0. Vom Naturkausalen Wissen zur Instrumentellen Vernunft

Hegels Teleologiekapitel in der Wissenschaft der Logik (WdL) dient, das sage ich hier thetisch und mit dem Zweck der allgemeinen Ortsbestimmung der Überlegung, einer begrifflichen Analyse dessen, was wir ‚freies Handeln’ nennen. Kernthese ist, daß der Mensch, der Mittel und Techniken für seine Zwecke dienstbar macht, immer schon als ‚freies’ und ‚intelligentes’ (‚denkendes’) Wesen zu verstehen ist. Negativ heißt dies, daß wir im Teleologiekapitel nicht etwa eine volle Analyse instrumenteller bzw. technischer Vernunft oder etwa eine schematische Logik des technischen Verstandes, des ‚abduktiven Erschließens geeigneter Mittel’, erwarten können .1

Statt dessen steht im Mittelpunkt der Überlegung ein Argument, das sich schwerpunktmäßig gegen Kants ‚Lösung’ der Freiheitsantinomie richtet. Das Argument besagt, in einem ersten Schritt, daß es keinen Geltungsanspruch für kausaldeterministische Erklärungen gibt, der nicht schon einen impliziten Bezug auf eine instrumentelle Mittel-Zweck-Beziehung voraussetzt. Dies war schon vor unserem Teleologiekapitel ‚gezeigt’ worden – sofern man sich mit Hegels Art des Zeigens einmal zufrieden gibt. Die Kernthese ist: „Die Zweckbeziehung hat sich .. als die Wahrheit des Mechanismus erwiesen" (WdL II, 384, auch 387). Diese These ist, kurz gesagt, so zu verstehen: Alles Wissen über mechanische oder chemische oder physiologische Abläufe, alle entsprechenden Geltungsansprüche der Naturwissenschaften, insbesondere alle kausalen Erklärungen, sind längst schon situiert im Kontext der Kontrolle des Erfolgs zweckorientierten Handelns. Man denke nur daran, daß in Experimenten die regelmäßige Erreichbarkeit von Zwecken kontrolliert wird und auch in anderen wissenschaftlichen Untersuchungen und Beobachtungen die generische Verläßlichkeit von Prognosen getestet wird. Kurz, das Kausalwissen selbst ist in seinem Gebrauch plaziert im teleologisch-praktischen schließen. Es tritt dort in der Regel als ‚Mittel’ oder ‚Mittelsatz’ auf, wie gleich noch näher zu erläutern ist. Dabei bedeutet Hegels Redeweise, nach welcher etwas die Wahrheit von etwas anderem ist, so daß also z.B. die ‚Teleologie’ die Wahrheit des ‚Mechanismus’ ist, daß das eine nur im Bezug auf den ‚anderen’ Kontext in seinem Ort und Sinn voll zu begreifen ist.

In einem zweiten Schritt soll nun gezeigt werden, daß es Überlegungen über Mittel und Zwecke ‚objektiv’, d.h. im Denken der Subjekte wirklich gibt, die ein Handeln ‚aitiologisch’ bestimmen, und zwar so, daß dieses nicht als kausal-mechanischer Ablauf erklärbar wird. Die Zwecke und Absichten, heißt das, wirken nicht als Ursachen, also nicht so, wie die – in aufzuweisenden Gesichtspunkten begrifflich verwirrte – Lehre etwa Humes oder Spinozas über Affekte und Motive sagt. Zwecke ‚wirken’ nur vermittels einer Praxis des abduktiven praktischen Schließens. Instrumentelles Handeln setzt damit seinerseits freies Überlegen und Entscheiden und dieses setzt die vorgängige Bestimmtheit, im Idealfall die explizite Artikulierbarkeit, von Zwecken und Mitteln voraus, ferner ein (im Idealfall: explizites) Wissen über relevante (Kausal)‘Mechanismen,’ d. h. über erwartbare Konsequenzen des Mitteleinsatzes. Umgekehrt verweist, wie gesagt, jede Kausalerklärung auf einen Kontext eines möglichen instrumentell-prognostischen Gebrauchs der Erklärung, und einen Kontext von ‚Tests’ im Experiment, das selbst ein instrumentelles Handeln ist. Damit wird klar, in welchem Sinn Kausalerklärungen den Rahmen eines Zweck-Mittel-Denkens und dieses den Rahmen einer gemeinsamen, arbeits- und wissensteiligen Vernunft voraussetzen oder auf diesen Rahmen verweisen.

Der Nachweis des begrifflichen Primats des freien instrumentellen Handelns vor aller Kausalerklärung im Teleologiekapitel soll den antinomischen ‚Widerspruch’ zwischen Kausalität und Freiheit wirklich lösen, und zwar durch eine Art Platzanweisung für Kausalerklärungen und einer Erläuterung des Gebrauchs des Wortes “freie Entscheidung.” Descartes’ oder Kants mystischer Dualismus zwischen einem mundus sensibilis der res extensa und einem mundus intelligibilis der res cogitans wird damit überflüssig.

Das Teleologiekapitel zielt in gewissem Sinn auf eine These ab, die C. Hubig (a.a.O. S. 97) so notiert: „Freiheit erscheint also in der Technik ex negativo als Idee“. Genauer heißt dies, in meiner Lesart: Die Tatsache des instrumentellen Handelns, des technischen Gebrauchs von Mitteln, führt uns über die Frage nach den begrifflichen (manche sagen noch heute: „transzendentalen”) Bedingungen ihrer Möglichkeit selbst zur Reflexion auf die Seinsweise von ‚objektiven’, und das heißt bei Hegel: von einer Person wirklich verfolgten Zwecksetzungen und Mitteln. Objektiv im Sinne Hegels ist und wirkt also eine Absicht oder Zwecksetzung dann und nur dann, wenn sie, wie wir heute sagen würden, wirklich subjektiv ist. Dies ist sie aber nur, wenn sie nicht bloß implizit, nicht bloß subjektiv ist. Dies führt dann zur Einsicht in die allgemeine Konstitution humaner Vernunft. Eben diese heißt bei Hegel, so meine ich, Idee. Es ist offenbar nicht selbstverständlich, das ‚dialektische’ Art dieser Überlegung im einzelnen aufzuschlüsseln.

Dabei steht hier die zweite Überlegung nicht im Mittelpunkt der Betrachtung: In ihr zeigt Hegel, daß bewußte Zweckverfolgungen durch diese oder jene Mittel ohne den Kontext einer allgemeinen, kooperativen, sittlich verfaßten Vernunftgemeinschaft und Tradition nicht möglich sind. Allerdings versteht man Hegels Bemerkungen zur Höherbewertung der Mittel gegenüber den bloß einzelnen Zweckverfolgungen nur dann, wenn man diese weitere Überlegung als Ausblick kennt. Wenn übrigens die Idee des Empirismus wirklich die wäre, daß die Erfahrung im Gesamt des humanen Lebens und des gemeinsamen Handelns die Grundlage und die gute Lebenspraxis der Zweck allen Wissens ist, und nicht etwa bloß die subjektive Wahrnehmung die Basis, ihre Klassifikation und ihre Vorhersage das Ziel, dann wäre auch Hegel Empirist.

Ohne an einer genauen Übersetzung der Hegelschen Terminologie im einzelnen interessiert zu sein, versuche ich im folgenden, durch eine bewußt ‚moderne’, ‚anschauliche’, bzw. populäre Wortwahl gelegentlich, also in paradigmatischer statt terminologischer Redeform, den Gedankengang zu rekonstruieren.

1. Der subjektive Zweck und die Bewegursache (WdL II 391ff)

Hegel beginnt seine Analyse, wie vor ihm Spinoza und wie später auch Max Weber, mit einer Reflexion auf den Begriff des ‚subjektiven Sinns’ oder ‚subjektiven Zwecks’ aus der Perspektive des Subjekts selbst. Subjektive Zwecke sind, grob und pars pro toto gesagt, Begierden, wenn es erlaubt ist, dieses Wort zu einer Art Oberbegriff oder Titel hochzuheben und an die Stelle der üblicheren, deswegen aber nicht klareren Wörter wie Affekt oder Motiv zu setzen. Begierden erscheinen zunächst als im Verhalten wirksame Präferenzen, als Motive, Beweggründe für ein Verhalten, Tun oder Handeln. Sie sind, wie wir sagen, als solche oft ‚implizit’. D.h. sie zeigen sich im Verhalten. Diese Redeweisen sind nun aber alle noch durchaus unklar, auch wenn sie uns vertraut klingen. So ist z.B. das Begehren als Zustand von der Begierde dadurch zu unterscheiden, daß letztere nicht bloß durch den Zustand selbst, sondern durch das Ziel und Ende, das ‚telos’, des ‚teleologischen Verhaltens’ bestimmt ist .2 Subjektive Zwecke in diesem Sinn einer zielgerichteten Begierde verfolgen Tiere und Menschen in ihrem teleologischen Verhalten.

Begierden sind uns keineswegs immer ‚bewußt’. Sie sind als solche noch nicht ‚in sich reflektiert’, wie Hegel dazu sagen würde. Sie zeigen sich als solche nur empraktisch. Daß eine Begierde besteht, zeigt sich, heißt das, im Kontext der Erfüllung oder Sättigung, wie im Fall des Hungers. Sie zeigt sich damit in ihrer Bestimmtheit vorzugsweise post hoc, aus der Perspektive des Rückblicks des erfüllten oder ausgeführten Zwecks, des Endes des betreffenden teleologischen Verhaltens.

Daher liegt schon weitgehend an der Struktur des teleologischen Verhaltens, was dann erst recht für den Spezialfall des instrumentellen Handelns gilt: Die ‚Wahrheit der Teleologie’, das heißt der rechte Begriff des subjektiven Zwecks (A; S. 391) und des Mittels (B; S. 394) ist laut Hegels Darstellung der ausgeführte Zweck (C; S. 396).

Im folgenden geht es nun zunächst um begriffliche Unterschiede zwischen einem bloßen teleologischem Verhalten und einem vollen instrumentellen Handeln. Hegel spricht oft von einem ‚gediegenen’ X, wenn der ‚volle Begriff’ des X anwendbar ist.

  1. Wenn bzw. weil sich die Präferenzen oder subjektiven Zwecke eines Akteurs bloß post hoc auf die eine oder andere Weise im Tun und den Sättigungsanzeichen oder, vom Subjekt selbst her gesehen, den Sättigungsempfindungen oder Erfüllungsgefühlen zeigen, läßt sich zunächst noch gar nicht klar unterscheiden, ob ein vorgängig ‚bestimmter’ Zweck als solcher ‚wirklich’ erfüllt ist, oder ob ich mich aus irgendeinem anderen Grund mit dem zufrieden gebe, was ich am Ende erreicht habe. Wenn z.B. ein Kleinkind „Eis!" schreit und sich trotzdem mit einem Lolli oder einem Plätzchen zufrieden gibt, bleibt durchaus noch unklar, ob die ursprüngliche Zwecksetzung erfüllt ist oder nicht, die ‘objektiv’ diejenige gewesen sein könnte, Speiseeis und nicht etwa andere Bonbons zu erhalten. Der Ruf „Eis!" könnte freilich auch noch Allgemeineres bedeuten, nämlich daß eine Begierde nach Süßem gestillt werden möchte. Es kann auch sein, daß das Kind eine ursprünglich wohlbestimmte Begierde vergessen, oder gegen eine andere, erfüllbarere, ausgetauscht hat. Das teleologische Verhalten, das sich im Ruf des Kindes und seinem Quengeln zeigt, findet jedenfalls zunächst mit seiner faktischen Erfüllung ihr Ende und Ziel.

  2. Augustinus hat in seiner Überlegung zu unserer Unterscheidung (an der unter anderem von Wittgenstein berühmt gemachten Stelle in den „Confessiones" I/8) völlig recht, wenn er als eine wichtige Funktion der Sprache die Möglichkeit der Präzisierung einer Begierde, die klarere Artikulation eines Wunsches und Wollens nennt und sie im Kontext von Aufforderungshandlungen einführt, in denen andere um die Mitwirkung bei der Erfüllung der Begierde gebeten werden. Aufforderungen reichen vom Befehl bis zur bloßen Bitte und enthalten die Kenntnisgabe eines Wunsches. Sie sind insofern mehr als ein bloßes Zeigen des Vorliegens eines Begehrens, als die Begierde objektiv bestimmt, der Zweck objektiv eingegrenzt ist.

  3. Warum zwischen Begehren und Begierde, zwischen Beweg’ursache’ und Absicht begrifflich zu unterscheiden ist, zeigt insbesondere folgende Überlegung: In einem gewissen Sinn ist es eine reine Tautologie zu sagen, daß in unserem Tun und Wählen unser Begehren und unsere Begierden, unser Vorziehen und unsere Präferenzen immer eine entscheidende Rolle spielen. Dies gilt unabhängig davon, ob wir ‚vernünftig’ wählen und entscheiden oder nicht. Denn wir tun in einem gewissen Sinn immer das, wozu wir in der Wahl alternativen Tuns neigen. Die Grammatik des Wortes „Neigung“, das heutzutage gern durch den modischen Anglizismus „pro-attitude” ersetzt wird, ist nämlich so, daß eine Neigung nirgends deutlicher wird, als in einer Entscheidung. Neigungen oder Pro-Attitüden sind nämlich zunächst ‚potentielle’ Entscheidungen für ein Tun T oder einen Zielzustand Z. Dabei gibt es freilich gleich eine Menge von fragen: Was ist eine potentielle Entscheidung? Wie ist eine Neigung oder Pro-Attitüde für ein bloß mögliches Tun oder einen wohlbestimmten Zustand in der Zukunft möglich? Lassen sich überhaupt in der Realität sprach- bzw. artikulationsfreie, kommunikations- und kooperationsfreie Zugänge und Beziehungen von einem Wesen zu bloßen Möglichkeiten denken, sind sie ‚realbegrifflich’ möglich?

Wie auch immer die Grammatik der Rede über Möglichkeiten im einzelnen zu verstehen ist, nichts ist potentieller als das Wirkliche. Wirkliche Entscheidungen für eine Verhalten T sind daher selbst offenbar immer potentielle Entscheidungen für T. Daher lassen sich wirkliche Entscheidungen für T nicht einfach durch Neigungen, durch mögliche Entscheidungen für T erklären. Meine Neigung zu schlafen ‚erklärt’ nicht, warum ich einschlafe. Verbale Erklärungen dieser Art hat Molière schon unter dem Titel „vis dormitiva" ironisiert. Kurz, die Funktion der Rede über Möglichkeiten und Dispositionen, Neigungen und Präferenzen ist von anderer Art als ‚Erklärungen’ der genannten Art nahelegen.

  1. Damit entstehen weitere Fragen. Wie ‚erklärt’ die Rede von Motiven und Neigungen das, wozu diese uns angeblich bewegen? Wie ‚erklärt’ ein Begehren und wie erklären Begierden das, was wir tun, wenn wir die Begierde zu erfüllen suchen? Wie ist im Blick auf eine Begierde oder einen subjektiven Zweck ein Tun als geeignet oder vernünftig beurteilbar oder aber als unangemessen und irrational?

Die letzte Frage setzt offenbar eine Differenzierung voraus zwischen der Begierde, T selbst zu tun, und dem Begehren, mit dem Tun von T als ‚Mittel’ etwa anderes, nämlich einen Zweck Z zu verfolgen. Diese einfache, aber wichtige ‚begriffliche Tatsache’ des Auseinanderfallens von Zweck oder Konsequenz Z und Mittel T ist es, welche Hegel im Teleologiekapitel hervorhebt, und zwar als Grundlage jeder Bewertung eines Tuns bzw. einer Handlung T als ‚vernünftig’ im technischen (und später dann auch im ethischen) Sinn des Wortes. Zu fragen ist also nach den Bedingungen der Möglichkeit dafür, daß eine Entscheidung oder ein Tun als ‚vernünftig’ oder ‚unvernünftig’ beurteilbar wird. Eine erste Antwort ist: Das geht nur dann, wenn man auf erwartbare und beabsichtige Handlungskonsequenzen achtet, wenn man sagen kann, daß die Entscheidung oder das Tun in irgendeinem Sinn irgendwelchen ‚eigentlichen’ Zwecken entspricht oder widerspricht. Erst im Blick auf die Konsequenzen K des Tuns T und die Erfüllung oder Nichterfüllung der Zwecke Z durch K kann eine Entscheidung für ein Tun T ‚vernünftig’ oder ‚unvernünftig’ sein.

  1. Die orientierende Frage, die ich Hegels Überlegung im Teleologiekapitel zuordne, ist also: Wie ist eine Unterscheidung zwischen einem vernünftigen und einem unvernünftigen Tun überhaupt möglich? Hegels Antwort ist, daß dies nur dadurch möglich wird, daß das Tun als Mittel zu einem Zweck begriffen ist, oder, um ein großes, aber einprägsames Wort zu gebrauchen: ohne Mittel keine Vernunft. Eben dies, daß es die Mittel und damit die Techniken sind, welche sowohl technisch-instrumentelle als dann auch ethisch-moralische Vernunft erst möglich machen, ist nach meiner Lesart das Thema und der Kern des Teleologiekapitels von Hegels Wissenschaft der Logik. Dabei wird sich die Binnendifferenzierung zwischen einer umfassenderen Vernunft und einer bloßen ‚Verstandesrationalität’, die sich auf die bloße Bewertung von Mittel-Zweck-Beziehungen bei vorgegebenen Zwecken beschränkt, ebenfalls erst in diesem Rahmen ergeben.

  2. Daß sich, wie oben betont, subjektive Zwecke im ‚bloßen’ teleologischen Verhalten erst post hoc in ihrer Bestimmtheit zeigen, gilt insbesondere dort, wo wir ‚von außen’ auf ein Verhalten reflektieren, es unter dem analogen Bild des expliziten instrumentellen Handelns darstellen. Im ‚gediegenen’ instrumentellen Handeln gibt es immer schon Überlegungen zur Zweck-Mittel-Relation. Oft aber stellen wir teleologisches Verhalten so dar, als handle es sich ‚implizit’ um ein instrumentelles Handelns. Das heißt, wir betrachten ein zielgerichtetes Verhalten, das möglicherweise ausdrücklich nicht im vollen Sinn des Wortes instrumentell ist, weil auf keinerlei Zwecke und Mittel reflektiert wird, so, als wäre es ‚implizit’ instrumentell’. Diese Redeform legt eine begriffliche Verwirrung nahe, da das implizite instrumentelle Handeln gerade kein instrumentelles Handeln ist. Es handelt sich um den Sonderfall des von Hegel ganz allgemein kritisierten Falles, in dem wir sagen, A sei ‚gleich’ B – nur ganz anders, so wie Gott einem perfekten Menschen analog gesetzt wird, obwohl er gleichzeitig doch ganz anders sein soll.

Die Grammatik der Rede von einer ‚impliziten’ Form eines Verhaltens oder Prozesses, eines Vollzugs, auch im Handeln, ist in der Tat immer schwierig: In solchen Reden wird oft gesagt, daß das Verhalten die gleichen Formen zeigt wie der explizite, reflektierte, Fall, nur eben nicht in reflektierter oder bewußter Weise. Oder es wird gesagt, daß die Formen im Vergleich mit dem expliziten Handeln unter der Maßgabe der Beherrschung des analogen Vergleichens durchsichtiger gemacht werden können. Trotz der anerkannten Problemlage werden wir, um für unsere Zwecke allzu spitze Unterscheidungen nicht mitschleppen zu müssen, weiterhin von impliziten Verhaltens- und Handlungsformen sprechen.

2. Das Mittel und der praktische Schluß (WdL II, 394 ff)

  1. Das Begehren und die Begierde sind Momente in einem teleologischen Verhalten. Dieses Verhalten, der teleologische Prozeß, kommt in der Erfüllung der Begierde an sein Ende, zur Ruhe. Der Prozeß selbst muss nicht schon bewußt auf die Erfüllung der Begierde bezogen sein. Wenn er es nicht ist, ist er bloß ‚implizit’ Mittel zur Erfüllung des Zweckes, nämlich des Zwecks der Erfüllung der Begierde. Wenn er ‚wirklich’ Mittel zur Erfüllung eines ‚objektiven’ Zweckes ist, ist er dies in einer gewissen ‚bewußten’ Weise, nämlich als ‚Mitte’ eines ‚Schlusses’, eines ‚praktischen Syllogismus’.

Zwecke sind ‚äußerliche’ Bestimmtheiten am Mittel. Sie sind Bestimmungen des Mittels (S. 395). Das heißt, so lese ich Hegels ‚Analyse’, etwas ist nur ein Zweck, wenn es ein Zweck eines Mittels ist. Das wiederum heißt, von Zwecken reden wir, wenn wir einen relationalen Bezug auf Mittel für den Zweck voraussetzen, formal ähnlich wie etwas klein ist in bezug auf ein Größeres. In der Tat ist die ‚Grammatik’ des Wortes „Zweck" zumindest ‚relationaler’ als etwa die des Wortes „Ziel" oder „Ende". Schon ein rein ‚subjektiver Zweck’, eine Begierde, die definiert ist durch das Ziel der Erfüllung, gibt es nur im Kontext der Suche nach Befriedigung und der schließlichen Erfüllung. Ob ein leiblicher Zustand eine Begierde ist, lesen wir daher nicht einfach dem Zustand, der ‚Empfindung’‚ ab. Schmerzen z.B. sind keine Begierden und Begierden sind keine Schmerzen. Wenn ich Schmerzen habe, ist nicht der Schmerz die Begierde oder der subjektive Zweck. Das Haben von Schmerzen kann, wie das Begehren, durchaus in einem sehr allgemeinen Sinn ‚Motiv’ für ein Tun sein. Der Zweck meines Tuns aber ist es dann, keine Schmerzen zu haben, sie loszuwerden. Insofern bestimmen die Schmerzen wie von selbst das Ziel, die Schmerzfreiheit. Und doch ist es, wenn wir etwas genauer reden, in der Regel nicht unmittelbar dieses Ziel, nicht einmal das Begehren oder gar der Schmerz selbst, was mein Verhalten ‚motiviert’, was mich zu diesem oder jenem Tun ‚bewegt’, es sei denn, man versteht das ‚Bewegen’ metaphorisch: es ist in der Regel durch allerlei implizite oder explizite, empraktisch erworbene oder sprachlich tradierte, Erfahrung über taugliche Mittel vermittelt.

Ob sich ein animalisches Wesen oder ein Menschen ‚im Zustand’ des Habens einer Begierde oder eines Schmerzes befindet, entscheidet sich weder unmittelbar in seinem inneren Selbstgefühl noch einfach durch das unmittelbare Verhalten des Lebewesens. Es handelt sich um eine begrifflich komplexe Unterscheidung, in welcher der weitere Verlauf der Ereignisse und des Verhaltens zu berücksichtigen ist. Woher wissen wir z.B., ob ein Säugling Schmerzen hat oder Hunger oder Durst? Sein Verhalten zeigt dies nicht unmittelbar. In beiden Fällen schreit er. Wir ‚sehen’ den Unterschied erst im ‚holistischen’ Kontext, nämlich daran, wie Essen oder Trinken sein Schreien oder seine Unruhe beendet, das Wesen beruhigt. Dann waren es keine Schmerzen, welche wir als Ursachen des Schreien ansprechen, sondern die entsprechenden Begierden, eben seine ‚subjektiven Zwecke’. Essen und Trinken sind Mittel zur Erfüllung dieser Zwecke. In gewissem Sinn sind in der entwickelten Sprach- und Unterscheidungspraxis Schmerzen als eine Restklasse von relativ starken ‚Unlustempfindungen’ bestimmt, die sich nicht durch ‚einfache’ Mittel wie Essen oder Trinken oder Wärme oder Kühlung oder Verdunkelung unmittelbar bzw. schnell aufheben lassen. „Unlust" ist dabei ein ebenso ‚klassischer’ wie vager Oberbegriff unter anderem für Schmerzen und Begierden.

  1. Als Mittel nun zur Erfüllung eines Zweckes sind nicht etwa nur Objekte, dingliche Mittel, anzusehen, sondern im konkreten Fall ist immer ein Prozeß oder Tun involviert. Es gibt daher eine kategoriale Zweideutigkeit der Reden von einem Mittel. Objekte sind Mittel, wenn sie in einem die Erfüllung eines Zwecks vermittelnden Tun auftreten, so wie etwa der Pflug beim Pflügen oder der Hammer beim Hämmern. Das Pflügen aber und das Hämmern ist Mittel in der Verfolgung weiterer Ziele, der Erfüllung weiterer Zwecke.

Wir sprechen von Mitteln und Zwecken in der Tat gerade so, wie Hegel dieses begriffliche Schema oder ‚grammatische’ Gebrauchsform erläutert. Wir sprechen von Mitteln, wenn man einen Kontext eines praktischen ‚Schlusses’ der folgenden Art unterstellen kann: Es sei Z der in der Regel von dem Tun T selbst unterschiedene Zweck des Tuns T. Das heißt, T soll zur Erfüllung von Z führen und T kann bzw. wird (in der Regel) zu Z führen. Dann ist T Mittel für Z. Dies wiederum bedeutet das folgende: Ein Zweck Z ist durch eine Art Erfüllungsbedingung pZ bestimmt, wobei pZ eine Beschreibung des Erfüllungszustandes vertrete, deren ‚Inhalt’ (modulo einer Inhaltsgleichheit, die in der Regel so etwas wie eine Extensionsgleichheit verschieden eingeführter und artikulierter Unterscheidungen ist) eine ‚Proposition’ darstellt, also eine Klassifikation von Situationstypen oder ‚möglichen Welten’, wie man heutzutage sagt. Dann können wir folgenden Schluß betrachten:

  1. Ich wünsche (oder wir begehren), daß pZ, jedenfalls eher als nicht-pZ, d.h. ich ‚will’ (oder wir ‚wollen’) Z irgendwie erreichen. Das Wollen als Begehren ist damit durch den ‚Inhalt’ Z der Begierde oder ‚Zwecksetzung’ bestimmt und ist als solches erste ‚Prämisse’ des folgenden ‚Schlusses’:

  2. Wenn T getan ist, dann wird, so glaubt oder weiß man, Z eher erreicht, als wenn T nicht getan ist.

  3. ‚Also’ tut man T, um Z zu erreichen’.

Der Satz (2) ist offenbar ein ‚Mittelsatz’ in dem Schluß. Als solcher ist er ganz grob analogisiert zum Mittelsatz „B ist C“, den wir gebrauchen, um in der aristotelischen Deutung des „ist” als Ausdruck für eine mereologische Teil-Klassen-Beziehung aus dem Vordersatz „A ist B" den Schlußsatz „A ist C" zu erhalten.

Der ‚praktische Syllogismus’, wie er bisher dasteht, ist zunächst ein bloßer Wahrscheinlichkeitsschluß: Das Tun T ist schon dann Mittel zum Zweck Z, wenn die Erfüllung von Z (unserer Überzeugung gemäß) wahrscheinlicher wird. Dabei spielt es zunächst nicht einmal eine Rolle, ob der Mittelsatz wahr ist. Wenn er wahr ist, dann ist T ein (relativ zur reinen Unterlassung von T) ‚gutes’ Mittel für Z. Und nur wenn er wahr ist, ist T ein gutes Mittel für Z, ist es (relativ) vernünftig, T (im Blick auf Z) zu tun.

Aber auch dann, wenn wir strengere Bedingungen als die bloße Erhöhung der Wahrscheinlichkeit des Eintretens von Z bzw. pZ fordern, entspricht dem Mittel ein Mittelsatz in einem Schluß:

  1. Ich oder wir begehren, daß pZ.

  2. Wenn wir T tun, dann wird es wahr werden, daß pZ, (und wenn wir T nicht tun, dann bleibt es möglich, daß nicht pZ wahr sein wird).

  3. Daher ist es (prima facie und im Blick auf Z) ‚vernünftig’ oder ‚empfehlenswert’, T zu tun, und daher tue ich/tun wir T (zu Z zu erreichen).

Hegels Formulierung: „Die Beziehung der Tätigkeit des Zwecks durch das Mittel auf das äußerliche Objekt ist zunächst die zweite Prämisse des Schlusses" (WdL 397) ist dabei als etwas merkwürdige Umschreibung von (b) zu verstehen: Meine Zwecksetzung Z ‚wirkt’ über das Mittel T, also das Tun von T, auf äußerliche Objekte.

Was nun den Prozeß des Tuns T selbst betrifft, so sagt Hegel im Grunde dasselbe, was in neuerer Zeit etwa auch bei Davidson zu finden ist: Jede Handlung ‚besteht’ in ihrer Ausführung in ‚mechanischen’ Körperbewegungen und irgendwelchen ‚chemischen’ Prozessen im Körperinneren. Offensichtlich ist dabei Hegels Terminologie zu berücksichtigen, der mit dem Titel des ‚Mechanischen’ das Reich der Gegenstände des möglichen Kausalwissens über physikalische Dingbewegungen überschreibt, mit dem Titel des ‚Chemischen’ den Bereich von Prozessen in einem Körper, etwa von ‚physiologischen’ und ‚neuronalen’ in meinem Leib, wobei erst einmal ganz offen gelassen ist, ob sich ‚Chemisches’ auf ‚Mechanisches’ zurückführen läßt .3

In der Abfolge des Tuns und der erreichten Ergebnisse kehrt sich der ‚praktische’ Schluß in eine ‚teleologischen’ um: Ich tue T. Weil T Mittel für Z ist (und ich dieses weiß oder glaube), erreiche ich das mich befriedigende Z durch T. ‚In diesem Fall’ ist Z objektiver Zweck meines Tuns T.

Es kann freilich ‚bessere’ Weisen geben, Z zu erreichen, als T zu tun. Das ist hier aber nicht Thema. Daher habe ich die sehr vereinfachende, die Fälle auf zwei Alternativen abkürzende Bedingung hinzugefügt, daß ohne T möglicherweise Z nicht erreicht ist. Es geht hier nicht darum, ob eine Reduktion auf einfache Alternativen immer zu erreichen ist. Es geht auch nicht um den Entwurf eines Deduktionssystems, das praktische Schlüsse darstellen oder kontrollieren hilft, so wie dies möglich wird im Fall der ‚formallogischen’ Gültigkeiten im Sinne eines schematisch geregelten Systems des Gebrauchs der Formwörter „nicht“, „und,” und „für alle", wie sie die Junktoren- und Quantorenlogik definiert. Die Schlüsse sind dennoch formal ganz in der Ordnung, wenn entsprechende, hier nicht weiter ausbuchstabierte, aber leicht nachzutragende Bedingungen in bezug auf Wahrheit bzw. Verläßlichkeit der Prämissen bzw. in bezug auf epistemische und entscheidungsrationale Kohärenz erfüllt sind.

Die genannten Bedingungen werden bekanntlich zusammen mit der Zerlegung ‚des’ Mittels T für einen gegebenen Zweck Z in ein System von Handlungsalternativen bzw. mit einer Ersetzung von Z durch eine präferentiell geordnete Klasse von Handlungsfolgen oder möglicher Zwecke in ihren Grundformen in der sogenannten Entscheidungstheorie modellhaft ausbuchstabiert. Es könnte freilich einen großen Fortschritt in der Philosophie bedeuten, wenn man zu unterscheiden verstünde, für welche Urteile und Zwecke diese oder jene Ausdifferenzierung einer Grundformen des menschlichen Lebens, Verhaltens und Redens sinnvoll und nötig, wann sie überflüssig und für welche Urteile sie geradezu hinderlich ist. So werden entscheidungstheoretische Feinmodellierungen der Entscheidungen eines homo rationalis ihrerseits oft als anwendbares Rationalitätskalkül ausgegeben – obwohl niemandem zu raten ist, das Modell außerhalb ganz enger, entsprechend zugerichteter, Bereiche, in denen am Ende auch der Einsatz von Rechenmaschinen sinnvoll werden kann, wirklich rein schematisch zu gebrauchen. Denn es geht auch in den ausdifferenzierten Modellen immer nur um Einsichten in grobe Grundstrukturen des praktischen Schlusses, auf den unsere Rede von einem (guten) Mittel bzw. einer (zweckrationalen) Mittelwahl verweist. Damit relativieren sich auch alle Kritiken, die Hegel oder seinem impliziten Gewährsmann Aristoteles Vagheit in ihrer Analyse des praktischen Schlusses vorwerfen.

Der Aufweis der Grundstruktur soll zeigen, daß im ‚Mittel’ das Moment der Objektivität zu finden ist, im ‚Mittelsatz’ also das der ‚Rationalität’ jedes Urteils. Auf diese Mittelsätze zu beziehen ist im Grunde jedes Wissen, das technisch-praktisch relevant werden kann. Das Wissen selbst wird in diesem Gebrauch in gewissem Sinn zu einem Teil des Mittels und ist daher als solches Teil der betreffenden Technik des zweckgerichteten Handlungsvermögens, der Handlungsmacht. Insbesondere hängt fast jedes ‚mechanische’ Wissen über ‚natürliche’ Körperbewegungen und jedes ‚chemische’ Wissen über irgendwelche innere Prozesse in den Körpern, wie sich Hegel noch ausdrückt, in irgendeiner Weise mit einem möglichen Mittel-Wissen zusammen.

In der Tat sind es die Urteile über mögliche Mittel, an welchen wir unsere Handlungen im Vorausblick auf die zugehörigen Zwecke orientieren und welche wir in gemeinsamen Kontrollen als verläßlich und erfolgreich überprüfen. Es ist dann ferner die Einsicht in die ‚Endlichkeiten’ oder Begrenztheiten unserer Mittel-Macht, welche uns, wenn wir weise sind, zur Einsicht in die Fallibilität alles realen ‚Tatsachenwissens’, verstanden als allgemeines Mittel-Wissen, als mehr oder minder wohlgeprüfte ‚Überzeugungen’ oder besser ‚Hoffnungen’ in bezug auf die (allgemeine) Erreichbarkeit der Zwecke durch die betreffenden Mittel führt.

Der merkwürdige und eben daher merkbare Satz, „der Pflug ist ehrenvoller als unmittelbar die Genüsse sind, welche durch ihn bereitet werden und die Zwecke sind" (WdL II 398) sagt dann nicht etwa nur, daß der Wert eines dinglichen Mittels darin besteht, daß es mehrfach verwendet werden kann. Im Mittel, gerade auch im dinglichen Mittel, zeigt sich in vergegenständlichter Weise die freie Macht gemeinsamen Mittelwissens und technischen Könnens. Frei ist dieses Vermögen an Mitteln, weil wir mit seiner Hilfe die zugehörigen Zwecke mehr oder minder nach Belieben verfolgen und mehr oder weniger umfassend erreichen können. In jedem Fall machen uns die Mittel relativ unabhängiger von der bloßen Kontingenz des Naturverlaufs, dem rein subjektiven Versuch und individuellen Irrtum. Die angesprochene Ehre beruht dabei auf einer gemeinsamen, jedenfalls gemeinschaftsbezogenen und der Tendenz nach sogar ‚all-gemeinen’ Bewertung im Rahmen menschlicher Kooperation bei der Bereitstellung von Mitteln im Rahmen einer Arbeitsteilung und Wissenstradition. Genüsse sind bloß aus subjektiver Perspektive lobenswert.

Die Mittel sind es und die Techniken, so lese ich damit das Teleologiekapitel in Hegels WdL, welche das Allgemeine und das Vernünftige in die Welt bringen. Anders herum führt uns bzw. unsere Analyse der Begriff des Mittels zum Begriff des Wissens und, hegelianisch gesprochen, zum Begriff des Begriffs selbst. Wir gelangen so zu den allgemeinen ‚geistigen’ Voraussetzungen instrumentellen Handelns, die sich, grob gesagt, als institutionelle Bedingungen darstellen.

3. Der objektiv ausgeführte Zweck (WdL II, 396 ff)

  1. „Der Zweck ist in seiner Beziehung auf das Mittel schon in sich reflektiert," sagt Hegel (S. 396) über den ausgeführten Zweck, „aber es ist seine objektive Rückkehr in sich noch nicht gesetzt."

Das bedeutet, möglicherweise, daß in der Darstellung eines teleologischen Verhaltens ‚von außen’ als (ggf. bloß implizites) instrumentelles Handeln die Zuschreibung von Mitteln und Zwecken auf das Verhalten des Lebewesens oder Menschen post hoc zwar eine Bestimmung des Mittels und des Zweckes voraussetzt. Damit ist aber noch nicht klar, ob das Wesen selbst den ggf. durch uns so und so charakterisierten Zweck über die zweckorientierte Wahl des so und so charakterisierten Mittels verfolgt. Nur wenn das der Fall ist, ist die Zuschreibung ‚objektiv’, betrachterunabhängig, als richtig oder falsch bewertbar. Objektive Zwecke in Hegels Sinn, sind, meine ich, damit nur die, welche ein Subjekt wirklich verfolgt, und zwar über die Wahl seiner Mittel.

Wenn wir z.B. sagen, daß bestimmte Affen bestimmte Geräte als Mittel zum Erreichen eines Zwecks, z.B. als Geräte zum Fangen von Ameisen einsetzen, oder wenn wir einen Bienentanz als Mittel zur Kommunikation ansprechen, dann sind diese Darstellungen insofern anthropomorph und analogisch, als wir den uns bekannten expliziten Umgang mit Mitteln und Zwecken auf ein Gesamtverhalten projizieren, zunächst ohne auf die Differenz zwischen einer bloß äußerlichen Identifikation von Zwecken und Mittel und einer ‚wirklichen’ Zwecksetzung bzw. einem ‚wirklichen’ Überlegen im Kontext eines praktischen Syllogismus zu achten.

‚Objektiv’ wird eine Zuschreibung von Zwecken und Mitteln in der Tat erst dann, wenn man sagen könnte, daß Affen oder Bienen diese und nicht jene Zwecke oder Absichten wirklich haben und zwar als unterschiedene. Wir müßten sagen können, daß sie ‚vor’ ihrem Tun und im Blick auf die Zwecke Mittel wählen, und zwar in einer Art abduktiven Schluß, der von einem gegebenen Zweck Z zu einem möglichen Mittel T führt. Die Bedingungen, auf die hin wir bewerten, ob eine Person gewisse genauer bestimmte Zwecke oder Absichten wirklich hat und ob sie einen gewissen abduktiven Schluß wirklich vornimmt, sind uns aus unseren Gesprächen mit anderen Menschen bekannt – nicht etwa aufgrund bloßer ‚Introspektion’, wie man metaphorisch sagt, wenn man an bestimmte Arten von Selbstgesprächen denkt.

Daß es ein abduktives Denken oder schließen als explizites Suchen nach hinreichenden Mittel für vorartikulierte Zwecke im Verhalten von Affen oder Bienen oder Ameisen objektiv im genannten vollen Sinn gebe, das wird man wohl kaum behaupten wollen. Denn dazu bedürfte es der objektiven Reflexion auf die Inhalte der Mittel- und Schlußsätze, der Zwecke und Mittel im praktischen Syllogismus und im abduktiven Schluß. Teleologisches Verhalten in unserem allgemeineren, in sich noch kaum differenzierten, Sinn aber wird es sehr wohl bei allen (jedenfalls den meisten) animalischen Lebewesen geben.

Hegels Rede von einer ‚objektiven Rückkehr in sich selbst’ ist wohl selbst eine Metapher für das explizite Haben von Zwecksetzungen Z im Kontext des abduktiven Bedenkens der möglichen Mittel T, das im praktischen schließen zur Mittelwahl oder Tun T führt. Dieses explizite Denken und Entscheiden aber ist nur möglich auf der Grundlage der expliziten Repräsentation oder Vorwegnahme der Zwecke und Mittel durch äußerliche Beschreibungen in einer Reflexionspraxis des lauten oder leisen, realen oder potentiellen Fragens und Antwortens, und in einer Praxis, in der wir das Zutreffen einer Beschreibung auf ein Tun als Mittel oder auf eine Ereignisfolge als Zweck kontrollieren.

Objektiv zweckgerichtetes Handeln gibt es also nur vor dem Hintergrund der Praxis der expliziten Kontrolle von Zweckartikulation, Mittelwahl und Zweckerfüllung, zu der dann noch die Kontrolle der Verläßlichkeit der Mittel für bestimmte Zwecke hinzukommt. Auf der Grundlage dieser Kontrolle, in welcher man das Wesen der Technik sehen kann, erhalten wir allererst die Macht, bestimmte, nicht etwa alle möglichen, Zwecke mehr oder weniger nach Belieben durch unserer Mittel zu verfolgen und oft auch zu erfüllen. Damit wird aber klar, daß bewußtes instrumentelles Handeln selbst schon weitgehend aufruht auf einer geschichtlich tradierten und gemeinsam fortgeschriebenen Kontrollpraxis technischen Wissens und Könnens. Wissen ist Macht, weil und insofern es Mittelwissen und damit Teil von Technik ist. Technik als Macht über die äußere Natur gibt es aber nur im Gesamtkontext gemeinsamen Handelns, nicht etwa als individuelles Vermögen. Zwecke müssen allgemein bestimmt sein, damit Mittel für sie auswählbar sind. Die bestimmten Mittel müssen im Blick auf die bestimmten Zwecke kontrolliert sein, damit sie verläßlich werden und uns mit einer Macht ausstatten, die uns partiell unabhängig macht von bloß kontingenten Erfolgen im Verhalten und Tun.

  1. Evolutionsgeschichten erzählen vom ‚Erfolg’ von teleologischem Verhalten und den gebrauchten ‚Mitteln’ post hoc, wobei der eigentliche Erfolg, das letzte Ziel, im schieren Überleben einer Spezies oder eines Wesens besteht. Grundsätzlich sind dabei die Ausprägungen der ‚Mittel’ im Verhalten der Lebewesen einer Spezies zunächst ebenso ‚unbeabsichtigt’ wie der Erfolg. Das eben bedeutet, daß es in einer Evolutionsgeschichte und im Verhalten von Tieren keine ‚wirkliche’, ‚objektive’, ‚gediegene’ Zweck-Mittel-Teleologie gibt.

In der Geschichte der Entwicklung und des Gebrauchs von Techniken der Menschen verhalten sich die Dinge anders. Hier gibt es freie Zwecksetzungen und eine relative Macht der Zweckverfolgung mit nicht bloß ‚kontingentem’ bzw. ‚unbeabsichtigtem’, wenn vielleicht auch vage begehrtem, Erfolg. Menschliche Freiheit, und eben das ist Hegels These, ist hier ohne jeden Zweifel als wirklich anzunehmen und zu erweisen, wenn anders wir überhaupt den Unterschied zwischen einem kontingenten Geschehen in natürlichen Prozessen und einem wirklich zielgerichteten, einem objektiven Zweck gemäßen Handlungsvermögen begreifen. Im einzelnen ist dazu freilich der schwierige Unterschied zwischen einer wirklichen Zweck-Mittel-Teleologie praeter hoc und einer bloß metaphorischen teleologischen Erklärung post hoc, wie er hier grob skizziert ist, voll zu begreifen, ferner der Unterschied zwischen objektiven, d.h. wirklichen, Zweckverfolgungen handelnder Subjekte und bloß subjektiven, d.h. verbalen, Zweckzuschreibungen.

  1. Hegels Gesamtüberlegung wendet sich dabei erklärtermaßen gegen Kants Meinung, es seien sowohl das Kausalprinzip des Mechanismus als auch das Prinzip der Freiheit bloß zwei „subjektive Maximen“, so „daß ich einerseits jederzeit über alle Naturereignisse nach dem Prinzip des bloßen Naturmechanismus reflektieren solle, daß aber dies nicht hindere, bei gelegentlicher Veranlassung einigen Naturformern nach einer andern Maxime, nämlich nach dem Prinzip der Endursachen nachzuspüren, - als ob nun dies zwei Maximen .. nicht in demselben Gegensatze wären” (WdL II 389, alle Hervorhebungen ebd.). In der Tat nützt Kant bei seinem Versuch der Lösung des Widerspruchs von (‚mechanistischem’) Kausaldeterminismus und Handlungsfreiheit der Rückzug nichts, die Formen kausaler und teleologischer Erklärungen als bloß subjektive Darstellungs- bzw. Erklärungsformen für menschliches Tun und Verhalten zu betrachten. Denn die Frage ist, wie Hegel ganz klar sieht, nach wie vor die: Welche der Betrachtungsarten ist wann die richtige, da sie nicht gleichzeitig nebeneinander bestehen können ?4

Damit fällt Kants Dualismus, seine Parallelität einer kausal bestimmten Welt der Erfahrung und einer mundus intelligibilis der Freiheit als ‚Lösung’ der Freiheitsantinomie in sich zusammen. Nicht anders ergeht es dem Dualismus des Descartes oder dem Parallelismus eines Leibniz. Was auch immer Kant genau gemeint haben mag, wer ihm in seinen Weltendualismus folgt, der hat ein Problem damit, diese ‚Lösung’ so zu erklären, daß keine bloße Papiertigererklärung übrigbleibt, die als solche eine bloß verbale Beruhigung des Lesers darstellt, ohne daß das Problem irgend gelöst würde.

  1. Nichts ist absurder, als das ‚explizite’ praktische schließen, in dem unter Rückgriff auf eine Mittel-Wissen Zwecke präferentiell geordnet oder gesetzt und im Bereich möglicher Mittel, Tätigkeiten, eine Entscheidung, nämlich durch das Tun selbst, getroffen wird, als einen Teil der Naturnotwendigkeit anzusehen. Die ‚Freiheit’ der (rationalen) Entscheidung besteht ja gerade darin, daß niemand durch nichts ‚gezwungen’ ist, das zu tun, was wir aufgrund unseres Wissens im Blick auf unsere Zweckpräferenzen als ‚vernünftig bewerten. Kurz, das praktische, abduktive, schließen, die Struktur des praktischen Syllogismus und die mit ihr verbundene Bewertung einer Entscheidung als zweckrational oder ‚unvernünftig’ ist gerade Form und Bedingung der Möglichkeit humaner Entscheidungs- und Handlungsfreiheit. Sie ist damit eben nicht als Teil eines – dann mißverstandenen – Begriffs der ‚kausalen Erklärung’ des Verhaltens aufzufassen, es sei denn, man fällt in seiner vagen Verwendung des Wortes „kausal" sogar noch hinter die aristotelische Differenzierung zwischen causa efficiens und causa finalis zurück.

Instrumentelles Handeln unterscheidet sich vom ‚bloßen’ teleologischen Verhalten animalischer Wesen. Gerade in den Differenzen der verschiedenen Finalerklärungen, und am Ende im Begriff des objektiven Zwecks liegen die besonderen Möglichkeiten menschlicher Handlungsfreiheit. Dabei unterscheidet sich schon teleologisches Verhalten kategorial von bloß ‚mechanischen’ und ‚chemischen’ Prozessen, die unser Leben freilich ebenfalls dauernd durchziehen, wie das animalisch- teleologische Verhalten auch.

Der berühmte Satz, gerade auch des Spinoza, Freiheit sei Einsicht in die Notwendigkeit, den man als Rahmen der Überlegung Hegels zuordnen kann, bedeutet, recht verstanden, daß unsere Einsicht in Naturkausalitäten zur instrumentellen Handlungsmacht wird. Er wäre falsch in der Bedeutung, daß wir uns einer im Ganzen unabänderlichen Naturnotwendigkeit gänzlich auszuliefern haben. Er bedeutet, daß wir dort, wo nichts anderes zu tun ist, als sich diesen Notwendigkeiten auszuliefern, wir uns gelassen ausliefern sollten, daß also das Unmögliche nicht zu erreichen und daher nicht zu verfolgen ist. Wo aber etwas zu tun ist, sollten wir uns nicht einfach in die Gegebenheiten schicken. Es ist ein uralter Truismus, daß wir unterscheiden müssen zwischen Fällen, in denen wir eine Handlung T als illusorisches ‚Mittel’ für einen bloß gedachten Zweck Z unterlassen oder ein illusorisches Ziel Z überhaupt nicht verfolgen sollten, und den Fällen in denen wir uns an die Ausführung von T als Mittel für Z machen sollten. Eine solche Unterscheidung kann zwar immer aus dem Blick eines spekulativ reflektierenden Schiedsrichters als ‚richtig’ oder ‚falsch’, ‚vernünftig’ oder ‚irrational’ bewertet werden. Indem sie aber vom Handelnden getroffen wird, entscheidet dieser ‚frei’. Dies ist der Kern der Grammatik des Wortes „frei" im Kontext der freien Entscheidung und des freien Handelns. Um eben diese ging es Hegel im Teleologiekapitel.


  1. Diese andere Ortsbestimmung herrscht in der ansonsten sehr verwandten Darstellung von Christoph Hubig vor: „Die Dialektik der Mittel. Zur “immanenten Logik” technischer Innovation, Neue Realitäten – Herausforderung der Philosophie. 16. Kongreß für Philosophie, Berlin 1993, Hg. H. Lenk und Hans Poser, Berlin 1993 (zurück zum Text).↩︎

  2. Den Hinweis, daß für die Zwecke meiner Überlegung eine klar markierte Unterscheidung nötig ist zwischen einem teleologischen Verhalten i.a. und einem instrumentellen Handeln, in welchem ‘objektive’ Zwecksetzungen ‘bewußt’ verfolgt werden, verdanke ich Sebastian Rödl (zurück zum Text).↩︎

  3. Diejenigen, welche prospektive Reduktionen des ‚Biologischen’ auf das ‚Chemische’, dieses auf das ‚Physikalische’ und des Physikalischen (unter Einschluß etwa des ‚Elektromagnetismus’) auf das ‚Mechanische’ als offene Möglichkeiten behandeln, sind gegenüber den Reduktionsgläubigen nach wie vor durchaus die besonneneren und damit fortschrittlicheren Wissenschaftler und Methodologen (zurück zum Text).↩︎

  4. Vgl. dazu aber meine äußerst wohlwollende Lesart Kants in dem Aufsatz “Willkür und Wille bei Kant,” Kant-Studien 81, 3. 1990. 304-320, die manche Leser so beurteilten, als werde eher Hegels als Kants Position dargestellt. Freilich zeigt sich, wie weit Kant selbst schon in die ‚richtige Richtung’ denkt und formuliert (zurück zum Text).↩︎