zur Reihenfolge der Einteilung des absoluten Geistes
Gründe für die von Hegel angegebene Sequenz (Kunst-Religion-Philosophie)
Es gibt gute Gründe dafür, dass Hegel die Sequenz so aufbaut, wie er es macht:
- Parallele mit Anschauung - Vorstellung - Denken im theoretischen Geist
- Parallele zum subjektiven Geist, dieser fängt auch mit der Anthropologie an - hier wird, nach der 2.Natur, dem objektiven Geist, ebenfalls mit etwas Sinnlichem angefangen
- in der Kunst ist das Kunstwerk in der Anschauung unmittelbar gegeben - in der Religion stehen wir Gott gegenüber, die Religion handelt von der Relation zu Gott
- In der Phänomenologie des Geistes (und später in der Geschichts- und Religionsphilosophie und der Enzyklopädie) zieht Hegel Parallelen zwischen der Kunstreligion der Griechen und der Religion der Vorstellung des Christentums (und der Philosophie seiner Zeit) - diese historische Sequenz spricht also für Hegels Einteilung
- (Der Text Drei Weisen der Erkenntnis Gottes behandelt ebenfalls Gründe, für die von Hegel gewählte Sequenz)
Gründe die Sequenz umzustellen (Religion-Kunst-Philosophie)
Einige dieser angegebenen Gründe sind aber auch schwach. Ich denke demgegenüber, dass es gewichtigere Gründe dafür gibt, die Sequenz in Religion - Kunst - Philosophie umzustellen:
- Kunstwerke sind als Kunstwerke nicht einfach nur so, “unmittelbar,” sondern erfordern einen Bewusstseinsprozess beim Künstler und beim Betrachter. Hingegen ist in der Religion in der Tat oft ein einfaches Gefühl der Ausgangspunkt
- in der Kunst ist eine Differenz: die Kunst verobjektiviert das Verständnis des Absoluten in der Natur (Parallelen zur Natur und zum Objektiven Geist), im künstlerischen Prozess ist eine Dualität zwischen Künstler und Kunstwerk (und zwischen Kunstwerk und Betrachter). Die Religion drückt sich in Kunstwerken aus, über den Prozess dieser Verobjektivierung kommt es zur Philosophie (Kunst ist auch nicht vor Religion sondern gleichzeitig oder Folge von Religion).
- in der Religion ist ein “unmittelbares Wissen” von Gott gegeben: religiöses Gefühl (Jacobi, Romantiker), unmittelbares Zeugnis der Schriften usw (insofern die Religion in der Subjektivität geschieht, passt sie zum subjektiven Geist, insofern sie der Anfang der Erkenntnis ist ebenfalls)
- Die Dualität zwischen Mensch und Gott (die für eine Stellung der Religion an 2.Stelle spricht) trifft nicht alle Religionen, der Budhismus ist etwa so nicht erfasst (zudem soll ja auch bei Hegel die Dualität nicht die Wahrheit der Beziehung von Mensch und Gott sein, sondern die Einheit)
- Die neue Sequenz Religion-Kunst-Philosophie ist nicht mehr einfach aufsteigend (Anschauung - Vorstellung - Denken) sondern dialektisch
- Es ist nun auch besser ersichtlich, inwiefern Religion und Philosophie Gemeinsamkeiten haben (die 1. und 3. Stufe einer dialektischen Triade haben mehr Gemeinsamkeiten, die 1.Stufe ist “an sich” die 3.Stufe).
- Es ergeben sich auf diese Weise mehr sinnvolle Parallelen mit dem Rest des Systems (man vergleiche die folgenden Parallelen mit den Parallelen die man erhielte, wenn man jeweils nach “orthodoxer Lesart” an erster Stelle Kunst und an zweiter Stelle Religion setzt):
- in der Gliederung der Sittlichkeit: Familie:Religion, Bürgerliche Gesellschaft:Kunst, Staat:Philosophie/Wissenschaft
- bei den Berufen: Bauern:Religion, Handwerk/Bürgertum:Kunst, Beamten:Philosophie/Wissenschaft
- bei den geographischen Grundlagen der Weltgeschichte: Hirten/Nomaden im Wüsten und Gebirgen:Religion, Hochkulturen an Flüssen mit Verwaltungsresidenzen:Kunst, Handelsstädte mit Hochseeschiffahrt: Philosophie/Wissenschaft
- in der Gliederung des Geistes: Subjektiver Geist:Religion, Objektiver Geist:Kunst, Absoluter Geist: Philosophie
- in der Gliederung der Kunst: Symbolische Kunst/Architektur:Religion, Klassische Kunst/Bildhauerei:Kunst, Romantische Kunst/Malerei-Musik-Poesie:Philosophie - die neue Parallele erklärt auch besser, warum denn die klassische Kunst/Bildhauerei der Höhepunkt der Kunst ist und die romantische Kunst einen “Überschuss” darüber hinaus