungebildeten Menschen gerade diese sich zeigt,
indem das Benehmen sich nicht
nach den allgemeinen Eigenschaften des Gegenstandes richtet.

Ebenso kann im Verhältnis zu anderen Menschen
der Ungebildete sie leicht kränken, indem er sich nur gehen läßt
und keine Reflexionen für die Empfindungen der anderen hat.

Er will andere nicht verletzen
aber sein Betragen ist mit seinem Willen nicht in Einklang.

Bildung also ist Glättung der Besonderheit,
daß sie sich nach der Natur der Sache benimmt.

Die wahre Originalität verlangt, als die Sache hervorbringend, wahre Bildung,
während die unwahre Abgeschmacktheiten annimmt,
die nur Ungebildeten einfallen. ((345))


§ 188
Die bürgerliche Gesellschaft enthält die drei Momente:

A. Die Vermittlung des Bedürfnisses
und die Befriedigung des Einzelnen durch seine Arbeit
und durch die Arbeit und Befriedigung der Bedürfnisse aller Übrigen,
- das System der Bedürfnisse.

B. Die Wirklichkeit des darin enthaltenen Allgemeinen der Freiheit,
der Schutz des Eigentums durch die Rechtspflege.

C. Die Vorsorge gegen die in jenen Systemen zurückbleibende Zufälligkeit
und die Besorgung des besonderen Interesses als eines Gemeinsamen,
durch die Polizei und Korporation.




A. DAS SYSTEM DER BEDÜRFNISSE [Wirtschaft]



§ 189
Die Besonderheit zunächst als das gegen das Allgemeine des Willens
überhaupt Bestimmte (§ 60) ist subjektives Bedürfnis,
welches seine Objektivität, d. i. Befriedigung durch das Mittel
a) äußerer Dinge, die nun ebenso das Eigentum und Produkt
anderer Bedürfnisse und Willen sind, und
ß) durch die Tätigkeit und Arbeit,
als das die beiden Seiten Vermittelnde, erlangt.

Indem sein Zweck die Befriedigung der subjektiven Besonderheit ist,
aber in der Beziehung auf die Bedürfnisse und die freie Willkür anderer
die Allgemeinheit sich geltend macht,
so ist dies Scheinen der Vernünftigkeit in diese Sphäre der Endlichkeit
der Verstand, die Seite, auf die es in der Betrachtung ankommt
und welche das Versöhnende innerhalb dieser Sphäre selbst ausmacht.


Anm. §189
Die Staatsökonomie ist die Wissenschaft,
die von diesen Gesichtspunkten ihren Ausgang hat,
dann aber das Verhältnis und die Bewegung der Massen in ihrer qualitativen
und quantitativen Bestimmtheit und Verwicklung darzulegen hat.

- Es ist dies eine der Wissenschaften,
die in neuerer Zeit als ihrem Boden entstanden ist.

Ihre Entwicklung zeigt das Interessante, wie der Gedanke ((346))(s. Smith, Say, Ricardo °)
aus der unendlichen Menge von Einzelheiten, die zunächst vor ihm liegen,
die einfachen Prinzipien der Sache,
den in ihr wirksamen und sie regierenden Verstand herausfindet.

- Wie es einerseits das Versöhnende ist,
in der Sphäre der Bedürfnisse dies in der Sache liegende
und sich betätigende Scheinen der Vernünftigkeit zu erkennen,
so ist umgekehrt dies das Feld,
wo der Verstand der subjektiven Zwecke und moralischen Meinungen
seine Unzufriedenheit und moralische Verdrießlichkeit ausläßt.


Zusatz. §189
Es gibt gewisse allgemeine Bedürfnisse, wie Essen, Trinken, Kleidung usw.,
und es hängt durchaus von zufälligen Umständen ab,
wie diese befriedigt werden.

Der Boden ist hier oder dort mehr oder weniger fruchtbar,
die Jahre sind in ihrer Ergiebigkeit verschieden,
der eine Mensch ist fleißig, der andere faul;
aber dieses Wimmeln von Willkür erzeugt aus sich allgemeine Bestimmungen,
und dieses anscheinend Zerstreute und Gedankenlose
wird von einer Notwendigkeit gehalten, die von selbst eintritt.

Dieses Notwendige hier aufzufinden, ist Gegenstand der Staatsökonomie,
einer Wissenschaft, die dem Gedanken Ehre macht,
weil sie zu einer Masse von Zufälligkeiten die Gesetze findet.

Es ist ein interessantes Schauspiel,
wie alle Zusammenhänge hier rückwirkend sind,
wie die besonderen Sphären sich gruppieren, auf andere Einfluß haben
und von ihnen ihre Beförderung oder Hinderung erfahren.

Dies Ineinandergehen, an das man zunächst nicht glaubt,
weil alles der Willkür des Einzelnen anheimgestellt scheint,
ist vor allem bemerkenswert und hat eine Ähnlichkeit mit dem Planetensystem,
das immer dem Auge nur unregelmäßige Bewegungen zeigt,
aber dessen Gesetze doch erkannt werden können.




a. Die Art des Bedürfnisses und der Befriedigung



§ 190
Das Tier hat einen beschränkten Kreis von Mitteln und Weisen
der Befriedigung seiner gleichfalls beschränkten Bedürfnisse. ((347))

Der Mensch beweist auch in dieser Abhängigkeit
zugleich sein Hinausgehen über dieselbe und seine Allgemeinheit,
zunächst durch die Vervielfältigung der Bedürfnisse und Mittel
und dann durch Zerlegung und Unterscheidung des konkreten Bedürfnisses
in einzelne Teile und Seiten, welche verschiedene partikularisierte,
damit abstraktere Bedürfnisse werden.
 

Anm.
Im Rechte ist der Gegenstand die Person,
im moralischen Standpunkt das Subjekt,
in der Familie das Familienglied,
in der bürgerlichen Gesellschaft überhaupt der Bürger (als bourgeois)
- hier auf dem Standpunkte der Bedürfnisse (vgl. § 123 Anm.)
ist es das Konkretum der Vorstellung, das man Mensch nennt;
es ist also erst hier und auch eigentlich nur hier
vom Menschen in diesem Sinne die Rede.


Zusatz. §190
Das Tier ist ein Partikulares, es hat seinen Instinkt
und die abgegrenzten, nicht zu übersteigenden Mittel der Befriedigung.
 
Es gibt Insekten, die an eine bestimmte Pflanze gebunden sind,
andere Tiere, die einen weiteren Kreis haben,
in verschiedenen Klimaten leben können;
aber es tritt immer ein Beschränktes gegen den Kreis ein,
welcher für den Menschen ist.

Das Bedürfnis der Wohnung und Kleidung,
die Notwendigkeit, die Nahrung nicht mehr roh zu lassen,
sondern sie sich adäquat zu machen
und ihre natürliche Unmittelbarkeit zu zerstören,
macht, daß es der Mensch nicht so bequem hat wie das Tier
und es als Geist auch nicht so bequem haben darf.

Der Verstand, der die Unterschiede auffaßt,
bringt Vervielfältigung in diese Bedürfnisse,
und indem Geschmack und Nützlichkeit Kriterien der Beurteilung werden,
sind auch die Bedürfnisse selbst davon ergriffen.

Es ist zuletzt nicht mehr der Bedarf,
sondern die Meinung, die befriedigt werden muss,
und es gehört eben zur Bildung,
das Konkrete in seine Besonderheiten zu zerlegen.

In der Vervielfältigung der Bedürfnisse liegt gerade eine Hemmung der Begierde,
denn wenn die Menschen vieles gebrauchen,
ist der Drang nach einem, dessen sie bedürftig wären, nicht so stark,
und es ist ein Zeichen, daß die Not überhaupt nicht so gewaltig ist.


§ 191
Ebenso teilen und vervielfältigen sich
die Mittel für die partikularisierten Bedürfnisse
und überhaupt die Weisen ((348)) ihrer Befriedigung,
welche wieder relative Zwecke und abstrakte Bedürfnisse werden,
- eine ins Unendliche fortgehende Vervielfältigung,
welche in eben dem Maße eine Unterscheidung dieser Bestimmungen
und Beurteilung der Angemessenheit der Mittel zu ihren Zwecken,
- die Verfeinerung ist.


Zusatz. §191
Das, was die Engländer comfortable nennen,
ist etwas durchaus Unerschöpfliches und ins Unendliche Fortgehendes,
denn jede Bequemlichkeit zeigt wieder ihre Unbequemlichkeit,
und diese Erfindungen nehmen kein Ende.

Es wird ein Bedürfnis daher nicht sowohl von denen,
welche es auf unmittelbare Weise haben, als vielmehr durch solche hervorgebracht,
welche durch sein Entstehen einen Gewinn suchen.
 

§ 192
Die Bedürfnisse und die Mittel werden als reelles Dasein ein Sein für andere,
durch deren Bedürfnisse und Arbeit
die Befriedigung gegenseitig bedingt ist.

Die Abstraktion, die eine Qualität der Bedürfnisse und der Mittel wird (s. vorherg. § ),
wird auch eine Bestimmung
der gegenseitigen Beziehung der Individuen aufeinander;
diese Allgemeinheit als Anerkanntsein ist das Moment,
welches sie in ihrer Vereinzelung und Abstraktion zu konkreten,
als gesellschaftlichen, Bedürfnissen,
Mitteln und Weisen der Befriedigung macht.


Zusatz. §192
Dadurch, daß ich mich nach dem anderen richten muss,
kommt hier die Form der Allgemeinheit herein.

Ich erwerbe von anderen die Mittel der Befriedigung
und muss demnach ihre Meinung annehmen.

Zugleich aber bin ich genötigt, Mittel für die Befriedigung anderer hervorzubringen.

Das eine also spielt in das andere und hängt damit zusammen.

Alles Partikulare wird insofern ein Gesellschaftliches;
in der Art der Kleidung, in der Zeit des Essens liegt eine gewisse Konvenienz,
die man annehmen muss, weil es in diesen Dingen nicht der Mühe wert ist,
seine Einsicht zeigen zu wollen,
sondern es am klügsten ist, darin wie andere zu verfahren.


§ 193
Dies Moment wird so eine besondere Zweckbestimmung
für die Mittel für sich und deren Besitz
sowie für die Art und ((349)) Weise der Befriedigung der Bedürfnisse.

Es enthält ferner unmittelbar die Forderung
der Gleichheit mit den anderen hierin;
das Bedürfnis dieser Gleichheit einerseits
und das Sichgleichmachen, die Nachahmung,
wie andererseits das Bedürfnis der darin ebenso vorhandenen Besonderheit,
sich durch eine Auszeichnung geltend zu machen,
wird selbst eine wirkliche Quelle
der Vervielfältigung der Bedürfnisse und ihrer Verbreitung.


§ 194
Indem im gesellschaftlichen Bedürfnisse,
als der Verknüpfung vom unmittelbaren oder natürlichen
und vom geistigen Bedürfnisse der Vorstellung,
das letztere sich als das Allgemeine zum Überwiegenden macht,
so liegt in diesem gesellschaftlichen Momente die Seite der Befreiung,
daß die strenge Naturnotwendigkeit des Bedürfnisses versteckt wird
und der Mensch sich zu seiner, und zwar einer allgemeinen Meinung
und einer nur selbstgemachten Notwendigkeit,
statt nur zu äußerlicher, zu innerer Zufälligkeit, zur Willkür, verhält.
 

Anm. §194
Die Vorstellung, als ob der Mensch in einem sogenannten Naturzustande,
worin er nur sogenannte einfache Naturbedürfnisse hätte
und für ihre Befriedigung nur Mittel gebrauchte,
wie eine zufällige Natur sie ihm unmittelbar gewährte,
in Rücksicht auf die Bedürfnisse in Freiheit lebte, ist
- noch ohne Rücksicht des Moments der Befreiung,
die in der Arbeit liegt, wovon nachher -
eine unwahre Meinung,
weil das Naturbedürfnis als solches und dessen unmittelbare Befriedigung
nur der Zustand der in die Natur versenkten Geistigkeit
und damit der Roheit und Unfreiheit wäre
und die Freiheit allein in der Reflexion des Geistigen in sich,
seiner Unterscheidung von dem Natürlichen
und seinem Reflexe auf dieses liegt.


§ 195
Diese Befreiung ist formell,
indem die Besonderheit der Zwecke der zugrunde liegende Inhalt bleibt.

Die Richtung des gesellschaftlichen Zustandes
auf die unbestimmte Vervielfältigung ((350))
und Spezifizierung der Bedürfnisse, Mittel und Genüsse,
welche, so wie der Unterschied zwischen natürlichem
und ungebildetem Bedürfnisse, keine Grenzen hat, - der Luxus -
ist eine ebenso unendliche Vermehrung der Abhängigkeit und Not,
welche es mit einer den unendlichen Widerstand leistenden Materie,
nämlich mit äußeren Mitteln von der besonderen Art,
Eigentum des freien Willens zu sein,
dem somit absolut Harten zu tun hat.
 

Zusatz. §195
Diogenes in seiner ganzen zynischen Gestalt
ist eigentlich nur ein Produkt des atheniensischen gesellschaftlichen Lebens,
und was ihn determinierte, war die Meinung,
gegen welche seine Weise überhaupt agierte.

Sie ist daher nicht unabhängig,
sondern nur durch dieses Gesellschaftliche entstanden
und selbst ein unartiges Produkt des Luxus.

Wo auf der einen Seite derselbe sich auf seiner Höhe befindet,
da ist auch die Not und Verworfenheit auf der anderen Seite ebensogroß,
und der Zynismus wird dann durch den Gegensatz der Verfeinerung hervorgebracht.




b. Die Art der Arbeit



§ 196
Die Vermittlung, den partikularisierten Bedürfnissen angemessene,
ebenso partikularisierte Mittel zu bereiten und zu erwerben,
ist die Arbeit,
welche das von der Natur unmittelbar gelieferte Material
für diese vielfachen Zwecke durch die mannigfaltigsten Prozesse spezifiziert.

Diese Formierung gibt nun dem Mittel den Wert und seine Zweckmäßigkeit,
so daß der Mensch in seiner Konsumtion
sich vornehmlich zu menschlichen Produktionen verhält
und solche Bemühungen es sind, die er verbraucht.


Zusatz. §196
Das unmittelbare Material, das nicht verarbeitet zu werden braucht,
ist nur gering:
selbst die Luft hat man sich zu erwerben,
indem man sie warm zu machen hat;
nur etwa das Wasser kann man so trinken, wie man es vorfindet.

Menschenschweiß und Menschenarbeit
erwirbt dem Menschen die Mittel des Bedürfnisses. ((351))


§ 197
An der Mannigfaltigkeit der interessierenden Bestimmungen
und Gegenstände entwickelt sich die theoretische Bildung,
nicht nur eine Mannigfaltigkeit von Vorstellungen und Kenntnissen,
sondern auch eine Beweglichkeit und Schnelligkeit des Vorstellens
und des Übergehens von einer Vorstellung zur andern,
das Fassen verwickelter und allgemeiner Beziehungen usf.
- die Bildung des Verstandes überhaupt, damit auch der Sprache.

- Die praktische Bildung durch die Arbeit
besteht in dem sich erzeugenden Bedürfnis
und der Gewohnheit der Beschäftigung überhaupt,
dann der Beschränkung seines Tuns,
teils nach der Natur des Materials,
teils aber vornehmlich nach der Willkür anderer,
und einer durch diese Zucht sich erwerbenden Gewohnheit
objektiver Tätigkeit und allgemeingültiger Geschicklichkeiten.


Zusatz. §197
Der Barbar ist faul und unterscheidet sich vom Gebildeten dadurch,
daß er in der Stumpfheit vor sich hin brütet,
denn die praktische Bildung besteht eben in der Gewohnheit
und in dem Bedürfen der Beschäftigung.

Der Ungeschickte bringt immer etwas anderes heraus, als er will,
weil er nicht Herr über sein eigenes Tun ist,
während der Arbeiter geschickt genannt werden kann,
der die Sache hervorbringt, wie sie sein soll,
und der keine Sprödigkeit in seinem subjektiven Tun gegen den Zweck findet.


§ 198
Das Allgemeine und Objektive in der Arbeit liegt aber in der Abstraktion,
welche die Spezifizierung der Mittel und Bedürfnisse bewirkt,
damit ebenso die Produktion spezifiziert und die Teilung der Arbeiten hervorbringt.

Das Arbeiten des Einzelnen wird durch die Teilung einfacher
und hierdurch die Geschicklichkeit in seiner abstrakten Arbeit
sowie die Menge seiner Produktionen größer.

Zugleich vervollständigt diese Abstraktion der Geschicklichkeit und des Mittels
die Abhängigkeit und die Wechselbeziehung der Menschen
für die Befriedigung der übrigen Bedürfnisse zur gänzlichen Notwendigkeit.

Die Abstraktion des Produzierens ((352))
macht das Arbeiten ferner immer mehr mechanisch
und damit am Ende fähig, daß der Mensch davon wegtreten
und an seine Stelle die Maschine eintreten lassen kann.




c. Das Vermögen [Berufe]



§ 199
In dieser Abhängigkeit und Gegenseitigkeit
der Arbeit und der Befriedigung der Bedürfnisse
schlägt die subjektive Selbstsucht
in den Beitrag zur Befriedigung der Bedürfnisse aller anderen um,
- in die Vermittlung des Besonderen durch das Allgemeine
als dialektische Bewegung,
so daß, indem jeder für sich erwirbt, produziert und genießt,
er eben damit für den Genuß der Übrigen produziert und erwirbt.

Diese Notwendigkeit,
die in der allseitigen Verschlingung der Abhängigkeit aller liegt,
ist nunmehr für jeden das allgemeine, bleibende Vermögen (s. § 170),
das für ihn die Möglichkeit enthält,
durch seine Bildung und Geschicklichkeit daran teilzunehmen,
um für seine Subsistenz gesichert zu sein,
- so wie dieser durch seine Arbeit vermittelte Erwerb
das allgemeine Vermögen erhält und vermehrt.


§ 200
Die Möglichkeit der Teilnahme an dem allgemeinen Vermögen,
das besondere Vermögen, ist aber bedingt,
teils durch eine unmittelbare eigene Grundlage (Kapital),
teils durch die Geschicklichkeit, welche ihrerseits wieder selbst durch jenes,
dann aber durch die zufälligen Umstände bedingt ist,
deren Mannigfaltigkeit die Verschiedenheit in der Entwicklung
der schon für sich ungleichen natürlichen körperlichen
und geistigen Anlagen hervorbringt
- eine Verschiedenheit, die in dieser Sphäre der Besonderheit
nach allen Richtungen und von allen Stufen sich hervortut
und mit der übrigen Zufälligkeit und Willkür
die Ungleichheit des Vermögens und der Geschicklichkeiten der Individuen
zur notwendigen Folge hat. ((353))


Anm. §200
Dem in der Idee enthaltenen objektiven Rechte der Besonderheit des Geistes,
welches die von der Natur - dem Elemente der Ungleichheit -
gesetzte Ungleichheit der Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft
nicht nur nicht aufhebt, sondern aus dem Geiste produziert,
sie zu einer Ungleichheit der Geschicklichkeit, des Vermögens
und selbst der intellektuellen und moralischen Bildung erhebt,
die Forderung der Gleichheit entgegen[zu]setzen,
gehört dem leeren Verstande an, der dies sein Abstraktum
und sein Sollen für das Reelle und Vernünftige nimmt.

Diese Sphäre der Besonderheit, die sich das Allgemeine einbildet,
behält in dieser nur relativen Identität mit demselben
ebensosehr die natürliche als willkürliche Besonderheit,
damit den Rest des Naturzustandes, in sich.

Ferner ist es die im Systeme menschlicher Bedürfnisse
und ihrer Bewegung immanente Vernunft,
welche dasselbe zu einem organischen Ganzen von Unterschieden gliedert;
s. folg. §.


§ 201
Die unendlich mannigfachen Mittel
und deren ebenso unendlich sich verschränkende Bewegung
in der gegenseitigen Hervorbringung und Austauschung
sammelt durch die ihrem Inhalte inwohnende Allgemeinheit
und unterscheidet sich in allgemeinen Massen,
so daß der ganze Zusammenhang sich zu besonderen Systemen der Bedürfnisse,
ihrer Mittel und Arbeiten, der Arten und Weisen der Befriedigung
und der theoretischen und praktischen Bildung
- Systemen, denen die Individuen zugeteilt sind -,
zu einem Unterschiede der Stände ausbildet.
 

Zusatz. §201
Die Art und Weise der Teilnahme am allgemeinen Vermögen
ist jeder Besonderheit der Individuen überlassen,
aber die allgemeine Verschiedenheit der Besonderung der bürgerlichen Gesellschaft
ist ein Notwendiges.

Wenn die erste Basis des Staats die Familie ist, so sind die Stände die zweite.

Diese ist um dessentwillen so wichtig,
weil die Privatpersonen, obgleich selbstsüchtig,
die Notwendigkeit haben, nach anderen sich herauszuwenden.

Hier ist also die Wurzel,
durch die die Selbstsucht sich an das Allgemeine, ((354)) an den Staat knüpft,
dessen Sorge es sein muss,
daß dieser Zusammenhang ein gediegener und fester sei.


§ 202
Die Stände bestimmen sich nach dem Begriffe
als der substantielle oder unmittelbare,
der reflektierende oder formelle
und dann als der allgemeine Stand.




§203 a) Der substantielle Stand hat sein Vermögen an den Naturprodukten eines Bodens, den er bearbeitet
- eines Bodens, der ausschließendes Privateigentum zu sein fähig ist
und nicht nur unbestimmte Abnutzung,
sondern eine objektive Formierung erfordert.

Gegen die Anknüpfung der Arbeit und des Erwerbs an einzelne feste Naturepochen
und die Abhängigkeit des Ertrags
von der veränderlichen Beschaffenheit des Naturprozesses
macht sich der Zweck des Bedürfnisses zu einer Vorsorge auf die Zukunft,
behält aber durch ihre Bedingungen die Weise
einer weniger durch die Reflexion und eigenen Willen vermittelten Subsistenz
und darin überhaupt die substantielle Gesinnung einer unmittelbaren,
auf dem Familienverhältnisse und dem Zutrauen beruhenden Sittlichkeit.
 

Anm. §203
Mit Recht ist der eigentliche Anfang und die erste Stiftung der Staaten
in die Einführung des Ackerbaues, nebst der Einführung der Ehe, gesetzt worden,
indem jenes Prinzip das Formieren des Bodens
und damit ausschließendes Privateigentum mit sich führt (vgl. § 170 Anm.)
und das im Schweifenden seine Subsistenz suchende,
schweifende Leben des Wilden zur Ruhe des Privatrechts
und zur Sicherheit der Befriedigung des Bedürfnisses zurückführt,
womit sich die Beschränkung der Geschlechterliebe zur Ehe
und damit die Erweiterung dieses Bandes
zu einem fortdauernden in sich allgemeinen Bunde,
des Bedürfnisses zur Familiensorge und des Besitzes zum Familiengute verknüpft.

Sicherung, Befestigung, Dauer der Befriedigung ((355)) der Bedürfnisse usf.
- Charaktere, wodurch sich diese Institutionen zunächst empfehlen -
sind nichts anderes als Formen der Allgemeinheit
und Gestaltungen, wie die Vernünftigkeit, der absolute Endzweck,
sich in diesen Gegenständen geltend macht.

- Was kann für diese Materie interessanter sein
als meines sehr verehrten Freundes, Herrn Creuzers,
ebenso geistreiche als gelehrte Aufschlüsse,
die derselbe insbesondere im vierten Band seiner Mythologie und Symbolik °
über die agronomischen Feste, Bilder und Heiligtümer der Alten
uns gegeben hat,
welche sich der Einführung des Ackerbaues
und der damit zusammenhängenden Institutionen als göttlicher Taten
bewußt worden sind und ihnen so religiöse Verehrung widmeten.
 

Daß der substantielle Charakter dieses Standes
von seiten der Gesetze des Privatrechts, insbesondere der Rechtspflege,
sowie von seiten des Unterrichts und der Bildung, auch der Religion,
Modifikationen nicht in Ansehung des substantiellen Inhalts,
aber in Ansehung der Form und Reflexionsentwicklung nach sich zieht,
ist eine weitere Folge, die ebenso in Ansehung der anderen Stände statthat.


Zusatz. §203
In unserer Zeit wird die Ökonomie auch auf reflektierende Weise,
wie eine Fabrik, betrieben und nimmt dann einen
ihrer Natürlichkeit widerstrebenden Charakter des zweiten Standes an.
 
Indessen wird dieser erste Stand immer mehr die Weise
des patriarchalischen Lebens und die substantielle Gesinnung desselben behalten.

Der Mensch nimmt hier mit unmittelbarer Empfindung
das Gegebene und Empfangene auf, ist Gott dafür dankbar
und lebt im gläubigen Zutrauen, daß diese Güte fortdauern werde.

Was er bekommt, reicht ihm hin;
er braucht es auf, denn es kommt ihm wieder.

Dies ist die einfache, nicht auf Erwerbung des Reichtums gerichtete Gesinnung;
man kann sie auch die altadelige nennen, die, was da ist, verzehrt.

Bei diesem Stande tut die Natur die Hauptsache,
und der eigene Fleiß ist dagegen das Untergeordnete,
während beim zweiten Stande
gerade der Verstand das Wesentliche ((356)) ist
und das Naturprodukt nur als Material betrachtet werden kann.




§ 204 b) Der Stand des Gewerbes hat die Formierung des Naturprodukts zu seinem Geschäfte
und ist für die Mittel seiner Subsistenz an seine Arbeit,
an die Reflexion und den Verstand sowie wesentlich
an die Vermittlung mit den Bedürfnissen und den Arbeiten anderer angewiesen.

Was er vor sich bringt und genießt,
hat er vornehmlich sich selbst, seiner eigenen Tätigkeit zu danken.

- Sein Geschäft unterscheidet sich wieder,
als Arbeit für einzelne Bedürfnisse in konkreterer Weise
und auf Verlangen Einzelner, in den Handwerksstand,
- als abstraktere Gesamtmasse der Arbeit für einzelne Bedürfnisse,
aber eines allgemeineren Bedarfs, in den Fabrikantenstand,
- und als Geschäft des Tausches der vereinzelten Mittel gegeneinander
vornehmlich durch das allgemeine Tauschmittel, das Geld,
in welchem der abstrakte Wert aller Waren wirklich ist,
in den Handelsstand.


Zusatz. § 204
Das Individuum im Stande des Gewerbes ist an sich gewiesen,
und dieses Selbstgefühl
hängt mit der Forderung eines rechtlichen Zustandes aufs engste zusammen.

Der Sinn für Freiheit und Ordnung
ist daher hauptsächlich in den Städten aufgegangen.

Der erste Stand hat dagegen wenig selbst zu denken:
was er erwirbt, ist Gabe eines Fremden, der Natur;
dies Gefühl der Abhängigkeit ist bei ihm ein Erstes,
und damit verbindet sich leicht auch dies von Menschen,
über sich das ergehen zu lassen, was da kommen mag.

Der erste Stand ist daher mehr zur Unterwürfigkeit,
der zweite mehr zur Freiheit geneigt.




§ 205
c) Der allgemeine Stand [Staatsbeamte] hat die allgemeinen Interessen
des gesellschaftlichen Zustandes zu seinem Geschäfte;
der direkten Arbeit für die Bedürfnisse muss er daher
entweder durch Privatvermögen
oder dadurch enthoben sein, daß er vom Staat,
der seine Tätigkeit in Anspruch nimmt, schadlos gehalten wird,
so daß das Privatinteresse
in seiner Arbeit für das Allgemeine seine Befriedigung findet. ((357))


§ 206
Der Stand, als die sich objektiv gewordene Besonderheit, teilt sich so
einerseits nach dem Begriffe in seine allgemeinen Unterschiede.

Andererseits aber, welchem besonderen Stande das Individuum angehöre,
darauf haben Naturell, Geburt und Umstände ihren Einfluß,
aber die letzte und wesentliche Bestimmung
liegt in der subjektiven Meinung und der besonderen Willkür,
die sich in dieser Sphäre ihr Recht, Verdienst und ihre Ehre gibt,
so daß, was in ihr durch innere Notwendigkeit geschieht,
zugleich durch die Willkür vermittelt ist
und für das subjektive Bewußtsein die Gestalt hat,
das Werk seines Willens zu sein.


Anm. §206
Auch in dieser Rücksicht tut sich
in bezug auf das Prinzip der Besonderheit und der subjektiven Willkür
der Unterschied in dem politischen Leben des Morgenlandes und Abendlandes
und der antiken und der modernen Welt hervor.

Die Einteilung des Ganzen in Stände
erzeugt sich bei jenen zwar objektiv von selbst,
weil sie an sich vernünftig ist;
aber das Prinzip der subjektiven Besonderheit
erhält dabei nicht zugleich sein Recht,
indem z. B. die Zuteilung der Individuen zu den Ständen den Regenten,
wie in dem Platonischen Staate (De republica III [4 1 5 ], p. 320, ed. Bip. T. VI),
oder der bloßen Geburt, wie in den indischen Kasten, überlassen ist.

So in die Organisation des Ganzen nicht aufgenommen und in ihm nicht versöhnt,
zeigt sich deswegen die subjektive Besonderheit,
weil sie als wesentliches Moment gleichfalls hervortritt,
als Feindseliges, als Verderben der gesellschaftlichen Ordnung (s. §185 Anm.),
entweder als sie über den Haufen werfend,
wie in den griechischen Staaten und in der römischen Republik,
oder, wenn diese als Gewalt habend
oder etwa als religiöse Autorität sich erhält,
als innere Verdorbenheit und vollkommene Degradation,
wie [es] gewissermaßen bei den Lakedaimoniern
und jetzt am vollständigsten bei den Indern der Fall ist.

- Von der objektiven Ordnung aber,
in Angemessenheit mit ihr und ((358)) zugleich in ihrem Recht erhalten,
wird die subjektive Besonderheit
zum Prinzip aller Belebung der bürgerlichen Gesellschaft,
der Entwicklung der denkenden Tätigkeit, des Verdiensts und der Ehre.

Die Anerkennung und das Recht,
daß, was in der bürgerlichen Gesellschaft
und im Staate durch die Vernunft notwendig ist,
zugleich durch die Willkür vermittelt geschehe,
ist die nähere Bestimmung dessen,
was vornehmlich in der allgemeinen Vorstellung Freiheit heißt ( §121).


§ 207
Das Individuum gibt sich nur Wirklichkeit,
indem es in das Dasein überhaupt, somit in die bestimmte Besonderheit tritt,
hiermit ausschließend
sich auf eine der besonderen Sphären des Bedürfnisses beschränkt.

Die sittliche Gesinnung in diesem Systeme
ist daher die Rechtschaffenheit und die Standesehre, sich,
und zwar aus eigener Bestimmung, durch seine Tätigkeit, Fleiß und Geschicklichkeit
zum Gliede eines der Momente der bürgerlichen Gesellschaft zu machen
und als solches zu erhalten
und nur durch diese Vermittlung mit dem Allgemeinen für sich zu sorgen
sowie dadurch in seiner Vorstellung und der Vorstellung anderer
anerkannt zu sein.

-Die Moralität hat ihre eigentümliche Stelle in dieser Sphäre,
wo die Reflexion auf sein Tun,
der Zweck der besonderen Bedürfnisse und des Wohls herrschend ist
und die Zufälligkeit in Befriedigung derselben
auch eine zufällige und einzelne Hilfe zur Pflicht macht.
 

Anm. §207
Daß das Individuum sich zunächst (d. i. besonders in der Jugend)
gegen die Vorstellung sträubt, sich zu einem besonderen Stand zu entschließen
und dies als eine Beschränkung seiner allgemeinen Bestimmung
und als eine bloß äußerliche Notwendigkeit ansieht,
liegt in dem abstrakten Denken,
das an dem Allgemeinen und damit Unwirklichen stehenbleibt
und nicht erkennt, daß, um dazusein, der Begriff überhaupt
in den Unterschied des Begriffs und seiner Realität
und damit in die Bestimmtheit ((359)) und Besonderheit tritt (s. § 7)
und daß es nur damit Wirklichkeit und sittliche Objektivität gewinnen kann.


Zusatz. § 207
Darunter, daß der Mensch etwas* sein müsse, verstehen wir,
daß er einem bestimmten Stande angehöre;
denn dies etwas will sagen, daß er alsdann etwas Substantielles ist.

Ein Mensch ohne Stand ist eine bloße Privatperson
und steht nicht in wirklicher Allgemeinheit.

Von der anderen Seite kann
sich der Einzelne in seiner Besonderheit für das Allgemeine halten
und vermeinen, daß, wenn er in einen Stand ginge,
er sich einem Niedrigeren hingebe.

Dies ist die falsche Vorstellung, daß,
wenn etwas ein Dasein, das ihm nötig ist, gewinnt,
es sich dadurch beschränke und aufgebe.


§ 208
Das Prinzip dieses Systems der Bedürfnisse
hat als die eigene Besonderheit des Wissens und des Wollens
die an und für sich seiende Allgemeinheit, die Allgemeinheit der Freiheit
nur abstrakt, somit als Recht des Eigentums in sich,
welches aber hier nicht mehr nur an sich,
sondern in seiner geltenden Wirklichkeit,
als Schutz des Eigentums durch die Rechtspflege, ist.




B. DIE RECHTSPFLEGE


§ 209
Das Relative der Wechselbeziehung der Bedürfnisse und der Arbeit für sie
hat zunächst seine Reflexion in sich,
überhaupt in der unendlichen Persönlichkeit, dem (abstrakten) Rechte.

Es ist aber diese Sphäre des Relativen, als Bildung, selbst,
welche dem Rechte das Dasein gibt,
als allgemein Anerkanntes, Gewußtes und Gewolltes zu sein
und, vermittelt durch dies Gewußt- und Gewolltsein,
Gelten und objektive Wirklichkeit zu haben.


Anm. § 209
Es gehört der Bildung,
dem Denken als Bewußtsein des Einzelnen in Form der Allgemeinheit,
daß Ich als allgemeine Person aufgefaßt werde, worin Alle identisch sind.

Der Mensch gilt so, weil er Mensch ist,
nicht weil er Jude, Katholik, Protestant, Deutscher, Italiener usf. ist.

Dies ((360)) Bewußtsein, dem der Gedanke gilt, ist von unendlicher Wichtigkeit,
- nur dann mangelhaft, wenn es etwa als Kosmopolitismus
sich dazu fixiert, dem konkreten Staatsleben gegenüberzustehen.


Zusatz. § 209
Einerseits ist es durch das System der Partikularität,
daß das Recht äußerlich notwendig wird als Schutz für die Besonderheit.

Wenn es auch aus dem Begriffe kommt,
so tritt es doch nur in die Existenz, weil es nützlich für die Bedürfnisse ist.

Damit man den Gedanken des Rechts habe,
muss man zum Denken gebildet sein
und nicht mehr im bloß Sinnlichen verweilen;
man muss den Gegenständen die Form der Allgemeinheit anpassen
und sich ebenso im Willen nach einem Allgemeinen richten.

Erst nachdem die Menschen sich vielfache Bedürfnisse erfunden haben
und die Erwerbung derselben sich in der Befriedigung verschlingt,
Vermögen sich Gesetze zu bilden.


§ 210
Die objektive Wirklichkeit des Rechts ist,
teils für das Bewußtsein zu sein, überhaupt gewußt zu werden,
teils die Macht der Wirklichkeit zu haben und zu gelten
und damit auch als allgemein Gültiges gewußt zu werden.




a. Das Recht als Gesetz


§ 211
Was an sich Recht ist, ist in seinem objektiven Dasein gesetzt,
d. i. durch den Gedanken für das Bewußtsein bestimmt
und als das, was Recht ist und gilt, bekannt, das Gesetz;
und das Recht ist durch diese Bestimmung positives Recht überhaupt.


Anm. § 211
Etwas als Allgemeines setzen - d. i. es als Allgemeines zum Bewußtsein bringen -
ist bekanntlich denken (vgl. oben § 13 Anm. und § 21 Anm.);
indem es so den Inhalt auf seine einfachste Form zurückbringt,
gibt es ihm seine letzte Bestimmtheit.

Was Recht ist, erhält erst damit, daß es zum Gesetze wird,
nicht nur die Form seiner Allgemeinheit, sondern seine wahrhafte Bestimmtheit.

Es ist ((361)) darum bei der Vorstellung des Gesetzgebens
nicht bloß das eine Moment vor sich zu haben, daß dadurch
etwas als die für alle gültige Regel des Benehmens ausgesprochen werde;
sondern das innere wesentliche Moment ist vor diesem anderen
die Erkenntnis des Inhalts in seiner bestimmten Allgemeinheit.

Gewohnheitsrechte selbst
- da nur die Tiere ihr Gesetz als Instinkt haben,
nur die Menschen aber es sind, die es als Gewohnheit haben -
enthalten das Moment, als Gedanken zu sein und gewußt zu werden.

Ihr Unterschied von Gesetzen besteht nur darin,
daß sie auf eine subjektive und zufällige Weise gewußt werden,
daher für sich unbestimmter [sind]
und die Allgemeinheit des Gedankens getrübter,
außerdem die Kenntnis des Rechts nach dieser und jener Seite
und überhaupt ein zufälliges Eigentum Weniger ist.

Daß sie durch ihre Form, als Gewohnheiten zu sein,
den Vorzug haben sollen, ins Leben übergegangen zu sein
(man spricht heutigentages übrigens
gerade da am meisten vom Leben und vom Übergehen ins Leben,
wo man in dem totesten Stoffe und in den totesten Gedanken versiert),
ist eine Täuschung,
da die geltenden Gesetze einer Nation dadurch, daß sie geschrieben
und gesammelt sind, nicht aufhören, ihre ° Gewohnheiten zu sein.

Wenn die Gewohnheitsrechte dazu kommen,
gesammelt und zusammengestellt zu werden,
was bei einem nur zu einiger Bildung gediehenen Volke bald geschehen muss,
so ist dann diese Sammlung das Gesetzbuch,
das sich freilich, weil es bloße Sammlung ist, durch seine Unförmigkeit,
Unbestimmtheit und Lückenhaftigkeit auszeichnen wird.

Es wird sich vornehmlich
von einem eigentlich so genannten Gesetzbuche dadurch unterscheiden,
daß dieses die Rechtsprinzipien in ihrer Allgemeinheit
und damit in ihrer Bestimmtheit denkend auffaßt und ausspricht.

Englands Landrecht oder gemeines Recht
ist bekanntlich in Statuten (förmlichen Gesetzen) ((362))
und in einem sogenannten ungeschriebenen Gesetze enthalten;
dieses ungeschriebene Gesetz ist übrigens ebensogut geschrieben,
und dessen Kenntnis kann und muss durch Lesen allein
(der vielen Quartanten, die es ausfüllt) erworben werden.

Welche ungeheure Verwirrung aber auch in der dortigen Rechtspflege sowohl
als in der Sache liegt, schildern die Kenner derselben.

Insbesondere bemerken sie den Umstand, daß,
da dies ungeschriebene Gesetz
in den Dezisionen der Gerichtshöfe und Richter enthalten ist,
die Richter damit fortdauernd die Gesetzgeber machen,
daß sie auf die Autorität ihrer Vorgänger,
als die nichts getan als das ungeschriebene Gesetz ausgesprochen haben,
ebenso angewiesen sind als nicht angewiesen sind,
da sie selbst das ungeschriebene Gesetz in sich haben
und daraus das Recht haben,
über die vorhergegangenen Entscheidungen zu urteilen,
ob sie demselben angemessen sind oder nicht.

- Gegen eine ähnliche Verwirrung,
die in der späteren römischen Rechtspflege aus den Autoritäten
aller der verschiedenen berühmten Juriskonsulten entstehen konnte,
wurde von einem Kaiser das sinnreiche Auskunftsmittel getroffen,
das den Namen Zitiergesetz führt
und eine Art von kollegialischer Einrichtung
unter den langst verstorbenen Rechtsgelehrten,
mit Mehrheit der Stimmen und einem Präsidenten, einführte
(s. Herrn Hugos Röm. Rechtsgeschichte [ 1799 ] § 354).

- Einer gebildeten Nation oder dem juristischen Stande in derselben
die Fähigkeit abzusprechen, ein Gesetzbuch zu machen °
- da es nicht darum zu tun sein kann,
ein System ihrem Inhalte nach neuer Gesetze zu machen,
sondern den vorhandenen gesetzlichen Inhalt
in seiner bestimmten Allgemeinheit zu erkennen, d. i. ihn denkend zu fassen,
mit Hinzufügung der Anwendung aufs Besondere -,
wäre einer der größten Schimpfe,
der einer Nation oder jenem Stande angetan werden könnte. ((363))


Zusatz. § 211
Die Sonne wie die Planeten haben auch ihre Gesetze, aber sie wissen sie nicht;
Barbaren werden durch Triebe, Sitten, Gefühle regiert,
aber sie haben kein Bewußtsein davon.

Dadurch, daß das Recht gesetzt und gewußt ist,
fällt alles Zufällige der Empfindung, des Meinens,
die Form der Rache, des Mitleids, der Eigensucht fort,
und so erlangt das Recht erst seine wahrhafte Bestimmtheit
und kommt zu seiner Ehre.

Erst durch die Zucht des Auffassens wird es der Allgemeinheit fähig.

Daß es bei der Anwendung der Gesetze Kollisionen gibt,
wo der Verstand des Richters seinen Platz hat, ist durchaus notwendig,
weil sonst eben die Ausführung etwas durchaus Maschinenmäßiges würde.

Wenn man darauf gekommen ist, die Kollisionen dadurch abzuschaffen,
daß man vieles dem Gutdünken der Richter überlassen will,
so ist ein solcher Ausweg weit schlechter,
weil auch die Kollision dem Gedanken,
dem denkenden Bewußtsein und seiner Dialektik angehört,
die bloße Entscheidung durch den Richter aber Willkür wäre.

Man führt in der Regel für das Gewohnheitsrecht an, daß es lebendig sei,
aber diese Lebendigkeit, d. h. die Identität der Bestimmung mit dem Subjekte,
macht das Wesen der Sache noch nicht aus;
das Recht muss denkend gewußt werden,
es muss ein System in sich selbst sein,
und nur als solches kann es bei gebildeten Nationen gelten.

Wenn man in der neuesten Zeit den Völkern
den Beruf zur Gesetzgebung abgesprochen hat,
so ist dies nicht allein ein Schimpf,
sondern enthält das Abgeschmackte,
daß bei der unendlichen Menge vorhandener Gesetze
nicht einmal den Einzelnen die Geschicklichkeit zugetraut wird,
dieselben in ein konsequentes System zu bringen,
während gerade das Systematisieren, d. h. das Erheben ins Allgemeine,
der unendliche Drang der Zeit ist.

Ebenso hat man Sammlungen von Dezisionen,
wie sie sich im Corpus iuris vorfinden, für vorzüglicher
als ein im allgemeinsten Sinne ausgearbeitetes Gesetzbuch gehalten,
weil in solchen Dezisionen immer noch eine gewisse Besonderheit
und eine geschichtliche Erinnerung festgehalten wird,
von der man nicht lassen will.

Wie arg solche Sammlungen sind,
zeigt zur Genüge die Praxis des englischen Rechts.


§ 212
In dieser Identität des Ansichseins und des Gesetztseins
hat nur das als Recht Verbindlichkeit, was Gesetz ist.

Indem das Gesetztsein die Seite des Daseins ausmacht, in der auch
das Zufällige des Eigenwillens und anderer Besonderheit eintreten kann,
so kann das, was Gesetz ist,
in seinem Inhalte noch von dem verschieden sein, was an sich Recht ist. ((364))


Anm. § 212
Im positiven Rechte ist daher das, was gesetzmäßig ist,
die Quelle der Erkenntnis dessen, was Recht ist,
oder eigentlich, was Rechtens ist;
- die positive Rechtswissenschaft ist insofern eine historische Wissenschaft,
welche die Autorität zu ihrem Prinzip hat.

Was noch übriges geschehen kann, ist Sache des Verstandes
und betrifft die äußere Ordnung, Zusammenstellung,
Konsequenz, weitere Anwendung u. dgl.

Wenn der Verstand sich auf die Natur der Sache selbst einläßt,
so zeigen die Theorien, z. B. des Kriminalrechts,
was er mit seinem Räsonnement aus Gründen anrichtet.

- Indem die positive Wissenschaft einerseits nicht nur das Recht,
sondern auch die notwendige Pflicht hat,
sowohl die historischen Fortgänge als die Anwendungen und Zerspaltungen
der gegebenen Rechtsbestimmungen in alle Einzelheiten
aus ihren positiven Datis zu deduzieren und ihre Konsequenz zu zeigen,
so darf sie auf der andern Seite sich wenigstens nicht absolut verwundern,
wenn sie es auch als eine Querfrage für ihre Beschäftigung ansieht,
wenn nun gefragt wird, ob denn nach allen diesen Beweisen
eine Rechtsbestimmung vernünftig ist.

- Vgl. über das Verstehen § 3 Anm.


§ 213
Das Recht,
indem es in das Dasein zunächst in der Form des Gesetztseins tritt,
tritt auch dem Inhalte nach als Anwendung
in die Beziehung auf den Stoff der in der bürgerlichen Gesellschaft
ins Unendliche sich vereinzelnden und verwickelnden Verhältnisse
und Arten des Eigentums und der Verträge,
- ferner der auf Gemüt, Liebe und Zutrauen beruhenden sittlichen Verhältnisse,
jedoch dieser nur, insofern sie die Seite des abstrakten Rechts enthalten (§ 159);
die moralische Seite und moralischen Gebote, als welche
den Willen nach seiner eigensten Subjektivität und Besonderheit betreffen,
können nicht Gegenstand der positiven Gesetzgebung sein.

Weiteren Stoff liefern die aus der Rechtspflege selbst,
aus dem Staat usf. fließenden Rechte und Pflichten. ((365))


Zusatz. § 213
An den höheren Verhältnissen der Ehe, Liebe, Religion, des Staats
können nur die Seiten Gegenstand der Gesetzgebung werden,
die ihrer Natur nach fähig sind, die Äußerlichkeit an sich zu haben.

Indessen macht hierbei die Gesetzgebung verschiedener Völker
einen großen Unterschied.

Bei den Chinesen ist es z. B. Staatsgesetz, daß der Mann
seine erste Frau mehr lieben soll als die anderen Weiber, die er hat.

Wird er überführt, das Gegenteil getan zu haben,
so bestraft man ihn mit Prügeln.

Ebenso finden sich in älteren Gesetzgebungen viel Vorschriften
über Treue und Redlichkeit, die der Natur des Gesetzes unangemessen sind,
weil sie ganz in das Innerliche fallen.

Nur beim Eide, wo die Dinge dem Gewissen anheimgestellt sind,
muss Redlichkeit und Treue als Substantielles berücksichtigt werden.


§ 214
außer der Anwendung auf das Besondere
schließt aber das Gesetztsein des Rechts
die Anwendbarkeit auf den einzelnen Fall in sich.

Damit tritt es in die Sphäre des durch den Begriff unbestimmten Quantitativen
(des Quantitativen für sich oder als Bestimmung des Werts
bei Tausch eines Qualitativen gegen ein anderes Qualitatives).

Die Begriffsbestimmtheit gibt nur eine allgemeine Grenze,
innerhalb deren noch ein Hin- und Hergehen stattfindet.

Dieses muss aber zum Behuf der Verwirklichung abgebrochen werden,
womit eine innerhalb jener Grenze
zufällige und willkürliche Entscheidung eintritt.


Anm. § 214
In dieser Zuspitzung des Allgemeinen, nicht nur zum Besonderen,
sondern zur Vereinzelung, d. i. zur unmittelbaren Anwendung,
ist es vornehmlich, wo das rein Positive der Gesetze liegt.

Es läßt sich nicht vernünftig bestimmen noch durch die Anwendung
einer aus dem Begriffe herkommenden Bestimmtheit entscheiden,
ob für ein Vergehen
eine Leibesstrafe von vierzig Streichen oder von vierzig weniger eins,
noch ob eine Geldstrafe von fünf Talern oder aber auch von vier Talern
und dreiundzwanzig usf. Groschen,
noch ob eine Gefängnisstrafe von einem Jahre
oder von dreihundertvierundsechszig usf. [Tagen] oder von einem Jahre
und einem, zwei oder ((366)) drei Tagen das Gerechte sei.

Und doch ist schon ein Streich zuviel, ein Taler oder ein Groschen,
eine Woche, ein Tag Gefängnis zuviel oder zuwenig eine Ungerechtigkeit.

- Die Vernunft ist es selbst, welche anerkennt, daß die Zufälligkeit,
der Widerspruch und Schein ihre, aber beschränkte Sphäre und Recht hat
und sich nicht bemüht, dergleichen Widersprüche
ins Gleiche und Gerechte zu bringen;
hier ist allein noch das Interesse der Verwirklichung,
das Interesse, daß überhaupt bestimmt und entschieden sei,
es sei, auf welche Weise es (innerhalb einer Grenze) wolle, vorhanden.

Dieses Entscheiden gehört der formellen Gewißheit seiner selbst,
der abstrakten Subjektivität an,
welche sich ganz nur daran halten mag, daß sie, innerhalb jener Grenze,
nur abbreche und festsetze, damit festgesetzt sei,
- oder auch an solche Bestimmungsgründe, wie eine runde Zahl ist,
oder als die Zahl Vierzig weniger Eins enthalten mag.

- Daß das Gesetz etwa nicht
diese letzte Bestimmtheit, welche die Wirklichkeit erfordert, festsetzt,
sondern sie dem Richter zu entscheiden überläßt
und ihn nur durch ein Minimum und Maximum beschränkt,
tut nichts zur Sache,
denn dies Minimum und Maximum ist jedes selbst eine solche runde Zahl
und hebt es nicht auf, daß von dem Richter alsdann
eine solche endliche, rein positive Bestimmung gefaßt werde,
sondern gesteht es demselben, wie notwendig, zu.


Zusatz. § 214
Es ist wesentlich eine Seite an den Gesetzen und der Rechtspflege,
die eine Zufälligkeit enthält und die darin liegt,
daß das Gesetz eine allgemeine Bestimmung ist,
die auf den einzelnen Fall angewandt werden soll.

Wollte man sich gegen diese Zufälligkeit erklären,
so würde man eine Abstraktion aussprechen.

Das Quantitative einer Strafe kann z. B.
keiner Begriffsbestimmung adäquat gemacht werden,
und was auch entschieden wird, ist nach dieser Seite zu immer eine Willkür.

Diese Zufälligkeit aber ist selbst notwendig;
und wenn man daraus etwa gegen ein Gesetzbuch überhaupt argumentiert,
daß es nicht vollkommen sei, so übersieht man eben die Seite,
woran eine Vollendung nicht zu erreichen ist
und die daher genommen werden muss, wie sie liegt. ((367))




b. Das Dasein des Gesetzes


§ 215
Die Verbindlichkeit gegen das Gesetz
schließt von den Seiten des Rechts des Selbstbewußtseins (§ 132 mit der Anm.)
die Notwendigkeit ein, daß die Gesetze allgemein bekannt gemacht seien.


Anm.
Die Gesetze so hoch aufhängen, wie Dionysios der Tyrann tat,
daß sie kein Bürger lesen konnte,
- oder aber sie in den weitläufigen Apparat von gelehrten Büchern,
Sammlungen von Dezisionen abweichender Urteile
und Meinungen, Gewohnheiten usf.
und noch dazu in einer fremden Sprache vergraben,
so daß die Kenntnis des geltenden Rechts nur denen zugänglich ist,
die sich gelehrt darauf legen, - ist ein und dasselbe Unrecht.

- Die Regenten, welche ihren Völkern,
wenn auch nur eine unförmliche Sammlung, wie Justinian,
noch mehr aber ein Landrecht, als geordnetes und bestimmtes Gesetzbuch,
gegeben haben, sind nicht nur die größten Wohltäter derselben geworden
und mit Dank dafür von ihnen gepriesen worden,
sondern sie haben damit einen großen Akt der Gerechtigkeit exerziert.


Zusatz. §215
Der Juristenstand, der die besondere Kenntnis der Gesetze hat,
hält dies oft für sein Monopol,
und wer nicht vom Metier ist, soll nicht mitsprechen.

So haben die Physiker Goethes Farbenlehre übelgenommen,
weil er nicht vom Handwerk war, und noch dazu ein Dichter.

Aber sowenig jemand Schuhmacher zu sein braucht,
um zu wissen, ob ihm die Schuhe passen,
ebensowenig braucht er überhaupt zum Handwerk zu gehören,
um über Gegenstände die von allgemeinem Interesse sind, Kenntnis zu haben.

Das Recht betrifft die Freiheit, dies Würdigste und Heiligste im Menschen
was er selbst, insofern es für ihn verbindlich sein soll, kennen muß.


§ 216
Für das öffentliche Gesetzbuch sind
einerseits einfache, allgemeine Bestimmungen zu fordern,
andererseits führt die Natur des endlichen Stoffs auf endlose Fortbestimmung.

Der ((368)) Umfang der Gesetze soll
einerseits ein fertiges, geschlossenes Ganzes sein,
andererseits ist er das fortgehende Bedürfnis neuer gesetzlicher Bestimmungen.

Da diese Antinomie aber in die Spezialisierung
der allgemeinen Grundsätze fällt, welche fest bestehen bleiben,
so bleibt dadurch das Recht an ein fertiges Gesetzbuch ungeschmälert,
sowie daran, daß diese allgemeinen einfachen Grundsätze für sich,
unterschieden von ihrer Spezialisierung, faßlich und aufstellbar sind.


Anm.
Eine Hauptquelle der Verwicklung der Gesetzgebung ist zwar,
wenn in die ursprünglichen, ein Unrecht enthaltenden,
somit bloß historischen Institutionen
mit der Zeit das Vernünftige, an und für sich Rechtliche eindringt,
wie bei den römischen oben (§ 180 Anm.) bemerkt worden,
dem alten Lehensrechte usf.

Aber es ist wesentlich, einzusehen,
daß die Natur des endlichen Stoffes selbst es mit sich bringt,
daß an ihm die Anwendung auch der an und für sich vernünftigen,
der in sich allgemeinen Bestimmungen auf den Progreß ins Unendliche führt.

- An ein Gesetzbuch die Vollendung zu fordern, daß es ein absolut fertiges,
keiner weiteren Fortbestimmung fähiges sein solle
- eine Forderung, welche vornehmlich eine deutsche Krankheit ist -,
und aus dem Grunde, weil es nicht so vollendet werden könne,
es nicht zu etwas sogenanntem Unvollkommenen,
d. h. nicht zur Wirklichkeit kommen zu lassen,
beruht beides auf der Mißkennung der Natur endlicher Gegenstände,
wie das Privatrecht ist, als in denen die sogenannte Vollkommenheit
das Perennieren der Annäherung ist,
und auf der Mißkennung des Unterschiedes
des Vernunft-Allgemeinen und des Verstandes-Allgemeinen
und dessen Anwenden auf den ins Unendliche gehenden Stoff
der Endlichkeit und Einzelheit.

- Le plus grand ennemi du bien c’est le mieux,
ist der Ausdruck des wahrhaften gesunden Menschenverstandes
gegen den eitlen räsonierenden und reflektierenden.


Zusatz. §216
Vollständigkeit heißt
die vollendete Sammlung alles Einzelnen, was in eine Sphäre gehört,
und in diesem Sinne kann keine Wissenschaft und Kenntnis vollständig sein.

Wenn man nun sagt, die Philosophie oder irgendeine Wissenschaft sei unvollständig,
so liegt die Ansicht nahe, daß man warten müsse, bis sie sich ergänzt habe,
denn das beste könne noch fehlen.

Aber auf diese Weise wird nichts vorwärts gebracht,
weder die geschlossen scheinende Geometrie,
in der dennoch neue Bestimmungen hervortreten,
noch die Philosophie, die es freilich mit der allgemeinen Idee zu tun hat,
aber dennoch immer weiter spezialisiert werden kann.

Das allgemeine Gesetz waren sonst immer die zehn Gebote;
darum nun, weil ein Gesetzbuch nicht vollständig sein kann,
das Gesetz >>Du sollst nicht töten« nicht aufstellen,
erhellt sogleich als eine Absurdität.

Jedes Gesetzbuch könnte noch besser sein,
die müßige Reflexion darf dies behaupten,
denn das Herrlichste, Höchste, Schönste
kann noch herrlicher, höher und schöner gedacht werden.

Aber ein großer alter Baum verzweigt sich mehr und mehr,
ohne deshalb ein neuer Baum zu werden;
töricht wäre es jedoch, keinen Baum der neuen Zweige wegen,
die kommen könnten, pflanzen zu wollen.
 

§ 217
Wie in der bürgerlichen Gesellschaft das Recht an sich zum Gesetze wird,
so geht auch das vorhin unmittelbare und abstrakte Dasein
meines einzelnen Rechts
in die Bedeutung des Anerkanntseins als eines Daseins
in dem existierenden allgemeinen Willen und Wissen über.

Die Erwerbungen und Handlungen über Eigentum müssen daher
mit der Form, welche ihnen jenes Dasein gibt,
vorgenommen und ausgestattet werden.

Das Eigentum beruht nun auf Vertrag und
auf den dasselbe des Beweises fähig und rechtskräftig machenden Förmlichkeiten.


Anm.
Die ursprünglichen, d. i. unmittelbaren Erwerbungsarten und Titel (§54 ff.)
fallen in der bürgerlichen Gesellschaft eigentlich hinweg
und kommen nur als einzelne Zufälligkeiten oder beschränkte Momente vor.

- Es ist teils das im Subjektiven stehenbleibende Gefühl,
teils die Reflexion, die am Abstraktum ihrer Wesentlichkeiten hält, ((370))
welche die Förmlichkeiten verwirft,
die seinerseits wieder der tote Verstand gegen die Sache festhalten
und ins Unendliche vermehren kann.

- Übrigens liegt es im Gange der Bildung,
von der sinnlichen und unmittelbaren Form eines Inhaltes
mit langer und harter Arbeit zur Form seines Gedankens
und damit einem ihm gemäßen einfachen Ausdruck zu gelangen,
daß im Zustande einer nur erst beginnenden Rechtsbildung
die Solennitäten und Formalitäten von großer Umständlichkeit [sind]
und mehr als Sache selbst denn als das Zeichen gelten;
woher denn auch im römischen Rechte
eine Menge von Bestimmungen und besonders von Ausdrücken
aus den Solennitäten beibehalten worden sind,
statt durch Gedankenbestimmungen und deren adäquaten Ausdruck
ersetzt worden zu sein.


Zusatz. §217
Das Gesetz ist das Recht, als das gesetzt, was es an sich war.

Ich besitze etwas, habe ein Eigentum, das ich als herrenlos ergriffen habe:
dies muss nun noch als das meinige anerkannt und gesetzt werden.

In der Gesellschaft kommen deswegen
in Beziehung auf das Eigentum Förmlichkeiten vor:
man setzt Grenzsteine zum Zeichen für das Anerkenntnis anderer,
man legt Hypothekenbücher, Verzeichnisse des Eigentums an.

Das meiste Eigentum in der bürgerlichen Gesellschaft
beruht auf Vertrag, dessen Förmlichkeiten fest und bestimmt sind.

Man kann nun gegen solche Förmlichkeiten einen Widerwillen haben
und meinen, sie seien nur da, um der Obrigkeit Geld einzubringen;
man kann sie sogar als etwas Beleidigendes
und als Zeichen des Mißtrauens ansehen,
indem der Satz nicht mehr gelte, ein Mann ein Wort;
aber das Wesentliche der Form ist, daß das, was an sich Recht ist,
auch als solches gesetzt sei.

Mein Wille ist ein vernünftiger, er gilt,
und dies Gelten soll von dem anderen anerkannt sein.

Hier muss nun meine Subjektivität und die des anderen hinwegfallen,
und der Wille muss eine Sicherheit, Festigkeit und Objektivität erlangen,
welche er nur durch die Form erhalten kann.


§ 218
Indem Eigentum und Persönlichkeit in der bürgerlichen Gesellschaft
gesetzliche Anerkennung und Gültigkeit haben, so ist das Verbrechen
nicht mehr nur Verletzung eines subjektiv ((371)) Unendlichen,
sondern der allgemeinen Sache,
die eine in sich feste und starke Existenz hat.

Es tritt damit der Gesichtspunkt der Gefährlichkeit der Handlung
für die Gesellschaft ein, wodurch
einerseits die größe des Verbrechens verstärkt wird;
andererseits aber setzt die ihrer selbst sicher gewordene Macht der Gesellschaft
die äußerliche Wichtigkeit der Verletzung herunter
und führt daher eine größere Milde in der Ahndung desselben herbei.


Anm.
Daß in einem Mitgliede der Gesellschaft die anderen alle verletzt sind,
verändert die Natur des Verbrechens nicht nach seinem Begriffe,
sondern nach der Seite der äußeren Existenz, der Verletzung,
die nun die Vorstellung und das Bewußtsein der bürgerlichen Gesellschaft,
nicht nur das Dasein des unmittelbar Verletzten trifft.

In den Heroenzeiten (siehe die Tragödien der Alten)
sehen sich die Bürger durch die Verbrechen,
welche die Glieder der Königshäuser gegeneinander begehen,
nicht als verletzt an.

- Indem das Verbrechen, an sich eine unendliche Verletzung,
als ein Dasein nach qualitativen und quantitativen Unterschieden
bemessen werden muss (§ 96),
welches nun wesentlich als Vorstellung und Bewußtsein
von dem Gelten der Gesetze bestimmt ist,
so ist die Gefährlichkeit für die bürgerliche Gesellschaft
eine Bestimmung seiner Größe
oder auch eine seiner qualitativen Bestimmungen.

- Diese Qualität nun oder Größe
ist aber nach dem Zustande der bürgerlichen Gesellschaft veränderlich,
und in ihm liegt die Berechtigung,
sowohl einen Diebstahl von etlichen Sous oder einer Rübe
mit dem Tode als einen Diebstahl,
der das Hundert- und Mehrfache von dergleichen Werten beträgt,
mit einer gelinden Strafe zu belegen.

Der Gesichtspunkt der Gefährlichkeit für die bürgerliche Gesellschaft,
indem er die Verbrechen zu aggravieren scheint, ist es vielmehr vornehmlich,
der ihre Ahndung vermindert hat.

Ein Strafkodex gehört darum vornehmlich seiner Zeit
und dem Zustand der bürgerlichen Gesellschaft in ihr an. ((372))


Zusatz. §218
Der Umstand, daß das in der Gesellschaft verübte Verbrechen
ein größeres erscheint und trotzdem milder bestraft wird
scheint sich zu widersprechen.

Wenn es aber einerseits für die Gesellschaft unmöglich wäre,
das Verbrechen unbestraft zu lassen,
weil es alsdann als Recht gesetzt würde,
so ist doch, weil die Gesellschaft ihrer selbst sicher ist,
das Verbrechen immer nur eine Einzelheit gegen sie,
ein Unfestes und Isoliertes.

Durch die Festigkeit der Gesellschaft selbst
erhält das Verbrechen die Stellung eines bloß Subjektiven,
das nicht so aus dem besonnenen Willen
als aus natürlichen Antrieben entsprungen scheint.

Durch diese Ansicht erhält das Verbrechen eine mildere Stellung,
und die Strafe wird deswegen auch milder.

Ist die Gesellschaft noch an sich wankend,
dann müssen durch Strafen Exempel statuiert werden,
denn die Strafe ist selbst ein Exempel gegen das Exempel des Verbrechens.

In der Gesellschaft aber, die in sich fest ist,
ist das Gesetztsein des Verbrechens so schwach,
daß hiernach auch die Aufhebung dieses Gesetztseins zu messen sein muß.

Harte Strafen sind also an und für sich nichts Ungerechtes,
sondern stehen im Verhältnis mit dem Zustande der Zeit:
ein Kriminalkodex kann nicht für alle Zeiten gelten,
und Verbrechen sind Scheinexistenzen,
die eine größere oder geringere Abweisung nach sich ziehen können.




c. Das Gericht


§ 219
Das Recht, in der Form des Gesetzes in das Dasein getreten, ist für sich,
steht dem besonderen Wollen und Meinen vom Rechte selbständig gegenüber
und hat sich als allgemeines geltend zu machen.

Diese Erkenntnis und Verwirklichung des Rechts im besonderen Falle,
ohne die subjektive Empfindung des besonderen Interesses,
kommt einer öffentlichen Macht, dem Gerichte, zu.


Anm.
Die historische Entstehung des Richters und der Gerichte
mag die Form des patriarchalischen Verhältnisses
oder der Gewalt oder der freiwilligen Wahl gehabt haben;
für den Begriff der Sache ist dies gleichgültig.

Die Einführung des Rechtsprechens von seiten der Fürsten und Regierungen
als bloße Sache einer beliebigen Gefälligkeit und Gnade anzusehen,
wie Herr von Haller ((373))
(in seiner Restauration der Staatswissenschaft) °  tut,
gehört zu der Gedankenlosigkeit,
die davon nichts ahnt, daß beim Gesetz und Staate davon die Rede sei,
daß ihre Institutionen überhaupt
als vernünftig an und für sich notwendig sind
und die Form, wie sie entstanden und eingeführt worden,
das nicht ist, um das es sich bei Betrachtung ihres vernünftigen Grundes handelt.

- Das andere Extrem zu dieser Ansicht ist die Roheit,
die Rechtspflege wie in den Zeiten des Faustrechts
für ungehörige Gewalttätigkeit,
Unterdrückung der Freiheit und Despotismus zu achten.

Die Rechtspflege ist so sehr als Pflicht
wie als Recht der öffentlichen Macht anzusehen,
das ebensowenig auf einem Belieben der Individuen,
eine Macht damit zu beauftragen oder nicht, beruht.


§ 220
Das Recht gegen das Verbrechen in der Form der Rache (§102)
ist nur Recht an sich, nicht in der Form Rechtens,
d. i. nicht in seiner Existenz gerecht.

Statt der verletzten Partei tritt das verletzte Allgemeine auf,
das im Gerichte eigentümliche Wirklichkeit hat,
und übernimmt die Verfolgung und Ahndung des Verbrechens,
welche damit die nur subjektive
und zufällige Wiedervergeltung durch Rache zu sein aufhört
und sich in die wahrhafte Versöhnung des Rechts mit sich selbst,
in Strafe verwandelt,
- in objektiver Rücksicht als Versöhnung
des durch Aufheben des Verbrechens sich selbst wiederherstellenden
und damit als gültig verwirklichenden Gesetzes,
und in subjektiver Rücksicht des Verbrechers
als seines von ihm gewußten
und für ihn und zu seinem Schutze gültigen Gesetzes,
in dessen Vollstreckung an ihm er somit selbst die Befriedigung der Gerechtigkeit,
nur die Tat des Seinigen findet.


§ 221
Das Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft
hat das Recht, im Gerichte zu stehen,
sowie die Pflicht, sich vor Gericht zu stellen
und sein streitiges Recht nur von dem Gericht zu nehmen.


Zusatz.
Weil jedes Individuum das Recht hat, im Gericht zu stehen,
muss es auch die Gesetze kennen,
denn sonst würde ihm diese Befugnis nichts helfen.

Aber das Individuum hat auch die Pflicht, sich vor Gericht zu stellen.

Im Feudalzustande stellte oft der Mächtige sich nicht,
forderte das Gericht heraus und behandelte es als ein Unrecht des Gerichts,
den Mächtigen vor sich zu fordern.

Dies sind aber Zustände, die dem, was ein Gericht sein soll, widersprechen.

In der neueren Zeit muss der Fürst in Privatsachen
die Gerichte über sich erkennen,
und gewöhnlich gehen in freien Staaten die Prozesse desselben verloren.


§ 222
Vor den Gerichten erhält das Recht die Bestimmung,
ein erweisbares sein zu müssen.

Der Rechtsgang setzt die Parteien in den Stand,
ihre Beweismittel und Rechtsgründe geltend zu machen,
und den Richter, sich in die Kenntnis der Sache zu setzen.

Diese Schritte sind selbst Rechte;
ihr Gang muss somit gesetzlich bestimmt sein, und sie machen auch
einen wesentlichen Teil der theoretischen Rechtswissenschaft aus.


Zusatz.
Es mag den Menschen empören, daß er weiß, ein Recht zu haben,
das ihm als ein unerweisbares abgesprochen wird;
aber das Recht, das ich habe, muss zugleich ein gesetztes sein:
ich muss es darstellen, erweisen können,
und nur dadurch, daß das Ansichseiende auch gesetzt wird,
kann es in der Gesellschaft gelten.


§ 223
Durch die Zersplitterung dieser Handlungen in immer mehr vereinzelte Handlungen
und deren Rechte, die in sich keine Grenze enthält,
tritt der Rechtsgang, an sich schon Mittel,
als etwas Äußerliches seinem Zwecke gegenüber.

- Indem den Parteien das Recht,
solchen weitläufigen Formalismus durchzumachen, der ihr Recht ist, zusteht,
so ist, indem er ((375)) ebenso zu einem Übel
und selbst Werkzeuge des Unrechts gemacht werden kann,
es ihnen von Gerichts wegen
- um die Parteien und das Recht selbst
als die substantielle Sache, worauf es ankommt,
gegen den Rechtsgang und dessen Mißbrauch in Schutz zu nehmen -
zur Pflicht zu machen, einem einfachen Gerichte (Schieds-, Friedensgericht)
und dem Versuche des Vergleichs sich zu unterwerfen,
ehe sie zu jenem schreiten.


Anm.
Die Billigkeit enthält einen dem formellen Rechte
aus moralischen oder anderen Rücksichten geschehenden Abbruch
und bezieht sich zunächst auf den Inhalt des Rechtsstreits.

Ein Billigkeitsgerichtshof aber wird die Bedeutung haben,
daß er über den einzelnen Fall, ohne sich an die Formalitäten des Rechtsganges
und insbesondere an die objektiven Beweismittel,
wie sie gesetzlich gefaßt werden können, zu halten,
sowie nach dem eigenen Interesse des einzelnen Falles als dieses,
nicht im Interesse einer allgemeinen zu machenden gesetzlichen Disposition,
entscheidet.


§ 224
Wie die öffentliche Bekanntmachung der Gesetze
unter die Rechte des subjektiven Bewußtseins fällt (§215),
so auch die Möglichkeit,
die Verwirklichung des Gesetzes im besonderen Falle,
nämlich den Verlauf von äußerlichen Handlungen, von Rechtsgründen usf.
zu kennen, indem dieser Verlauf
an sich eine allgemein gültige Geschichte ist
und der Fall seinem besonderen Inhalte nach zwar nur das Interesse der Parteien,
der allgemeine Inhalt aber das Recht darin
und dessen Entscheidung das Interesse aller betrifft,
- Öffentlichkeit der Rechtspflege.


Anm.
Deliberationen der Mitglieder des Gerichts
über das zu fällende Urteil unter sich
sind Äußerungen der noch besonderen Meinungen und Ansichten,
also ihrer Natur nach nichts Öffentliches. ((376))


Zusatz.
Die Öffentlichkeit der Rechtspflege
nimmt der gerade Menschensinn für das Rechte und Richtige.

Ein großer Grund dagegen war ewig die Vornehmheit der Gerichtsherren,
die sich nicht jedem zeigen wollen und sich als Horte des Rechts ansehen,
in das die Laien nicht eindringen sollen.

Es gehört zum Rechte aber namentlich das Zutrauen,
das die Bürger zu demselben haben,
und diese Seite ist es, welche die Öffentlichkeit des Rechtsprechens fordert.

Das Recht der Öffentlichkeit beruht darauf,
daß der Zweck des Gerichts das Recht ist,
welches als eine Allgemeinheit auch vor die Allgemeinheit gehört;
dann aber auch darauf, daß die Bürger die Überzeugung gewinnen,
daß wirklich Recht gesprochen wird.


§ 225
In dem Geschäfte des Rechtsprechens
als der Anwendung des Gesetzes auf den einzelnen Fall
unterscheiden sich die zwei Seiten:
erstens die Erkenntnis der Beschaffenheit des Falls
nach seiner unmittelbaren Einzelheit, ob ein Vertrag usf. vorhanden,
eine verletzende Handlung begangen und wer deren Täter sei,
und im peinlichen Rechte die Reflexion als Bestimmung der Handlung
nach ihrem substantiellen, verbrecherischen Charakter (§119 Anm.),
- zweitens die Subsumtion des Falles
unter das Gesetz der Wiederherstellung des Rechts,
worunter im Peinlichen die Strafe begriffen ist.

Die Entscheidungen über diese beiden verschiedenen Seiten
sind verschiedene Funktionen.


Anm.
In der römischen Gerichtsverfassung
kam die Unterscheidung dieser Funktionen darin vor,
daß der Prätor seine Entscheidung gab,
im Fall sich die Sache so oder so verhalte,
und daß er zur Untersuchung dieses Verhaltens einen besonderen Judex bestellte.

- Die Charakterisierung einer Handlung
nach ihrer bestimmten verbrecherischen Qualität
(ob z. B. ein Mord oder Tötung) ist im englischen Rechtsverfahren
der Einsicht oder Willkür des Anklägers überlassen,
und das Gericht kann keine andere Bestimmung fassen,
wenn es jene unrichtig findet.


§ 226
Vornehmlich die Leitung des ganzen Ganges der Untersuchung, ((377))
dann der Rechtshandlungen der Parteien,
als welche selbst Rechte sind (§222),
dann auch die zweite Seite des Rechtsurteils (s. vorherg. §)
ist ein eigentümliches Geschäft des juristischen Richters,
für welchen als Organ des Gesetzes
der Fall zur Möglichkeit der Subsumtion vorbereitet,
d. i. aus seiner erscheinenden empirischen Beschaffenheit heraus
zur anerkannten Tatsache und
zur allgemeinen Qualifikation erhoben worden sein muß.


§ 227
Die erstere Seite, die Erkenntnis des Falles
in seiner unmittelbaren Einzelheit und seine Qualifizierung,
enthält für sich kein Rechtsprechen.

Sie ist eine Erkenntnis, wie sie jedem gebildeten Menschen zusteht.

Insofern für die Qualifikation der Handlung
das subjektive Moment der Einsicht und Absicht des Handelnden (s. II. Teil)
wesentlich ist und der Beweis
ohnehin nicht Vernunft- oder abstrakte Verstandesgegenstände,
sondern nur Einzelheiten, Umstände
und Gegenstände sinnlicher Anschauung und subjektiver Gewißheit betrifft,
daher keine absolut objektive Bestimmung in sich enthält,
so ist das Letzte in der Entscheidung
die subjektive Überzeugung und das Gewissen (animi sententia),
wie in Ansehung des Beweises,
der auf Aussagen und Versicherungen anderer beruht,
der Eid die zwar subjektive, aber letzte Bewährung ist.


Anm.
Bei dem in Rede stehenden Gegenstand ist es eine Hauptsache,
die Natur des Beweisens, auf welches es hier ankommt, ins Auge zu fassen
und es von dem Erkennen und Beweisen anderer Art zu unterscheiden.

Eine Vernunftbestimmung, wie der Begriff des Rechts selbst ist,
zu beweisen, d. i. ihre Notwendigkeit zu erkennen,
erfordert eine andere Methode als der Beweis eines geometrischen Lehrsatzes.

Ferner bei letzterem ist die Figur vom Verstande bestimmt
und einem Gesetze gemäß bereits abstrakt gemacht;
aber bei einem empirischen Inhalt, wie eine Tatsache ist,
ist der Stoff des Erkennens die gegebene ((378)) sinnliche Anschauung
und die sinnliche subjektive Gewißheit
und das Aussprechen und Versichern von solcher,
- woran nun das schließen und Kombinieren
aus solchen Aussagen, Zeugnissen, Umständen u. dgl. tätig ist.

Die objektive Wahrheit,
welche aus solchem Stoffe und der ihm gemäßen Methode,
[die] bei dem Versuche, sie für sich objektiv zu bestimmen,
auf halbe Beweise und in weiterer wahrhafter Konsequenz,
die zugleich eine formelle Inkonsequenz in sich enthält,
auf außerordentliche Strafen führt, hervorgeht,
hat einen ganz anderen Sinn als die Wahrheit einer Vernunftbestimmung
oder eines Satzes, dessen Stoff sich der Verstand
bereits abstrakt bestimmt hat.

Daß nun solche empirische Wahrheit einer Begebenheit zu erkennen
in der eigentlich juristischen Bestimmung eines Gerichts,
daß in dieser eine eigentümliche Qualität hierfür
und damit ein ausschließendes Recht an sich und Notwendigkeit liege,
dies aufzuzeigen machte einen Hauptgesichtspunkt bei der Frage aus,
inwiefern den förmlichen juristischen Gerichtshöfen
das Urteil über das Faktum wie über die Rechtsfrage zuzuschreiben sei.


Zusatz.
Es ist kein Grund vorhanden, anzunehmen,
daß der juristische Richter allein den Tatbestand feststellen solle,
da dies die Sache jeder allgemeinen Bildung ist
und nicht einer bloß juristischen:
die Beurteilung des Tatbestandes geht von empirischen Umständen aus,
von Zeugnissen über die Handlung und dergleichen Anschauungen,
dann aber wieder von Tatsachen,
aus denen man auf die Handlung schließen kann
und die sie wahrscheinlich oder unwahrscheinlich machen.

Es soll hier eine Gewißheit erlangt werden, keine Wahrheit im höheren Sinne,
welche etwas durchaus Ewiges ist;
diese Gewißheit ist hier die subjektive Überzeugung, das Gewissen,
und die Frage ist: welche Form soll diese Gewißheit im Gericht erhalten?

Die Forderung des Eingeständnisses von seiten des Verbrechers,
welche sich gewöhnlich im deutschen Rechte vorfindet, hat das Wahre,
daß dem Recht des subjektiven Selbstbewußtseins dadurch ein Genüge geschieht;
denn das, was die Richter sprechen,
muss im Bewußtsein nicht verschieden sein,
und erst, wenn der Verbrecher eingestanden hat,
ist kein Fremdes mehr gegen ihn in dem Urteil.

Hier tritt nun aber die Schwierigkeit ein, daß der Verbrecher leugnen kann
und dadurch das Interesse der ((379)) Gerechtigkeit gefährdet wird.

Soll nun wieder die subjektive Überzeugung des Richters gelten,
so geschieht abermals eine Härte,
indem der Mensch nicht mehr als freier behandelt wird.

Die Vermittlung ist nun, daß gefordert wird,
der Ausspruch der Schuld oder Unschuld
solle aus der Seele des Verbrechers gegeben sein,
- das Geschworenengericht.


§ 228
Das Recht des Selbstbewußtseins der Partei
ist im Richterspruch nach der Seite,
daß er die Subsumtion des qualifizierten Falles unter das Gesetz ist,
in Ansehung des Gesetzes dadurch bewahrt,
daß das Gesetz bekannt und damit das Gesetz der Partei selbst,
und in Ansehung der Subsumtion, daß der Rechtsgang öffentlich ist.

Aber in Ansehung der Entscheidung
über den besonderen, subjektiven und äußerlichen Inhalt der Sache,
dessen Erkenntnis in die ersten der § 225 angegebenen Seiten fällt,
findet jenes Recht in dem Zutrauen zu der Subjektivität der Entscheidenden
seine Befriedigung.

Dies Zutrauen gründet sich vornehmlich
auf die Gleichheit der Partei mit denselben
nach ihrer Besonderheit, dem Stande, und dergleichen.


Anm.
Das Recht des Selbstbewußtseins, das Moment der subjektiven Freiheit,
kann als der substantielle Gesichtspunkt
in der Frage über Notwendigkeit der öffentlichen Rechtspflege
und der sogenannten Geschworenengerichte angesehen werden.

Auf ihn reduziert sich das Wesentliche, was in der Form der Nützlichkeit
für diese Institutionen vorgebracht werden kann.

Nach anderen Rücksichten und Gründen
von diesen oder jenen Vorteilen oder Nachteilen
kann herüber und hinüber gestritten werden;
sie sind wie alle Gründe des Räsonnements sekundär und nicht entscheidend
oder aber aus anderen, vielleicht höheren Sphären genommen.

Daß die Rechtspflege an sich von rein juristischen Gerichten gut,
vielleicht besser als mit anderen Institutionen ausgeübt werden könne:
um diese Möglichkeit handelt es sich insofern nicht,
als, wenn sich auch diese Möglichkeit zur Wahrscheinlichkeit,
ja selbst zur ((380)) Notwendigkeit steigern ließe,
es von der andern Seite immer das Recht des Selbstbewußtseins ist,
welches dabei seine Ansprüche behält und sie nicht befriedigt findet.

- Wenn die Kenntnis des Rechtes
    durch die Beschaffenheit dessen, was die Gesetze in ihrem Umfange ausmacht,
    ferner des Ganges der gerichtlichen Verhandlungen
    und die Möglichkeit, das Recht zu verfolgen,
Eigentum eines
    auch durch Terminologie,
    die für die, um deren Recht es geht, eine fremde Sprache ist,
sich ausschließend machenden Standes ist,
so sind die Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft,
    die für die Subsistenz
    auf ihre Tätigkeit, ihr eigenes Wissen und Wollen angewiesen sind,
gegen das nicht nur Persönlichste und Eigenste,
sondern auch das Substantielle und Vernünftige darin, das Recht,
fremd gehalten und unter Vormundschaft,
selbst in eine Art von Leibeigenschaft gegen solchen Stand gesetzt.

Wenn sie wohl das Recht haben,
im Gerichte leiblich, mit den Füßen, zugegen zu sein (in iudicio stare),
so ist dies wenig, wenn sie nicht geistig,
mit ihrem eigenen Wissen gegenwärtig sein sollen,
und das Recht, das sie erlangen, bleibt ein äußerliches Schicksal für sie.


§ 229
In der Rechtspflege führt sich die bürgerliche Gesellschaft,
    in der sich die Idee in der Besonderheit verloren [hat]
    und in die Trennung des Inneren und äußeren auseinandergegangen ist,
zu deren Begriffe,
der Einheit des an sich seienden Allgemeinen mit der subjektiven Besonderheit
zurück,
jedoch diese im einzelnen Falle
und jenes in der Bedeutung des abstrakten Rechts.

Die Verwirklichung dieser Einheit
in der Ausdehnung auf den ganzen Umfang der Besonderheit,
zunächst als relativer Vereinigung,
macht die Bestimmung der Polizei und,
in beschränkter, aber konkreter Totalität, die Korporation aus.


Zusatz.
In der bürgerlichen Gesellschaft ist die Allgemeinheit nur Notwendigkeit:
im Verhältnis der Bedürfnisse ist nur das Recht ((381)) als solches das Feste.

Aber dies Recht, ein bloß beschränkter Kreis,
bezieht sich nur auf die Beschützung dessen, was ich habe;
dem Rechte als solchem ist das Wohl ein Äußerliches.

Dieses Wohl ist jedoch in dem System der Bedürfnisse
eine wesentliche Bestimmung.

Das Allgemeine also, das zunächst nur das Recht ist,
hat sich über das ganze Feld der Besonderheit auszudehnen.

Die Gerechtigkeit ist ein großes in der bürgerlichen Gesellschaft:
gute Gesetze werden den Staat blühen lassen,
und freies Eigentum ist eine Grundbedingung des Glanzes desselben;
aber indem ich ganz in die Besonderheit verflochten bin,
habe ich ein Recht zu fordern,
daß in diesem Zusammenhang auch mein besonderes Wohl gefördert werde.

Es soll auf mein Wohl, auf meine Besonderheit Rücksicht genommen werden,
und dies geschieht durch die Polizei und Korporation.




C. DIE POLIZEI UND KORPORATION [öffentliche Institutionen]


§ 230
Im System der Bedürfnisse
ist die Subsistenz und das Wohl jedes Einzelnen als eine Möglichkeit,
deren Wirklichkeit durch seine Willkür und natürliche Besonderheit
ebenso als durch das objektive System der Bedürfnisse bedingt ist;
durch die Rechtspflege
wird die Verletzung des Eigentums und der Persönlichkeit getilgt.

Das in der Besonderheit wirkliche Recht enthält aber
sowohl, daß die Zufälligkeiten
gegen den einen und den anderen Zweck aufgehoben seien
und die ungestörte Sicherheit der Person und des Eigentums bewirkt [sei],
als daß die Sicherung der Subsistenz und des Wohls der Einzelnen,
- daß das besondere Wohl als Recht behandelt und verwirklicht sei.




a. Die Polizei


§ 231
Die sichernde Macht des Allgemeinen bleibt zunächst,
insofern für den einen oder anderen Zweck
der besondere Wille noch das Prinzip ist,
teils auf den Kreis der Zufälligkeiten beschränkt,
teils eine äußere Ordnung. ((382))


§ 232
außer den Verbrechen, welche die allgemeine Macht zu verhindern
oder zur gerichtlichen Behandlung zu bringen hat
- der Zufälligkeit als Willkür des Bösen -
hat die erlaubte Willkür für sich rechtlicher Handlungen
und des Privatgebrauchs des Eigentums
auch äußerliche Beziehungen auf andere Einzelne
sowie auf sonstige öffentliche Veranstaltungen eines gemeinsamen Zwecks.

Durch diese allgemeine Seite werden Privathandlungen eine Zufälligkeit,
die aus meiner Gewalt tritt
und den anderen zum Schaden und Unrecht gereichen kann oder gereicht.


§ 233
Dies ist zwar nur eine Möglichkeit des Schadens,
aber daß die Sache nichts schadet,
ist als eine Zufälligkeit gleichfalls nicht mehr;
dies ist die Seite des Unrechts, die in solchen Handlungen liegt,
somit der letzte Grund der polizeilichen Strafgerechtigkeit.


§ 234
Die Beziehungen des äußerlichen Daseins fallen in die Verstandes-Unendlichkeit;
es ist daher keine Grenze an sich vorhanden,
was schädlich oder nicht schädlich,
auch in Rücksicht auf Verbrechen, was verdächtig oder unverdächtig sei,
was zu verbieten oder zu beaufsichtigen
oder mit Verboten, Beaufsichtigung und Verdacht,
Nachfrage und Rechenschaftgebung verschont zu lassen sei.

Es sind die Sitten, der Geist der übrigen Verfassung,
der jedesmalige Zustand, die Gefahr des Augenblicks usf.,
welche die näheren Bestimmungen geben.


Zusatz.
Es sind hier keine festen Bestimmungen zu geben
und keine absoluten Grenzen zu ziehen.

Alles ist hier persönlich;
das subjektive Meinen tritt ein, und der Geist der Verfassung,
die Gefahr der Zeit haben die näheren Umstände mitzuteilen.

In Kriegszeiten ist z. B. manches sonst Unschädliche als schädlich anzusehen.

Durch diese Seiten der Zufälligkeit und willkürlichen Persönlichkeit
erhält die Polizei etwas Gehässiges.

Sie kann bei sehr gebildeter Reflexion die Richtung nehmen,
alles Mögliche in ((383)) ihr Bereich zu ziehen,
denn in allem läßt sich eine Beziehung finden,
durch die etwas schädlich werden könnte.

Darin kann die Polizei sehr pedantisch zu Werke gehen
und das gewöhnliche Leben der Individuen genieren.

Aber welcher Übelstand dies auch ist,
eine objektive Grenzlinie kann hier nicht gezogen werden.
 

§ 235
In der unbestimmten Vervielfältigung und Verschränkung der täglichen Bedürfnisse
ergeben sich in Rücksicht auf die Herbeischaffung
und den Umtausch der Mittel ihrer Befriedigung,
auf deren ungehinderte Möglichkeit sich jeder verläßt,
sowie in Rücksicht der darüber sosehr als möglich
abzukürzenden Untersuchungen und Verhandlungen
Seiten, die ein gemeinsames Interesse sind
und zugleich für alle das Geschäft von einem,
- und Mittel und Veranstaltungen,
welche für gemeinschaftlichen Gebrauch sein können.

Diese allgemeinen Geschäfte und gemeinnützigen Veranstaltungen
fordern die Aufsicht und Vorsorge der öffentlichen Macht.


§ 236
Die verschiedenen Interessen der Produzenten und Konsumenten
können in Kollision miteinander kommen,
und wenn sich zwar das richtige Verhältnis im Ganzen von selbst herstellt,
so bedarf die Ausgleichung auch einer über beiden stehenden,
mit Bewußtsein vorgenommenen Regulierung.

Das Recht zu einer solchen für das Einzelne
(z. B. Taxation der Artikel der gemeinsten Lebensbedürfnisse)
liegt darin, daß [durch] das öffentliche Ausstellen von Waren,
die von ganz allgemeinem, alltäglichem Gebrauche sind,
[diese] nicht sowohl einem Individuum als solchem,
sondern ihm als Allgemeinem, dem Publikum angeboten werden,
dessen Recht, nicht betrogen zu werden,
und die Untersuchung der Waren als ein gemeinsames Geschäft
von einer öffentlichen Macht vertreten und besorgt werden kann.

- Vornehmlich aber macht die Abhängigkeit großer Industriezweige
von auswärtigen Umständen und entfernten Kombinationen,
welche die an jene Sphären angewiesenen und gebundenen ((384)) Individuen
in ihrem Zusammenhang nicht übersehen können
eine allgemeine Vorsorge und Leitung notwendig.


Anm. §236
Gegen die Freiheit des Gewerbes und Handels in der bürgerlichen Gesellschaft
ist das andere Extrem die Versorgung
sowie die Bestimmung der Arbeit aller durch öffentliche Veranstaltung,
- wie etwa auch die alte Arbeit der Pyramiden
und der anderen ungeheuren ägyptischen und asiatischen Werke,
welche für öffentliche Zwecke
ohne die Vermittlung der Arbeit des Einzelnen durch seine besondere Willkür
und sein besonderes Interesse hervorgebracht wurden.

Dieses Interesse ruft jene Freiheit gegen die höhere Regulierung an,
bedarf aber, je mehr es blind in den selbstsüchtigen Zweck vertieft [ist],
um so mehr einer solchen, um zum Allgemeinen zurückgeführt zu werden
und um die gefährlichen Zuckungen und die Dauer des Zwischenraumes,
in welchem sich die Kollisionen
auf dem Wege bewußtloser Notwendigkeit ausgleichen sollen,
abzukürzen und zu mildern.


Zusatz. §236
Die polizeiliche Aufsicht und Vorsorge hat den Zweck,
das Individuum mit der allgemeinen Möglichkeit zu vermitteln,
die zur Erreichung der individuellen Zwecke vorhanden ist.

Sie hat für Straßenbeleuchtung, Brückenbau, Taxation der täglichen Bedürfnisse
sowie für die Gesundheit Sorge zu tragen.

Hier sind nun zwei Hauptansichten herrschend.

Die eine behauptet, daß der Polizei die Aufsicht über alles gebühre,
die andere, daß die Polizei hier nichts zu bestimmen habe,
indem jeder sich nach dem Bedürfnis des anderen richten werde.

Der Einzelne muss freilich ein Recht haben,
sich auf diese oder jene Weise sein Brot zu verdienen,
aber auf der anderen Seite hat auch das Publikum ein Recht
zu verlangen, daß das Nötige auf gehörige Weise geleistet werde.

Beide Seiten sind zu befriedigen, und die Gewerbefreiheit
darf nicht von der Art sein, daß das allgemeine Beste in Gefahr kommt.


§ 237
Wenn nun die Möglichkeit der Teilnahme an dem allgemeinen Vermögen
für die Individuen vorhanden und durch die öffentliche Macht gesichert ist,
so bleibt sie, ohnehin daß diese Sicherung unvollständig bleiben muss,
noch von der ((385)) subjektiven Seite den Zufälligkeiten unterworfen,
und um so mehr, je mehr sie Bedingungen
der Geschicklichkeit, Gesundheit, Kapital usw. voraussetzt.


§ 238
Zunächst ist die Familie das substantielle Ganze,
dem die Vorsorge für diese besondere Seite des Individuums
sowohl in Rücksicht der Mittel und Geschicklichkeiten,
um aus dem allgemeinen Vermögen sich [etwas] erwerben zu können,
als auch seiner Subsistenz und Versorgung
im Falle eintretender Unfähigkeit angehört.

Die bürgerliche Gesellschaft
reißt aber das Individuum aus diesem Bande heraus,
entfremdet dessen Glieder einander und anerkennt sie als selbständige Personen;
sie substituiert ferner statt der äußeren unorganischen Natur
und des väterlichen Bodens, in welchem der Einzelne seine Subsistenz hatte,
den ihrigen und unterwirft das Bestehen der ganzen Familie selbst,
der Abhängigkeit von ihr, der Zufälligkeit.

So ist das Individuum Sohn der bürgerlichen Gesellschaft geworden,
die ebensosehr Ansprüchen an ihn, als er Rechte auf sie hat.


Zusatz.
Die Familie hat allerdings für das Brot der Einzelnen zu sorgen,
aber sie ist in der bürgerlichen Gesellschaft ein Untergeordnetes
und legt nur den Grund;
sie ist nicht mehr von so umfassender Wirksamkeit.

Die bürgerliche Gesellschaft ist vielmehr die ungeheure Macht,
die den Menschen an sich reißt,
von ihm fordert, daß er für sie arbeite und daß er alles durch sie sei
und vermittels ihrer tue.

Soll der Mensch so ein Glied der bürgerlichen Gesellschaft sein,
so hat er ebenso Rechte und Ansprüche an sie, wie er sie in der Familie hatte.

Die bürgerliche Gesellschaft muss ihr Mitglied schützen,
seine Rechte verteidigen, so wie der Einzelne
den Rechten der bürgerlichen Gesellschaft verpflichtet ist.


§ 239
Sie hat in diesem Charakter der allgemeinen Familie
die Pflicht und das Recht gegen die Willkür und Zufälligkeit der Eltern,
auf die Erziehung, insofern sie sich auf die Fähigkeit,
Mitglied der Gesellschaft zu werden, bezieht,
vornehmlich ((386)) wenn sie nicht von den Eltern selbst,
sondern von anderen zu vollenden ist, Aufsicht und Einwirkung zu haben,
- ingleichen, insofern gemeinsame Veranstaltungen
dafür gemacht werden können, diese zu treffen.


Zusatz.
Die Grenze zwischen den Rechten der Eltern und der bürgerlichen Gesellschaft
ist hier sehr schwer zu ziehen.

Die Eltern meinen gewöhnlich in betreff auf Erziehung
volle Freiheit zu haben und alles machen zu können, was sie nur mögen.

Bei aller Öffentlichkeit der Erziehung
kommt die Hauptopposition gewöhnlich von den Eltern her,
und sie sind es, die über Lehrer und Anstalten schreien und reden,
weil sich ihr Belieben gegen dieselben setzt.

Trotzdem hat die Gesellschaft ein Recht,
nach ihren geprüften Ansichten hierbei zu verfahren,
die Eltern zu zwingen, ihre Kinder in die Schule zu schicken,
ihnen die Pocken impfen zu lassen usw.

Die Streitigkeiten, die in Frankreich zwischen
der Forderung des freien Unterrichts, das heißt des Beliebens der Eltern,
und der Aufsicht des Staates bestehen, gehören hierher.


§ 240
Gleicherweise hat sie die Pflicht und das Recht über die,
welche durch Verschwendung die Sicherheit ihrer
und ihrer Familie Subsistenz vernichten,
[sie] in Vormundschaft zu nehmen und an ihrer Stelle den Zweck der Gesellschaft
und den ihrigen auszuführen.


Zusatz.
In Athen war es Gesetz, daß jeder Bürger darüber Rechenschaft geben musste,
wovon er lebe;
jetzt hat man die Ansicht, daß dies niemanden etwas angehe.

Allerdings ist jedes Individuum einerseits für sich,
andererseits aber ist es auch Mitglied im System der bürgerlichen Gesellschaft,
und insofern jeder Mensch von ihr das Recht hat, die Subsistenz zu verlangen,
muss sie ihn auch gegen sich selbst schützen.

Es ist nicht allein das Verhungern, um was es zu tun ist,
sondern der weitere Gesichtspunkt ist, daß kein Pöbel entstehen soll.

Weil die bürgerliche Gesellschaft schuldig ist, die Individuen zu ernähren,
hat sie auch das Recht, dieselben anzuhalten, für ihre Subsistenz zu sorgen.


§ 241
Aber ebenso als die Willkür können zufällige, physische
und in den äußeren Verhältnissen (§200) liegende Umstände ((387))
Individuen zur Armut herunterbringen, einem Zustande,
der ihnen die Bedürfnisse der bürgerlichen Gesellschaft läßt
und der - indem sie ihnen zugleich
die natürlichen Erwerbsmittel (§217) entzogen [hat]
und das weitere Band der Familie als eines Stammes aufhebt (§181)
- dagegen sie aller Vorteile der Gesellschaft,
Erwerbsfähigkeit von Geschicklichkeiten und Bildung überhaupt,
auch der Rechtspflege, Gesundheitssorge,
selbst oft des Trostes der Religion usf. mehr oder weniger verlustig macht.

Die allgemeine Macht übernimmt die Stelle der Familie bei den Armen,
ebensosehr in Rücksicht ihres unmittelbaren Mangels
als der Gesinnung der Arbeitsscheu, Bösartigkeit
und der weiteren Laster, die aus solcher Lage
und dem Gefühl ihres Unrechts entspringen.


§ 242
Das Subjektive der Armut und überhaupt der Not aller Art,
der schon in seinem Naturkreise jedes Individuum ausgesetzt ist,
erfordert auch eine subjektive Hilfe
ebenso in Rücksicht der besonderen Umstände als des Gemüts und der Liebe.

Hier ist der Ort, wo bei aller allgemeinen Veranstaltung
die Moralität genug zu tun findet.

Weil aber diese Hilfe für sich und in ihren Wirkungen
von der Zufälligkeit abhängt, so geht das Streben der Gesellschaft dahin,
in der Notdurft und ihrer Abhilfe das Allgemeine
herauszufinden und zu veranstalten
und jene Hilfe entbehrlicher zu machen.


Anm.
Das Zufällige des Almosens, der Stiftungen,
wie des Lampenbrennens bei Heiligenbildern usf.,
wird ergänzt durch öffentliche Armenanstalten, Krankenhäuser, Straßenbeleuchtung usw.

Der Mildtätigkeit bleibt noch genug für sich zu tun übrig,
und es ist eine falsche Ansicht, wenn sie der Besonderheit des Gemüts
und der Zufälligkeit ihrer Gesinnung und Kenntnis
diese Abhilfe der Not allein vorbehalten wissen will
und sich durch die verpflichtenden allgemeinen Anordnungen und Gebote
verletzt und gekränkt fühlt.

Der öffentliche Zustand ist im Gegenteil für um so vollkommener zu achten,
je weniger dem Individuum ((388)) für sich
nach seiner besonderen Meinung, in Vergleich mit dem,
was auf allgemeine Weise veranstaltet ist, zu tun übrigbleibt.


§ 243
Wenn die bürgerliche Gesellschaft sich in ungehinderter Wirksamkeit befindet,
so ist sie innerhalb ihrer selbst
in fortschreitender Bevölkerung und Industrie begriffen.

- Durch die Verallgemeinerung des Zusammenhangs der Menschen
durch ihre Bedürfnisse und der Weisen,
die Mittel für diese zu bereiten und herbeizubringen,
vermehrt sich die Anhäufung der Reichtümer
- denn aus dieser gedoppelten Allgemeinheit
wird der größte Gewinn gezogen - auf der einen Seite,
wie auf der andern Seite die Vereinzelung
und Beschränktheit der besonderen Arbeit
und damit die Abhängigkeit und Not der an diese Arbeit gebundenen Klasse,
womit die Unfähigkeit der Empfindung und des Genusses der weiteren Freiheiten
und besonders der geistigen Vorteile der bürgerlichen Gesellschaft zusammenhängt.


§ 244
Das Herabsinken einer großen Masse unter das Maß einer gewissen Subsistenzweise,
die sich von selbst als die für ein Mitglied der Gesellschaft notwendige reguliert
- und damit zum Verluste des Gefühls des Rechts, der Rechtlichkeit
und der Ehre, durch eigene Tätigkeit und Arbeit zu bestehen -,
bringt die Erzeugung des Pöbels hervor,
die hinwiederum zugleich die größere Leichtigkeit,
unverhältnismäßige Reichtümer in wenige Hände zu konzentrieren,
mit sich führt.


Zusatz.
Die niedrigste Weise der Subsistenz, die des Pöbels, macht sich von selbst:
dies Minimum ist jedoch bei verschiedenen Völkern sehr verschieden.

In England glaubt auch der Ärmste sein Recht zu haben;
dies ist etwas anderes, als womit in anderen Ländern
die Armen zufrieden sind.

Die Armut an sich macht keinen zum Pöbel:
dieser wird erst bestimmt durch die mit der Armut sich verknüpfende Gesinnung,
durch die innere Empörung gegen die Reichen,
gegen die Gesellschaft, die Regierung usw.

Ferner ist damit verbunden, daß der Mensch,
der auf die Zufälligkeit angewiesen ((389)) ist,
leichtsinnig und arbeitsscheu wird, wie z. B. die Lazzaronis in Neapel.

Somit entsteht im Pöbel das Böse, daß er die Ehre nicht hat,
seine Subsistenz durch seine Arbeit zu finden,
und doch seine Subsistenz zu finden als sein Recht anspricht.

Gegen die Natur kann kein Mensch ein Recht behaupten,
aber im Zustande der Gesellschaft
gewinnt der Mangel sogleich die Form eines Unrechts,
was dieser oder jener Klasse angetan wird.

Die wichtige Frage, wie der Armut abzuhelfen sei,
ist eine vorzüglich die modernen Gesellschaften bewegende und quälende.


§ 245
Wird der reicheren Klasse die direkte Last aufgelegt,
oder es wären in anderem öffentlichen Eigentum
(reichen Hospitälern, Stiftungen, Klöstern)
die direkten Mittel vorhanden, die der Armut zugehende Masse
auf dem Stande ihrer ordentlichen Lebensweise zu erhalten,
so würde die Subsistenz der Bedürftigen gesichert,
ohne durch die Arbeit vermittelt zu sein,
was gegen das Prinzip der bürgerlichen Gesellschaft
und des Gefühls ihrer Individuen von ihrer Selbständigkeit und Ehre wäre;
oder sie würde durch Arbeit (durch Gelegenheit dazu) vermittelt,
so würde die Menge der Produktionen vermehrt,
in deren Überfluß und dem Mangel der verhältnismäßigen
selbst produktiven Konsumenten gerade das Übel besteht,
das auf beide Weisen sich nur vergrößert.

Es kommt hierin zum Vorschein, daß bei dem Übermaße des Reichtums
die bürgerliche Gesellschaft nicht reich genug ist,
d. h. an dem ihr eigentümlichen Vermögen nicht genug besitzt,
dem Übermaße der Armut und der Erzeugung des Pöbels zu steuern.


Anm.
Diese Erscheinungen lassen sich im großen an Englands Beispiel studieren,
sowie näher die Erfolge, welche die Armentaxe, unermeßliche Stiftungen
und ebenso unbegrenzte Privatwohltätigkeit,
vor allem auch dabei das Aufheben der Korporationen gehabt haben.

Als das direkteste Mittel hat sich daselbst (vornehmlich in Schottland)
gegen Armut sowohl als insbesondere
gegen die Abwerfung der Scham und Ehre,
der subjektiven Basen der Gesellschaft,
und gegen die Faulheit und Verschwendung ((390)) usf.,
woraus der Pöbel hervorgeht, dies erprobt,
die Armen ihrem Schicksal zu überlassen
und sie auf den öffentlichen Bettel anzuweisen.


§ 246
Durch diese ihre Dialektik wird die bürgerliche Gesellschaft über sich hinausgetrieben,
zunächst diese bestimmte Gesellschaft, um außer ihr in anderen Völkern,
die ihr an den Mitteln, woran sie Überfluß hat,
oder überhaupt an Kunstfleiß usf. nachstehen,
Konsumenten und damit die nötigen Subsistenzmittel zu suchen.


§ 247
Wie für das Prinzip des Familienlebens
die Erde, fester Grund und Boden, Bedingung ist,
so ist für die Industrie
das nach außen sie belebende natürliche Element das Meer.

In der Sucht des Erwerbs, dadurch, daß sie ihn der Gefahr aussetzt,
erhebt sie sich zugleich über ihn
und versetzt das Festwerden an der Erdscholle
    und den begrenzten Kreisen des bürgerlichen Lebens,
    seine Genüsse und Begierden,
mit dem Elemente der Flüssigkeit, der Gefahr und des Unterganges.

So bringt sie ferner durch dies größte Medium der Verbindung
entfernte Länder in die Beziehung des Verkehrs,
eines den Vertrag einführenden rechtlichen Verhältnisses,
in welchem Verkehr sich zugleich das größte Bildungsmittel
und der Handel seine welthistorische Bedeutung findet.


Anm. 247
Daß die Flüsse keine natürlichen Grenzen sind,
für welche sie in neueren Zeiten haben sollen geltend gemacht werden,
sondern sie und ebenso die Meere vielmehr die Menschen verbinden,
daß es ein unrichtiger Gedanke ist, wenn Horaz sagt (Carmina 1, 3 ):
XXX >>.. ein weiser Gott hat die Länder vom ungastlichen Meer getrennt..<<,
((391)) zeigen nicht nur die Bassins der Flüsse,
die von einem Stamme oder Volke bewohnt werden,
sondern auch z. B. die sonstigen Verhältnisse Griechenlands,
Ioniens und Großgriechenlands, [der] Bretagne und Britanniens,
Dänemarks und Norwegens, Schwedens, Finnlands, Livlands usf.
- vornehmlich auch im Gegensatze
des geringeren Zusammenhangs der Bewohner des Küstenlandes
mit denen des inneren Landes.

- Welches Bildungsmittel aber in dem Zusammenhange mit dem Meere liegt,
dafür vergleiche man das Verhältnis der Nationen,
in welchen der Kunstfleiß aufgeblüht ist, zum Meere
mit denen, die sich die Schiffahrt untersagt [haben]
und, wie die Ägypter, die Inder, in sich verdumpft
und in den fürchterlichsten und schmählichsten Aberglauben versunken sind,
- und wie alle großen, in sich strebenden Nationen sich zum Meere drängen.


§ 248
Dieser erweiterte Zusammenhang bietet auch das Mittel der Kolonisation,
zu welcher - einer sporadischen oder systematischen -
die ausgebildete bürgerliche Gesellschaft getrieben wird
und wodurch sie teils einem Teil ihrer Bevölkerung
in einem neuen Boden die Rückkehr zum Familienprinzip,
teils sich selbst damit einen neuen Bedarf und Feld ihres Arbeitsfleißes verschafft.


Zusatz.
Die bürgerliche Gesellschaft wird dazu getrieben, Kolonien anzulegen.

Die Zunahme der Bevölkerung hat schon für sich diese Wirkung;
besonders aber entsteht eine Menge, die die Befriedigung ihrer Bedürfnisse
nicht durch ihre Arbeit gewinnen kann,
wenn die Produktion das Bedürfnis der Konsumtion übersteigt.

Sporadische Kolonisation findet besonders in Deutschland statt.

Die Kolonisten ziehen nach Amerika, Rußland,
bleiben ohne Zusammenhang mit ihrem Vaterlande
und gewähren so diesem keinen Nutzen.

Die zweite und ganz von der ersten verschiedene Kolonisation
ist die systematische.

Sie wird von dem Staate veranlaßt,
mit dem Bewußtsein und der Regulierung der gehörigen Weise der Ausführung.

Diese Art der Kolonisation ist vielfältig bei den Alten
und namentlich bei den Griechen vorgekommen,
bei denen harte Arbeit nicht die Sache des Bürgers war,
dessen Tätigkeit vielmehr ((392)) den öffentlichen Dingen sich zuwendete.

Wenn nun die Bevölkerung so anwuchs,
daß Not entstehen konnte, für sie zu sorgen,
dann wurde die Jugend in eine neue Gegend geschickt,
die teils besonders gewählt, teils dem Zufall des Findens überlassen war.

In den neueren Zeiten hat man den Kolonien
nicht solche Rechte wie den Bewohnern des Mutterlandes zugestanden,
und es sind Kriege und endlich Emanzipationen
aus diesem Zustande hervorgegangen,
wie die Geschichte der englischen und spanischen Kolonien zeigt.

Die Befreiung der Kolonien
erweist sich selbst als der größte Vorteil für den Mutterstaat,
so wie die Freilassung der Sklaven als der größte Vorteil für den Herrn.


§ 249
Die polizeiliche Vorsorge verwirklicht und erhält zunächst das Allgemeine,
welches in der Besonderheit der bürgerlichen Gesellschaft enthalten ist,
als eine äußere Ordnung und Veranstaltung
zum Schutz und Sicherheit der Massen von besonderen Zwecken und Interessen,
als welche in diesem Allgemeinen ihr Bestehen haben,
so wie sie als höhere Leitung Vorsorge für die Interessen (§ 246),
die über diese Gesellschaft hinausführen, trägt.

Indem nach der Idee die Besonderheit selbst dieses Allgemeine,
das in ihren immanenten Interessen ist,
zum Zweck und Gegenstand ihres Willens und ihrer Tätigkeit macht,
so kehrt das Sittliche als ein Immanentes in die bürgerliche Gesellschaft zurück;
dies macht die Bestimmung der Korporation aus.




b. Die Korporation


§ 250
Der ackerbauende Stand
hat an der Substantialität seines Familien- und Naturlebens
in ihm selbst unmittelbar sein konkretes Allgemeines, in welchem er lebt;
der allgemeine Stand hat in seiner Bestimmung
das Allgemeine für sich zum Zwecke seiner Tätigkeit und zu seinem Boden.

Die Mitte zwischen beiden, der Stand des Gewerbes,
ist auf das Besondere wesentlich gerichtet,
und ihm ist daher vornehmlich die Korporation eigentümlich. ((393))
 

§ 251
Das Arbeitswesen der bürgerlichen Gesellschaft
zerfällt nach der Natur seiner Besonderheit in verschiedene Zweige.

Indem solches an sich Gleiche der Besonderheit als Gemeinsames
in der Genossenschaft zur Existenz kommt,
faßt und betätigt der auf sein Besonderes gerichtete, selbstsüchtige Zweck
zugleich sich als allgemeinen,
und das Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft ist,
nach seiner besonderen Geschicklichkeit, Mitglied der Korporation,
deren allgemeiner Zweck damit ganz konkret ist
und keinen weiteren Umfang hat, als der im Gewerbe,
dem eigentümlichen Geschäfte und Interesse, liegt.


§ 252
Die Korporation hat nach dieser Bestimmung
unter der Aufsicht der öffentlichen Macht das Recht,
ihre eigenen innerhalb ihrer eingeschlossenen Interessen zu besorgen,
Mitglieder nach der objektiven Eigenschaft
ihrer Geschicklichkeit und Rechtschaffenheit
in einer durch den allgemeinen Zusammenhang
sich bestimmenden Anzahl anzunehmen
und für die ihr Angehörigen die Sorge gegen die besonderen Zufälligkeiten
sowie für die Bildung zur Fähigkeit, ihr zugeteilt zu werden, zu tragen
- überhaupt für sie als zweite Familie einzutreten,
welche Stellung für die allgemeine, von den Individuen
und ihrer besonderen Notdurft entferntere bürgerliche Gesellschaft
unbestimmter bleibt.


Anm.
Der Gewerbsmann ist verschieden vom Tagelöhner
wie von dem, der zu einem einzelnen zufälligen Dienst bereit ist.

Jener, der Meister [ist] oder der es werden will,
ist Mitglied der Genossenschaft nicht für einzelnen zufälligen Erwerb,
sondern für den ganzen Umfang, das Allgemeine seiner besonderen Subsistenz.

- Privilegien als Rechte eines in eine Korporation gefaßten Zweigs
der bürgerlichen Gesellschaft
und eigentliche Privilegien nach ihrer Etymologie
unterscheiden sich dadurch voneinander,
daß die letzteren Ausnahmen vom allgemeinen Gesetze
nach Zufälligkeit sind,
jene aber nur gesetzlich gemachte ((394)) Bestimmungen,
die in der Natur der Besonderheit
eines wesentlichen Zweigs der Gesellschaft selbst liegen.


§ 253
In der Korporation hat die Familie
nicht nur ihren festen Boden als die durch Befähigung
bedingte Sicherung  der Subsistenz, ein festes Vermögen (§170),
sondern beides ist auch anerkannt,
so daß das Mitglied einer Korporation seine Tüchtigkeit
und sein ordentliches Aus- und Fortkommen, daß es etwas ist,
durch keine weiteren äußeren Bezeigungen darzulegen nötig hat.

So ist auch anerkannt, daß es einem Ganzen,
das selbst ein Glied der allgemeinen Gesellschaft ist, angehört
und für den uneigennützigeren Zweck dieses Ganzen
Interesse und Bemühungen hat;
- es hat so in seinem Stande seine Ehre.


Anm.253
Die Institution der Korporation
entspricht durch ihre Sicherung des Vermögens
insofern der Einführung des Ackerbaues und des Privateigentums
in einer anderen Sphäre (§ 203 Anm.).

- Wenn über Luxus und Verschwendungssucht der gewerbetreibenden Klassen,
womit die Erzeugung des Pöbels (§244) zusammenhängt,
Klagen zu erheben sind,
so ist bei den anderen Ursachen
(z. B. das immer mehr mechanisch Werdende der Arbeit)
der sittliche Grund, wie er im Obigen liegt, nicht zu übersehen.

Ohne Mitglied einer berechtigten Korporation zu sein
(und nur als berechtigt ist ein Gemeinsames eine Korporation),
ist der Einzelne ohne Standesehre,
durch seine Isolierung auf die selbstsüchtige Seite des Gewerbes reduziert,
seine Subsistenz und Genuß nichts Stehendes.

Er wird somit seine Anerkennung
durch die äußerlichen Darlegungen seines Erfolgs
in seinem Gewerbe zu erreichen suchen,
Darlegungen, welche unbegrenzt sind,
weil seinem Stande gemäß zu leben nicht stattfindet,
da der Stand nicht existiert
- denn nur das Gemeinsame existiert in der bürgerlichen Gesellschaft,
was gesetzlich konstituiert und anerkannt ist -,
sich also auch keine ihm angemessene ((395)) allgemeinere Lebensweise macht.

- In der Korporation verliert die Hilfe, welche die Armut empfängt,
ihr Zufälliges sowie ihr mit Unrecht Demütigendes
und der Reichtum in seiner Pflicht gegen seine Genossenschaft
den Hochmut und den Neid,
den er, und zwar jenen in seinem Besitzer,
diesen in den anderen erregen kann;
- die Rechtschaffenheit erhält ihre wahrhafte Anerkennung und Ehre.

 
§ 254
In der Korporation liegt nur insofern
eine Beschränkung des sogenannten natürlichen Rechts,
seine Geschicklichkeit auszuüben
und damit zu erwerben, was zu erwerben ist,
als sie darin zur Vernünftigkeit bestimmt,
nämlich von der eigenen Meinung und Zufälligkeit,
der eigenen Gefahr wie der Gefahr für andere, befreit, anerkannt, gesichert
und zugleich zur bewußten Tätigkeit
für einen gemeinsamen Zweck erhoben wird.


§ 255
Zur Familie macht die Korporation die zweite,
die in der bürgerlichen Gesellschaft gegründete
sittliche Wurzel des Staats aus.

Die erstere enthält die Momente der subjektiven Besonderheit
und der objektiven Allgemeinheit in substantieller Einheit;
die zweite aber diese Momente, die zunächst in der bürgerlichen Gesellschaft
zur in sich reflektierten Besonderheit des Bedürfnisses und Genusses
und zur abstrakten rechtlichen Allgemeinheit entzweit sind,
auf innerliche Weise vereinigt,
so daß in dieser Vereinigung das besondere Wohl
als Recht und verwirklicht ist.


Anm.
Heiligkeit der Ehe und die Ehre in der Korporation sind die zwei Momente,
um welche sich die Desorganisation der bürgerlichen Gesellschaft dreht.


Zusatz.
Wenn man in neueren Zeiten die Korporationen aufgehoben hat,
so hat dies den Sinn, daß der Einzelne für sich sorgen solle.

Kann man dieses aber auch zugeben, so wird durch die Korporation
die Verpflichtung des Einzelnen, seinen Erwerb zu schaffen, nicht verändert.

In unseren modernen Staaten haben die ((396)) Bürger
nur beschränkten Anteil an den allgemeinen Geschäften des Staates;
es ist aber notwendig, dem sittlichen Menschen außer seinem Privatzwecke
eine allgemeine Tätigkeit zu gewähren.

Dieses Allgemeine, das ihm der moderne Staat nicht immer reicht,
findet er in der Korporation.

Wir sahen früher, daß das Individuum,
für sich in der bürgerlichen Gesellschaft sorgend, auch für andere handelt.

Aber diese bewußtlose Notwendigkeit ist nicht genug:
zu einer gewußten und denkenden Sittlichkeit wird sie erst in der Korporation.

Freilich muss über dieser die höhere Aufsicht des Staates sein,
weil sie sonst verknöchern, sich in sich verhausen
und zu einem elenden Zunftwesen herabsinken würde.

Aber an und für sich ist die Korporation keine geschlossene Zunft:
sie ist vielmehr die Versittlichung des einzelnstehenden Gewerbes
und sein Hinaufnehmen in einen Kreis, in dem es Stärke und Ehre gewinnt.


§ 256
Der Zweck der Korporation als beschränkter und endlicher
hat seine Wahrheit - sowie die in der polizeilichen äußerlichen Anordnung
vorhandene Trennung und deren relative Identität -
in dem an und für sich allgemeinen Zwecke
und dessen absoluter Wirklichkeit;
die Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft geht daher in den Staat über.


Anm.
Stadt und Land - jene der Sitz des bürgerlichen Gewerbes,
der in sich aufgehenden und [sich] vereinzelnden Reflexion,
dieses der Sitz der auf der Natur ruhenden Sittlichkeit -,
die im Verhältnis zu anderen rechtlichen Personen
ihre Selbsterhaltung vermittelnden Individuen und die Familie,
machen die beiden noch ideellen Momente überhaupt aus,
aus denen der Staat als ihr wahrhafter Grund hervorgeht.

- Diese Entwicklung der unmittelbaren Sittlichkeit
durch die Entzweiung der bürgerlichen Gesellschaft hindurch zum Staate,
der als ihren wahrhaften Grund sich zeigt, und nur eine solche Entwicklung,
ist der wissenschaftliche Beweis des Begriffs des Staats.

- Weil im Gange des wissenschaftlichen Begriffs
der Staat als Resultat erscheint, indem er sich als wahrhafter Grund ergibt,
so hebt jene Vermittlung und jener Schein
sich ebensosehr zur Unmittelbarkeit auf.

In der ((397)) Wirklichkeit ist darum der Staat überhaupt vielmehr das Erste,
innerhalb dessen sich erst die Familie zur bürgerlichen Gesellschaft ausbildet,
und es ist die Idee des Staates selbst,
welche sich in diese beiden Momente dirimiert;
in der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft
gewinnt die sittliche Substanz ihre unendliche Form,
welche die beiden Momente in sich enthält:
1. der unendlichen Unterscheidung
bis zum fürsichseienden Insichsein des Selbstbewußtseins, und
2. der Form der Allgemeinheit, welche in der Bildung ist,
der Form des Gedankens, wodurch der Geist
sich in Gesetzen und Institutionen, seinem gedachten Willen,
als organische Totalität objektiv und wirklich ist.