1. Fangen wir mit dem Unproblematischsten an:

Es gibt Dinge, von denen wir wissen, dass wir von ihnen nichts wissen (etwa, was genau vor (oder in ) 1 Millionen Jahre an genau diesem Ort passierte, oder was genau gerade im Mariannengraben (über 10.000 m unter der Meeresoberfläche, bisher tiefster vermessene Punkt der Welt, nahe der Philippinen) passiert, oder in einem noch unbekannten (sic) Planetensystem usw.).

Auch was mein(e) Gegenüber gerade denkt, was ihr als Leser(innen) dieses Artikels gerade tut, weiß ich nicht genau.

Wenn man es genau nimmt, ist unser Wissen über fast alles derartig unbestimmt, aus unserem allgemeinen Begriffen lässt sich nicht auch noch die Einzelheit mit ihren Zufälligkeiten ableiten.

Doch unsere allgemeinen Begriffe bestimmen auch diese Einzelheiten, so dass wir haben auch hierzu begründete ungefähre Vorstellungen, die wir aus unserem Wissen der allgemeinen Umstände ableiten können, haben.

Hegel bestreitet weder, dass wir (als endliche Einzelwesen) diese Einzelheiten nicht wissen, noch behauptet er umgekehrt, dass sie umgekehrt nicht existieren.

Es handelt sich auch insofern um unproblematisches Nichtwissen, weil wir zumindest um dieses Nichtwissen in gewisser Weise wissen (wie sich ja meine konkreten Beispielen entnehmen lässt).

2. Eine andere Sache ist das Sich-täuschen, irren etc, dem wir natürlich ebenfalls ausgesetzt sind.

Dies ist eher die Quelle des Skeptizismus, der in seiner extremen Form immer mit dem Verweis auf vorangegangenen Irrtümer zur Vorsicht mahnt.

In Gestalt des brechtschen “Zweiflers” , der hier zur Vervollkommnung antreibt, zur Selbstkritik und Überprüfung einlädt usw. ist das auch produktiv und nützlich.

Damit der Zweifel aber derartig produktiv ist, darf er aber nicht grundsätzlich sein, sonst kippt er dialektisch um, er kürzt sich gewissermaßen weg:

Wenn alles anzweifelbar ist, ich zu allem dazu sagen kann “ich kann mich aber auch irren,” so unterminiert das auch den Ausgangspunkt, ich kann gar nicht mehr zwischen meinem früheren Irrtum und meines jetzigen Besserwissens (bezogen auf die Vergangenheit) oder (bezogen auf praktische Konsequenzen, Verbesserungen) zwischen meinem jetzigen Versuch und einer eventuell besseren Annäherung an die Wahrheit bzw. einem Fehler unterscheiden. Alles ist ja einheitlich ganz prinzipiell genauso anzweifelbar.

Insofern unterminiert auch hier wieder gerade der ans Ende gedachte, prinzipiell gemachte Zweifel gerade wieder die Kritikmöglichkeit als solche.

Der Zweifel ob etwas wahr ist, macht aber natürlich sowohl praktisch wie auch theoretisch nur vor dem Hintergrund einer Wahrheit Sinn. (Denkt an die Besprechung der Grenze im Begriffsartikel: ist alles X, ohne das es ein Nicht-X gibt, ließe sich das X als Attribut gar nicht feststellen).

Das sich ein derartiger prinzipieller, sozusagen ontologischer Zweifel sich natürlich auch, wenn man ihn auf sich selbst anwendet in Frage stellt, ist dagegen eher bekannt und in die entsprechend abgeklärten Speksistheorien eingebaut (ohne allerdings die Konsequenzen auszuräumen, natürlich. Ich habe in meiner Studienzeit in Erlangen mal in einem Seminar die ganzen Skepsistheorien als Student ertragen müssen).

Konkret heißt das also:

Da Wahrheit nur relativ zu ihrer Begründung ist, folgt daraus umgekehrt, dass jeder begründete (also inhaltlich bestimmte) Zweifel in diesem Sinne zum Fortschritt der Wahrheit beiträgt, der prinzipielle formale Zweifel dagegen eben deswegen nichts zur Erkenntnis beiträgt und genauso gut sein gelassen werden kann (bzw. eher psychologische und andere außerwissenschaftliche Motive hat / Zwecke erfüllt).

3. Ein kleines weiteres, quasi Lebens-praktisches Detail hier an dieser Stelle noch am Rande:

Hegel sagt auch, dass Irrtümer, die sich nie bemerkbar machen, dann wohl auch keine sind, also nur eingebildete Irrtümer sind.

Natürlich ist damit nicht das Argument entkräftet, der Irrtum könne im Nachhinein bemerkt werden, daher führe ich das Argument nur als Nebenargument zu (2) an.

Jedoch auf so prinzipielle / formale skeptische Argumente wie das kantische “Ding an Sich” oder unsere Begrenzung auf “bloß” menschliche Erkenntnis usw., passt es sehr schön:

Das Argument gegen menschliche Erkenntnis, gegen unsere “bloße” Erkenntnis der “Erscheinung” usw., muss ja in einem Ungenügen liegen, sonst wäre es ja kein Gegenargument. Es wird also von einer grundsätzlichen Schwäche der menschlichen Erkenntnis als solcher gesprochen.

Diese Schwäche wird aus dem Vergleich mit “Dem Ding an Sich,” einer vorgestellten “nicht-menschlichen” Erkenntnis usw. gewonnen.

Fragt sich bloß, wie man unsere Erkenntnis damit vergleichen und für zu leicht befinden kann: entweder wir können es nicht (wie das Argument vorgibt), dann kommt auch der Vergleich nicht zustande und er weiß nichts über Alternativen oder er kann das Ding-an-sich, nicht-menschliche Erkenntnis u.ä. schon erkennen, dann ist es aber kein Jenseits des menschlichen Geistes.

Wenn es eine grundsätzliche, unüberspringbare Erkenntnisschranke des Menschen gäbe, dann könnten wir sie auch nicht bemerken (da wir sie sonst, zumindest negativ, wie unter (1) wüssten und sie zumindest insofern nicht grundsätzlich wäre).

Die angeführten Fehler in (2), von denen grundsätzliche Argumentewie hier in (3) kritisiert “schmarotzen,” zeichnen sich eben gerade dadurch aus, dass sie sich (meinetwegen erst irgendwann) bemerkbar machen.

4. Ich habe kein Problem damit, einen Erkenntnisfortschritt im Sinne einer Annäherung an einen idealen, möglicherweise nie erreichten Endpunkt, zu verstehen, wie das wohl auch die meisten Menschen und speziell Wissenschaftler in ihrer Selbstdeutung tun.

Ich habe auch kein Problem damit, wie Kuhn dabei Paradigmenwechsel oder ähnlicher “Knotenpunkte” (Hegel in das Maß, Hegel nimmt übrigens Kuhn in gewisser Weise schon vorweg, etwa in seiner Besprechung der Entdeckung Kepplers in seiner Vorrede zur Philosophie der Weltgeschichte) zuzugeben, ja diese lassen sich sogar mit Hegel gut begründen / ableiten.

Und natürlich habe ich auch nichts dagegen in der empirischen Geschichte auch Rückschritte usw. festzustellen, der Fortschrittsgedanke ist selbst begründet (etwa aufbauen auf dem bisherigen, bessere Instrumente usw. einerseits, eine gemeinsame Grundlage in einem gemeinsamen Geist und einer gemeinsamen Wettlauf der anderen Seite), aber daher auch keineswegs absolut.

Jedenfalls benötigen auch all diese Einschränkungen (auch das Konzept des Erkenntnisfortschrittes ist ja eine Einschränkung insofern dass es konstatiert, dass wir die vollständige Erkenntnis noch nicht haben, (was sich übrigens bei vielen Themen erst im Nachhinein sinnvoll feststellen lässt, s.2)) das Konzept von der Wahrheit um sinnvoll formuliert werden zu können.

In diesem Sinne formuliert Hegels System IMHO das praktizierte, bewusstgemachte Selbstverständnis der Wissenschaften, und es ist bitter nötig es gerade in dieser Zeit zu retten, wo es von den dargestellten Relativismen (die alle ihr recht nur insofern haben, wie sie selbst Wahrheit unterstellen) weg geätzt zu werden droht (es ist erschreckend, in manchen Listen, in denen Naturwissenschaftsstudenten und -theoretiker das Sagen haben (ich denke etwa an PhilWeb), ist der relativistische Un-Sinn inzwischen noch verbreiteter als unter den Philosophen.

Vergleiche auch: Gefühl und Vernunft,Meinung