Den folgenden Text zur Erläuterung der Ausdrücke “Ansich” und “Fürsich” bei Hegel habe ich eigentlich in einer privaten Nachricht geschrieben.

Es scheint mir aber eine gute Ergänzung zu der Diskussionen um Abstrakt/ Konkret, Absolutes usw. zu sein.

Schreibt mir doch mal, ob ich mich verständlich genug ausgedrückt habe, oder wo ich was unklar geschrieben habe oder was übersehen habe.

Vielleicht kann ja auch eine(r) der Leser(innen) mein Verständnis korrigieren oder erweitern.

1a)

Im täglichen Leben / Alltagsdeutsch wird Ansich(A), Fürsich(F) und An-und-Fürsich (A&F) oft austauschbar verwendet, meistens im Sinne von “für sich Betrachtet, ohne Beziehung auf anderes.” In einem tieferen Philosophischen Sinne wird es auch verwendet als “seinem Wesen / Begriff” nach, “im Prinzip.”

1b)

Beachte, dass diese Deutung dem Kantschen Ding-An-Sich entspricht. Siehe die angeführte Stelle in der Enzyklopädie zum Ding-an-Sich, also gerade nicht Hegels eigene Sicht wiedergibt.

Für Kant ist das An-Sich gerade in seiner Getrenntheit von uns die Wahrheit. An-Sich und Für-Sich stehen bei ihm identisch als Wesen / Wahrheit der Dinge gegen Für-Uns (wenn du mir die Wortschöpfung erlaubst, ich meine: wie sich die Dinge für uns darstellen) als bloßer Schein.

Bei Hegel muss das An-sich durch das Für-sich zum An-und-Für-Sich vermittelt werden (Wow, das habe ich aber schön knapp hin bekommen. An sich steckt hier schon der ganze Witz drinnen ).

Mehr weiter unten, wenn ich noch auf Hegels Position an sich (im umgangssprachlichen Sinne, siehe c)), also nicht im Gegensatz zu Kant, sondern für sich (Auch im Umgangssprachlichen Sinne, siehe c))) dargestellt) eingehe.

1c)

Wie immer, verwendet Hegel - manchmal - die A/F/A&F in dem Sinne der Alltagssprache (vor allem natürlich in seinen mündlichen Erläuterungen, wo er “ins unreine” ans Vorstellungsvermögen seiner Zuhörer appelliert, nicht immer die Vertrautheit mit seiner Terminologie voraussetzt), oft aber natürlich auch im Sinne seiner eigenen Terminologie (s.u.). Das ist jeweils aus dem Zusammenhange zu erschließen (ich prüfe: welche Deutung macht mehr Sinn?).

2.

Wie du vielleicht schon gespürt hast, steckt in An-Sich und Für-Sich eine Grundterminologie der dialektischen Bewegung.

Wir fangen mit dem An-Sich an, und gelangen über das Für-Sich zum An-und-Für-Sich.

Du kannst jedes von Hegels Werken als Beispiel benutzen.

An sich ist bereits der erste Begriff / die erste Kategorie die im Werk auftaucht der Endbegriff / die Endkategorie (etwa: das “Sein” ist der “Begriff” in der “Wissenschaft der Logik”).

Er ist es aber zugleich auch wieder nicht (Dialektik hat u.a. damit zu tun in dem (offensichtlich / anscheinend) identischen den Unterschied zu finden und in dem (offensichtlich / anscheinend) unterschiedenem die Identität).

Durch diesen Zwiespalt erhält die nun folgende dialektische Bewegung ihren “Treibstoff”:

Weil der erste gefundene Begriff unzureichend ist, muss von ihm weiter gegangen werden (die Seite der Negativität / Nicht-Identität). Es wird aber nur deshalb weitergegangen (und das in die bestimmte Richtung), weil in der Nicht-Identität immer auch die Identität vorausgesetzt wird (Seite der Positivität / Identität).

Beispiel: wenn ich davon rede x sei kein y, so ist (in der echten Sprache und im echten Denken, nicht in der Mathematik oder formalen Logik) immer vorausgesetzt, dass x eigentlich zur Sphäre von y gehören würde. So zeugt etwa eine Aussage “ein Vogel ist kein Bleistiftanspitzer” von geringer Intelligenz, “ein Kapitalist ist kein Betbruder” impliziert immerhin, dass eine moralische Beurteilung eines Kapitalisten angemessen ist. Wenn dieser Satz im Zusammenhang eines Gespräches oder Aufsatzes stünde, so wäre der weitere Verlauf, dass nun gezeigt wird, was aus dieser Identität / Nicht-identität folgt (denkbar wäre z.B. Zurückweisung der moralischen Sphäre zur Apologetik eines rein egoistischen Kapitalismusses (Position), die Forderung nach einem moralischen Kapitalismus (Negation) oder die Forderung nach der Überwindung dieses Gegensatzes (z.B. Abschaffung des Kapitalismusses) (Überwindung der einseitigen Stellungen Position und Negation. Nebenbei: bei Hegel stehen sich die einseitigen Stellungen Position / Negation beide mit gleichem Recht (d.h. die Bezeichnung Position / Negation lassen sich auch vertauschen) auf der 2.Stufe gegenüber).

Okay, das war zugegebenermaßen eine große Abschweifung.

Zurück zu unserem eigentlichen Thema: Ich kann also zum ersten Begriff in jedem der Bücher / Vorlesungen von Hegel, generell zum Anfang jeder dialektischen Bewegung, jeweils sowohl sagen, dass es Ansich bereits mit dem Endpunkt der Bewegung, der letzten Kategorie identisch ist, andererseits ist es auch nicht identisch.

Wird dieser Widerspruch so aufgelöst, dass nun vom Ergebnis her argumentiert wird, dass etwa das Sein nicht die Idee sei, indem beide miteinander verglichen werden, so ist diese Kritik zwar einerseits berechtigt, jedoch ist sie nicht spezifisch für die jeweils behandelte Kategorie. Sie trifft auf jede der Kategorien auf dem Weg zur letzten Kategorie zu (jede von ihnen ist ja nicht die letzte Kategorie).

Wenn aber alles am Maßstab M kritisiert wird, so stellt sich die Frage: a) warum gibt es dann A,B,C usw überhaupt und b) wieso ist der Maßstab M überhaupt für A,B,C usw angemessen ?

Vielleicht ist vom Maßstab A aus auch M unangemessen ? Vielleicht ist M gar nicht die Vollendung von A sondern etwas ganz anderes oder ein Irrweg ? Die Berechtigung des Maßstabes der Kritik M an A ist also an A selbst zu zeigen.

Welcher Mangel ist an A offensichtlich. Wie stellt sich der Mangel für A da ? Bitte sehr, hier haben wir die Kategorie “Für-Sich.”

Wir stoßen auf den bestimmten Mangel dieses bestimmten Begriffes, und bei der Überwindung dieses Mangels auf den Nächsten usw., immer höher bis wir, indem wir die jeweiligen Mängel der Kategorien / Begriffe nachspüren, am Ende bei M angekommen sind (und natürlich ist es nicht verboten, auch bei M wieder Mängel zu finden usw.).

In einer

stelle ich also als Hegelianer nicht einfach meine Meinung der Meinung eines anderen gegenüber, sondern ich versuche jeweils den immanenten Widerspruch an der Meinung des anderen zu finden (bei Ungeübten ist vorher die Hilfe beim durchdachten Formulieren ihres ersten Ausgangspunktes notwendig). Darauf sucht man gemeinsam die Aufhebung des Widerspruches und schaut was sich daraus für ein neuer Widerspruch ergibt.

Dem Anderen wird dabei also keine andere, ihm fremde Meinung aufgedrückt, sondern es wird der uns gemeinsamen objektiven Kraft des Denkens vertraut und so gemeinsam der Weg gefunden. Dabei sind alle Beteiligten als Denkende gleichberechtigt. Natürlich können dabei auch unterschiedliche Wege und Ziele gefunden als ursprünglich geplant (ich habe mich etwa vertan, habe mich selbst geirrt, habe etwas übersehen), die Offenheit hierfür ist eine der Bedingungen einer erfolgreichen gemeinsamen Denkerei.

PS:

Zu den Quellen:

Systematisch hat Hegel das im 1.Band der großen Logik (Stw 605) abgehandelt, 1.Abschnitt (Sein), 2.+3.Kapitel. Im 2.Kapitel “Das Dasein” wird in B: “Die Endlichkeit” bereits auf das “Ansich” eingegangen, ebenso im Abschnitt C: “Die Unendlichkeit.” Im Abschnitt C wird auch bereits das “Für sich” eingeführt , dem dann noch das ganze 3.Kapitel gewidmet ist (wobei eigentlich nur der Abschnitt A für unser Problem relevant ist).

Die Abschnitte B / C Endlichkeit / Unendlichkeit enthalten eh berühmte und wichtige Gedanken von Hegel (eine Unendlichkeit, der eine Endlichkeit gegenüber steht, ist selbst durch diese begrenzt und daher Endlich. Daher muss die Unendlichkeit die Endlichkeit in sich enthalten), lohnt sich also zu lesen.

Ich gebe zu, dass ich selbst aus diesen Abschnitten nur etwa die Hälfte verstehe, ich streiche mir die Teile an, die ich verstehe, und versuche erst einmal über den Rest hinwegzulesen. Ich bekomme so dennoch recht viel mit (und mit der Zeit wächst der angestrichene Teil ), aber ich gebe zu, dass der ganze Abschnitt nicht unbedingt den Gegensatz Ansich / Fürsich so klar macht, wie es wünschenswert ist.

Das beste Zitat von Hegel zu Ansich / Fürsich findet Ihr, wie so oft, in den mündlichen Zusätzen zur Enzyklopädie, stw 608 (kleine Logik), zu Paragraph 124 (Ding-an-sich), Seite 255. Damit solltet ihr bereits eine erste Vorstellung bekommen.

Die IMHO 2.beste Stelle bei Hegel findet Ihr in stw 617 (Vorlesungen über die Philosophie der Religion, Band 2), 3.Teil “Die absolute Religion” (das Christentum), C II 3.Bestimmung des Menschen: Seite 251ff. Sie ist in der Sprache der Religion und behandelt Gut und Böse, aber sie spricht sehr ausführlich (ausführlicher als die vorherige Stelle) über Ansich, Fürsich und An-und-Fürsich.

Vielleicht frag Ihr Euch, woher ich diese Stellen habe. Siehe dazu: der Abschnitt Register in dem Artikel zur Primärliteratur.