Was versteht Hegel unter Idealismus ?

Versuch einer Erläuterung der Anmerkung: “Der Idealismus” (aus der Wissenschaft der Logik Bd. 5, S. 172/3, ed. Moldenhauer/Michel) Textstellen der Anmerkung sind frei zitiert und durch einfache Anführungszeichen gekennzeichnet [von M.Grimsmann u. L.Hansen. Mai 2000]

Jede Philosophie und die Religion ist wesentlichIdealismus

und der Idealismus der Philosophie besteht darin, das Endliche nicht als ein wahrhaft Seiendes anzuerkennen.

Eine Philosophie, welche dem endlichen Dasein als solchem wahrhaftes, letztes, absolutes Sein zuschriebe, (wie z. B. die Physik) verdiente den Namen Philosophie nicht.

Der Gegensatz von idealistischer und realistischer Philosophie ist daher ohne Bedeutung,< eben weil Realismus oder realistische Philosophie keinePhilosophie ist.

Der Satz (also), daß das Endliche ideell (d. h. aufgehoben, nicht wahrhaft seiend) ist, macht den Idealismus aus und die Frage (im Hinblick auf die Verschiedenheit der Philosophien) ist nur, inwiefern dieser Satz wirklich durchgeführt(das Endliche wirklich aufgehoben) ist. <

Bezüglich der wirklichen Durchführung dieses Satzes ergeben sich folgende Standpunkte:

  1. Der unphilosophische Standpunkt, der Realismus oder Materialismus, der Standpunkt des gewöhnlichen Bewußtseins, der die endliche, wahrgenommene, unmittelbar vorgefundene Welt für das Bestimmende und Wahre hält und der das Wahrnehmende, das Denkende, das Ich nicht in Betracht zieht.

  2. Die Metaphysik oder objektiver Idealismus, der das unmittelbar Wahrgenommene, die äußerliche Welt, als nicht wahrhaft seiend, das Innere der Dinge dagegen, den Gedanken oder das Wesen, als das Wahre setzt, so daß man durch Nachdenken zur Wahrheit gelange.

  3. Die kritische Philosophie oder subjektiver Idealismus , der die Endlichkeit und Widersprüchlichkeit der Gedanken der Metaphysik aufzeigt, diese unaufgelöst und damit einseitig im Ich oder Subjekt aufhebt und diesem das Wahre als unerreichbares Jenseits, als Ding-an-sich gegenüberstellt.

  4. Der absolute Idealismus , der das Ding-an-sich ebenso als Gedanke, und zwar als reine Abstraktion, als Sein erkennt und diese endlichen Kategorien auflöst und wahrhaft aufhebt, indem er in ihrem Gegensatz ihr Ineinanderübergehen, somit ihre Vermittlung und Einheit aufzeigt.

 >Prinzipien älterer oder neuerer (aller) Philosophien (Standpunkte 2-4), das Wasser oder die Materie oder die Atome,sind  Gedanken, Allgemeine, Ideelle,

nicht Dinge, wie sie sich unmittelbar vorfinden, d. i. in sinnlicher Einzelheit,  selbst jenes Thaletische Wasser nicht; (auch diese Philosophien sind kein Realismus) denn obgleich auch das empirische Wasser, ist es außerdem zugleich das Ansich oder Wesen aller anderen Dinge (Flüssigsein), und diese sind nicht selbständige, in sich gegründete, sondern aus einem Anderen, dem Wasser, gesetzte, d. i. ideelle.<

Die Atome sind das Prinzip der atomistischen Philosophie und dieses ist >der Gedanke des Fürsichseins in der Gestalt des Vielen<; das, was aus Atomen bestehend gedacht ist, ist die Materie (Bd. 8, S. 207).

 >Indem vorhin das Prinzip das Allgemeine, das Ideelle genannt worden, wie noch mehr der Begriff, die Idee, der Geist Ideelles zunennen ist und dann wiederum die einzelnen sinnlichen Dinge

als ideell im Prinzip, im Begriffe, noch mehr im Geiste als aufgehoben sind, so ist dabei auf dieselbe Doppelseite vorläufig aufmerksam zu machen, die bei dem Unendlichen sich gezeigt hat, nämlich daß das eine Mal das Ideelle das Konkrete,

Wahrhaftseiende ist, das andere Mal aber ebensosehr seine Momente

das Ideelle, in ihm Aufgehobene sind, in der Tat aber nur das eine konkrete Ganze ist, von dem die Momente untrennbar sind.<

Einmal wird der Gedanke, das andere Mal das Sinnliche ideell genannt; die Doppelseite des Ideellen besteht darin, daß es sowohl das Idealisierende als auch das Idealisierte ist.

Und wie weder das Ganze von den Teilen getrennt ist, denn es besteht nur in seinen Teilen, noch die Teile vom Ganzen, denn sie sind nur Teile des Ganzen, so ist das Idealisierende getrennt vom Idealisierten.

Es ist nur ein konkretes Ganzes, das sich in zwei ideellen Momenten setzt.

Der zweite Teil der Anmerkung betrachtet den Standpunkt des subjektiven Idealismus näher.>Bei dem Ideellen wird vornehmlich die Form der Vorstellung

gemeint.. so daß Ideelles überhaupt..nicht reell sein soll.<

D.h. dieser Standpunkt setzt voraus, daß dem, was in meiner Vorstellung, meinem Denken ist, keine wahrhafte Realität zukommt; der Inhalt ist nur ein Abbild der wahren Welt für mich.

Es wird nur >..das, was in meiner Vorstellung..ist, ideell genannt..<, d. h. dem Ideellen kommt hier nur die eine Seite der aufgehobenen sinnlichen Bestimmungen, des Idealisierten, zu, nicht die des Idealisierenden.

Zwar ist das, was im Vorstellen, Denken usf., also im Geist ist, wohl ideell zu nennen:

In der Tat ist der Geist der eigentliche Idealist überhaupt; in ihm, schon wie er empfindend, vorstellend, noch mehr insofern er denkend und begreifend ist, ist der Inhalt nicht als sogenanntes reales Dasein; in der Einfachheit des Ich ist solches äußerliches Sein nur aufgehoben, es ist für mich, es ist ideell in mir.<

Der Geist ist das Aufhebende der Natur und die Bestimmungen derselben sind Aufgehobene in ihm.

Aber >dieser subjektive Idealismus..geht nur auf die Form der Vorstellung, nach der ein Inhalt der meinige ist; diese Form wird..als die einzig wahrhafte, die ausschließendegegen die Form der Objektivität..jenes Inhalts behauptet.<

Das Unbefriedigende dieses Idealismus besteht darin, daß er nur die Form der Subjektivität, daß aller Inhalt, sei es ein sinnlicher oder Gedanke, der meinige ist, für das Wahre erklärt, diesen Inhalt jener Form aber für das Unwahre; damit nimmt er dem Ich die Bestimmtheit der Fülle seines Daseins und beläßt es in dieser Unbestimmtheit.

Daß die Gedankenbestimmungen dennoch die Form der Objektivität erhalten, spielt keine Rolle, da sie in der Subjektivität eingeschlossen bleiben.

Solcher Idealismus ist formell (und darin besteht sein Mangel), indem er den Inhalt des Vorstellens oder Denkens nicht beachtet, (und er beachtet ihn nicht, weil er keine Wahrheit haben soll) welcher im Vorstellen oder Denken dabei ganz in seiner Endlichkeit bleiben kann .<

Es ist aber in der Philosophie gerade um den Erweis der Unwahrheit zu tun, oder darum, das Endliche als Ideelles, Nichtbestehendes, zu setzen.

Deswegen >ist mit solchem Idealismus nichts verloren..(das Endliche nicht) und es ist nichts mit ihm gewonnen (das Unendliche nicht), eben weil nichts verloren ist, weil Ich, die Vorstellung, der Geist mit demselben Inhalt der Endlichkeit erfüllt bleibt.<

Die zwölf Kategorien des Kantischen Idealismus,welcher zusammen mit dem Fichteschen

diesen Standpunkt wesentlich repräsentiert, bleiben jede für sich, unaufgehoben, ohne ineinander überzugehen, sich gegenseitig beschränkend in ihrer Endlichkeit bestehen.

Der (von dieser Philosophie nicht beachtete) Inhalt, wie er in die Empfindung, Anschauung oder auch in das abstraktere Element der Vorstellung, des Denkens aufgenommen wird, enthält die Endlichkeiten in Fülle, welche mit dem ausschließen..der Form von Subjektivem und Objektivem, (d. h. damit, das man beide Formen zu einer, nämlich zur subjektiven reduziert) noch gar nicht weggebracht, noch weniger von selbst weggefallen sind.